„Blade Runner 2049“Die lange gefürchtete Fortsetzung der Filmlegende gewinnt

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Der Blade Runner (Ryan Gosling) unterwegs in Los Angeles nach der Öko-Katastrophe

Der Blade Runner (Ryan Gosling) unterwegs in Los Angeles nach der Öko-Katastrophe

Es regnet in Los Angeles. Weiterhin. Nur noch biestiger, als wir es aus dem Jahr 2019 gewohnt waren. Für jenes Jahr hatte „Blade Runner“ 1982 eine Vision entworfen, die Sonnenkinder depressiv werden ließ: ein Moloch aus Menschen, Nässe und Finsternis, hektisch, eng, feindselig. Nun kehren wir zurück in diese Welt, die 2049 noch abschreckender aussieht.

Das industrielle Feuer, das 2019 den kalifornischen Nachthimmel illuminierte und wärmte, ist verschwunden. Und das Neonlicht, das diesen Stadtdschungel von oben, aus den Himmeltaxis, faszinierend erscheinen ließ, ist fast totaler Obskurität gewichen. Für Licht muss man schon eintauchen in die Straßen, dann allerdings springen einen die digitalen Werbefiguren und Neonbeleuchtungen wie ausgehungerte Hyänen an.

Replikanten träumen davon, Menschen zu sein

Eine Öko-Katastrophe hat die Weltordnung Anfang der 2020er verschoben und ganze Landstriche der USA unbewohnbar gemacht. Der Rest der Welt spielt keine Rolle, allerdings nicht im Trump’schen Sinn – wer 2049 auf der Erde lebt, hat es offenbar nicht in „die neuen Kolonien“ geschafft und fristet ein tristes Dasein daheim. Neue, weniger aufsässige Modelle von Androiden sollen diesen Menschen helfen. Es ist schwer zu sagen, was sich die Menschen in diesem Alltag noch wünschen sollen, aber die Replikanten der Generation Nexus 9 träumen offenbar davon, Menschen zu sein. Ihre einst verbotenen Vorläufer sind fast komplett ausrangiert, Blade Runner wie Agent K (Ryan Gosling, im unterkühlten „Drive“-Modus) sorgen dafür, dass auch der Rest „in den Ruhestand geschickt“ wird.

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Bei einem Einsatz jedoch stößt er auf eine Lebensform, die nicht nur den Gesetzen der Natur, sondern auch jenen der Bio-Genetik widerspricht. Fortan wird nichts mehr so sein wie bisher, da K sich in einem Alltag eingerichtet hatte, in dem er nach Dienstschluss mit einer holographischen Schönheit (Ana de Armas) Kontakt pflegte. Nun zerren verschiedene Kräfte an ihm: vom ultrareichen, aber auch blinden Erdenretter Wallace (Jared Leto) und seiner harten rechten Hand Luv (Sylvia Hoeks) über Untergrundkämpfer bis zu seiner Vorgesetzten bei der Polizei. Was mit ihm los sei, will Lieutenant Joshi (imperial: Robin Wright) wissen, als K zunehmend irritiert wirkt. Er sei doch auch ohne Seele gut ausgekommen.

Man muss das Original nicht kennen

Diese Zeiten sind freilich vorbei, sobald die Vergangenheit Besitz von K ergreift. Seine Detektivarbeit beschränkt sich nicht mehr darauf, Wesen aufzuspüren wie den ehemaligen Blade Runner Rick Deckard (Harrison Ford), der seit 30 Jahren verschollen ist. K beginnt darüber hinaus, sein eigenes Dasein infrage zu stellen und zu ermitteln, von wem seine Erinnerungen stammen, vor allem jene mit einem geschnitzten Holzpferd, die ihn seit Jahren verfolgt.

Bemerkenswert an „Blade Runner 2049“ ist, dass man das Original nicht kennen muss, um dem Geschehen folgen zu können. Aber es erhöht das Vergnügen, dabei zuzusehen, wie Verbindungen hergestellt werden. Die Verantwortlichen schließen subtil die Brücke zwischen den Filmen. Außerdem hat das Thema der Art- und Blutsverwandtschaft den Regisseur Denis Villeneuve seit jeher interessiert, von „Die Frau, die singt“ über „Enemy“ bis zu seinem vergangenen Film, „Arrival“.

Ein Wagnis im doppelten Sinn

Als dieses Sci-Fi-Wunderwerk im Herbst 2016 herauskam, hatten die Dreharbeiten zu „BR 2049“ längst begonnen, und allen Beteiligten war klar, dass der Kanadier keinen gewöhnlichen Genrefilm vorlegen würde – schon der umwerfende Thriller „Sicario“ (2015) war gegen den Strich gebürstet. Villeneuve kommt vom Kunstkino („Der 32. August auf Erden“) und beweist seit ein paar Jahren, dass dieser Werdegang bei großen Projekten von Vorteil sein kann; dass es erfrischend ist, bei einem Film wie „BR 2049“ mal nicht an große Action-Meister zu denken, sondern zunächst an Werke und Arrangements des russischen Regisseurs Andrej Tarkowski, dem ungekrönten König des Slow-Kinos.

Das Original aus dem Jahr 1982

Der originale „Blade Runner“ war ein Meisterwerk zur falschen Zeit. Die Verfilmung von Philip K. Dicks „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ kam 1982 in die US-Kinos – zu jenem Zeitpunkt, als Amerika sich in „E.T.“ verliebte und keine Lust auf finstere Zukunftsvisionen hatte. Der Erfolg in Europa änderte nichts daran, dass „Blade Runner“ als kostspieliger Flop galt. Später wuchs auch in Amerika die Bewunderung für den Film, dessen visuelle Ideen hundertfach nachwirkten. 2007 legte Ridley Scott den „Final Cut“ vor. Da stand „Blade Runner“ längst im Ruf, eines der besten Werke der Filmgeschichte zu sein. Auch deshalb wagte sich über 30 Jahre lang niemand an eine Fortsetzung. (Mp)

Villeneuve lässt sich bei der Laufzeit sogar noch mehr Zeit als Tarkowski einst bei „Stalker“. Das ist ein Wagnis im doppelten Sinn. Dass es nicht immer aufgeht, liegt weniger an der Länge von 164 Minuten als an der Tatsache, dass der Film nach seinem formidablen Beginn im zweiten Drittel etwas vom Weg abkommt. Und dass es – ganz anders als etwa bei „Sicario“ oder „Arrival“ – Probleme mit dem dritten Akt gibt. Auch wenn das Setting für den Showdown fast so spektakulär ist wie die anderen atemberaubenden Bauten, Designs und Kamera-Operationen, fällt die Action vergleichsweise konventionell aus. Niemand konnte erwarten, dass das unvergessliche Tête-à-Tête von Deckard und Ober-Android Roy (Rutger Hauer) aus dem Original getoppt werden könnte – dass Harrison Ford für den 2049er-Höhepunkt (bewusst?) außer Gefecht gesetzt wurde, ist allerdings eine zumindest kuriose Entscheidung.

„Eine beachtliche Erfahrung, in Furcht leben zu müssen“, war einer der Kernsätze aus dem ersten „Blade Runner“, der dank Ridley Scotts überirdischer Inszenierung auch heute noch moderner und visionärer aussieht als die allermeisten aktuellen Filme. Mit den Jahren konnten Liebhaber des Films die Aussage auch auf die Furcht vor einer Hollywood-Fortsetzung umdeuten. Als diese unvermeidlich wurde, blieb die vage Hoffnung, dass jemand mit mehr Sensibilität vorgehen würde als zum Beispiel Ridley Scott bei seinen halbgaren neueren „Alien“-Ausgeburten. Villeneuve ist es zu verdanken, dass die Hoffnung nicht betrogen wurde. Ob das Werk das Zeug hat, wie das Original zu einem Monolithen der Filmgeschichte zu werden, kann sowieso nur die Zeit zeigen.

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