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„Das Imperium schlägt zurück“So provozieren die Zeitungen nach dem Brexit

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Brexit Zeitungen 3

Eine Frau liest in der Londoner U-Bahn eine Abendzeitung am Freitag.

Berlin/London – Zwei Tage nach dem EU-Referendum in Großbritannien haben sich die Zeitungen auf der Insel des Themas angenommen. Eine Auswahl.

Großbritannien 

„The Times“: „Der Brexit-Schock hat Großbritannien in seinen Grundfesten erschüttert gestern. David Cameron war gezwungen, seinen Rücktritt zu verkünden. Das Votum hat zu einem Einbruch an den globalen Märkten geführt und das Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs eingeläutet.“

„Daily Mail“: „Das war der Tag, an dem Menschen, die zuvor geschwiegen hatten, aufgestanden sind gegen eine arrogante politische Klasse und eine hochmütige Brüsseler Elite.“

Alles zum Thema Angela Merkel

„The Guardian“: „Schon jetzt haben die Konsequenzen des Votums begonnen, die Zukunft Großbritanniens in einer grundlegenden und gefährlichen Weise zu verändern.“

„Scottish Daily Mail“: „Das Abstimmungsergebnis hat David Cameron dazu gezwungen zurückzutreten und den Traum der schottischen Regierungschefin Nicola von der Unabhängigkeit wiederbelebt.“ 

Einige Londoner Boulevard-Zeitungen haben sich besonders provokante Überschriften ausgedacht.

Die Deutschen Kommentare

Deutschland

„Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung“: „Der Brexit kann eine Chance sein, die EU grundlegend neu und demokratischer aufzustellen. ... Dazu muss rasch und entschlossen gehandelt werden. Ein „Weiter so“ wäre Selbstmord.“

„Saarbrücker Zeitung“: „Die EU ... muss diesen Moment als Weckruf begreifen und auch ohne den Sonderschüler Großbritannien notwendige Reformen einleiten, ein positiveres Bild der EU zeichnen, Lust machen auf Europa und ja, warum nicht, Begeisterung wecken.“

„Mittelbayerische Zeitung“: „Es ist die Stunde der Populisten. Aber es muss eben eine Stunde bleiben. Kein Land der EU wird auf Dauer alleine in einer Welt globalisierter Märkte über die Runden kommen.“

„Rheinische Post“: „Und nun? Aus der Schockstarre muss im Club der nunmehr 27 eine selbstkritische, aber am Ende selbstbewusste Reaktion erwachsen. ... Der Brexit als Chance für einen Neustart.“

„Emder Zeitung“: „Der relative Wohlstand in Europa, die starke Wirtschaft, die relative Sicherheit, der Frieden und die Völkerverständigung - das alles ist auch ein Verdienst Europas und des Euros. ... Wenn Europa aus dem Brexit nicht lernt, dann ist es verloren. Und die Nationalisten gewinnen wieder die Überhand.“

„Märkische Oderzeitung“ (Frankfurt/Oder): „Gemeinsam mit Frankreichs Präsident François Hollande muss Bundeskanzlerin Angela Merkel nun eine akzeptable Balance finden zwischen nationalen Interessen und europäischer Politik. Von ihrer beider Erfolg hängt nun die Zukunft des Bündnisses ab.“

„Badische Neueste Nachrichten“ (Karlsruhe): „Immerhin: Nach dem ersten Schock vermag man auch ein „Jetzt-erst-recht“ zu erkennen, eine neue Art von EU-Patriotismus. Vielleicht schafft es ausgerechnet die Abkehr eines großen Mitglieds, mehr europäische Emotionen zu wecken, als es dem Werben um Zusammenhalt bisher gelungen war.“

„Sächsische Zeitung“ (Dresden): „Die Gemeinschaft und ihre Institutionen haben etwas Wichtiges verloren: das Vertrauen der Bürger in ihre Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.“

„Lübecker Nachrichten“: „Der Brexit macht Großbritannien schwächer. Da darf man es in London nicht übelnehmen, wenn sich Leute anderswo in Europa augenrollend an die Stirn tippen und Obelix zitieren: „Die spinnen, die Briten“.“

„Neue Osnabrücker Zeitung“: „Nach dem Abebben des Schocks entscheidet sich die Zukunft Europas an zwei Themen: Flüchtlingskrise und Euro-Schuldenkrise. Europas Kernstaaten, Frankreich und Deutschland, müssen Antworten liefern. Dazu gehört, die Macht der EU-Kommission zu beschneiden und die Bürger neu vom Projekt Europa zu überzeugen.“

„Stuttgarter Zeitung“: „Vor allem aber steht nun eine Debatte darüber an, welche EU wir eigentlich wollen, denn es ist ja nicht nur Cameron, der die Niederlage zu verantworten hat.“

„Der Tagesspiegel“ (Berlin): „Jetzt muss Europa britischer werden. Es muss wirklich demokratisch werden. Das Parlament muss alle Rechte eines Parlaments bekommen, muss über Einnahmen und Ausgaben entscheiden, die „Regierung“, die Kommission, wählen. Die Macht in der EU muss auf die Menschen übergehen.“

„Fränkischer Tag“ (Bamberg): „Mehr Demokratie durch Volksabstimmung? Ein klares Nein: Das bringt nur mehr Spaltung und noch mehr Wut. Allein diese Erfahrung macht es möglich, dass der 23. Juni 2016 ein guter Tag für Europa werden kann.“

„Hamburger Abendblatt“: „Die Herausforderungen von heute - Terror, Demografie, Finanzkrise, Flüchtlingsnot, Klimawandel, Digitalisierung - wird man nicht lösen, indem man Schlagbäume herunterlässt, Mauern hochzieht und sich abschottet. Die Europa-Gegner haben unrecht.“

Die Stimmen ausländischer Zeitungen

Italien

„Il Messaggero“: „Aber es ist schwer, in dieser Scheidung auf Englisch nicht vor allem eine klare Botschaft an (Kanzlerin Angela) Merkel zu sehen. Eine echte Warnung im Interesse aller europäischen Bürger. Europa hat es nicht verdient, unter deutscher Fuchtel zu stehen.“

Schweiz

„NZZ“: „Eine offene Debatte über den Zweck und die Verfassung der Europäischen Union ist überfällig. Sie ist die einzige Chance, die in allen Teilen Europas wachsende Schar der Euroskeptiker und EU-Hasser für die gemeinsame Idee zurückzugewinnen.“

Niederlande

„NRC Handelsblad“: „Die Europäische Union hat vernünftig auf das Ergebnis des Referendums reagiert, mit dem die Großbritanniens Mitgliedschaft in der Union beendet wird: entschlossen, aber nicht auf Rache sinnend.“

Spanien

„El País“: „Viele Briten stimmten für den Brexit in dem Glauben, dass ihr Land dadurch die Macht des Imperiums zurückerlangen würde. Sie werden vielleicht sehr rasch einsehen, dass das Land schwächer geworden ist. Denn es gibt Zonen - Schottland, Nordirland, Gibraltar? -, die sich mit der neuen Lage nicht anfreunden können.“

Rumänien

„Evenimentul Zilei“: „Es (das Votum der Briten) wird klare geopolitische Folgen haben. Russland hat dabei sehr viel zu gewinnen.“

Tschechien

„MF Dnes“: „Auch andernorts werden sich die Menschen nun um eine Volksabstimmung bemühen, vor allem in Schweden, den Niederlanden und möglicherweise auch in Österreich. Mit dem Austritt Großbritanniens beginnt ein langsamer und langfristiger Zerfallsprozess der EU.“

Belgien

„De Tijd“: „Der vom Brexit aufgewirbelte Staub muss sich erst noch legen. Aber bereits jetzt ist deutlich, dass es um mehr geht, als nur um ein britisches Phänomen. Auch anderswo in Europa ist das Misstrauen gegenüber der EU groß.“ (red, dpa)

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