Green Day in der Lanxess-ArenaTausende Egos werden zur fröhlich moshenden Gemeinde

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt (1)

Green Day auf einem Konzert im Januar 2017 in Prag.

Köln – Ein rosa Häschen tanzt zum „Blitzkrieg Bop“ der Ramones, dann nimmt es Anlauf und wirft sich in die wogende, pogende Menge. Schon betreten Green Day die Bühne, das Kerntrio plus drei Tourmusiker, schließen ihre Instrumente an die Verstärker und beschleunigen von Null auf Hundert in drei Powerakkorden. „Do You Know the Enemy“ fragt Frontmann Billie Joe Armstrong. Die Antwort fällt dieser Tage nicht schwer. „Wir sind alle ein Haufen verdammter Flüchtlinge, Mann“, ruft Billie Joe. „Und wir sind keine Bande von Faschisten, Mann.“

Genug gepredigt, Mann. Als er zusammen mit dem Bassisten Mike Dirnt die Band gründete, die Green Day werden würde, war er ein rotznasiger Teenager. Ein unglücklicher rotznasiger Teenager, der früh seinen Vater verloren hatte und diese Leerstelle nun mit Punk und Gras füllte. Das war noch in den 80ern, inzwischen haben Armstrong und seine kiffenden Komplizen ihre Adoleszenz bis  Mitte 40 verlängert. 

Neues Album zur Tour

Aber das ist nicht das Ergebnis innerer Unreife, sondern Ausweis ihres Berufsethos. „Für immer Punk“, hatten einst Die Goldenen Zitronen Bob Dylans „Forever Young“ umgedichtet. Green Day haben sich diesen Traum nicht nur erfüllt, sie sind gleichzeitig Major-Label-Band und Millionäre geworden, haben sich mit dem Konzeptalbum „American Idiot“ in der Tradition von The Whos Pete Townshend noch einmal neu erfunden, ja sie haben ein verdammtes Broadway-Musical produziert - und flippen noch immer mit schwarz-blond-grüngefärbten Haaren über die Bühne, als spielten sie gerade ihren ersten Gig im Underground, und nicht in der Lanxessarena vor 16.000 Fans jeden Alters.

Alles zum Thema Konzerte in Köln

Es gibt sogar ein aktuelles Album zur Tour, „Revolution Radio“, von dem man nur sagen kann, das es eben klingt, wie ein Green-Day-Album. Sicher nicht mehr so frisch wie damals „Dookie“, mit sie 1994 den längst historisch verkrusteten Drei-Akkorde-Punk der Ramones, der Sex Pistols und der Buzzcocks in Mainstream-kompatiblen Powerpop verwandelten, zusammen mit geistesverwandten Kindsköpfen wie The Offspring und Blink-182. Aber viel frischer, als man das für möglich halten sollte. 

Und warum genau nimmt man ihnen das ab? Das Kölner Konzert liefert alle Antworten. Hier habe sich keine anonyme Masse versammelt, ruft Armstrong, das hier sei eine Zusammenkunft. „Ich will keine Selfies mehr sehen, ich will Gesichter sehen!" Immer wieder formt er sein Publikum zum Chor, dirigiert einzelne Sektionen, lässt Lieder anstimmen, die jeder mitsingen kann, „Hey Jude“ und „Always Look on the Bright Side of Life“ (man wartet beinahe auf „Viva Colonia“), er holt Fans aufs Podium, überlässt einem jugendlichen Gitarrenhelden sein Instrument, schenkt es ihm am Ende sogar. 

Green Day versucht sich in Deutsch

Das ist alles große Show, wie die Böller, T-Shirt-Kanonen, Funkenregen und Flammenwerfer, die hier üppig zum Einsatz kommen. Aber es ist eine Show, die sich eine Aufgabe gesetzt hat und sie auch erfüllt: Aus tausenden von Ego-Monaden sollen Anteilnehmende werden, eine fröhlich moshende, grölende Gemeinde. Bezeichnenderweise verzichtet die Band auf Videoschirme, niemand soll hier größer sein, als der jeweils andere. Das ist der Punk-Kern, den Green Day niemals verraten haben. Sie haben das Geld, die Arenen und die Gitarren, aber sie sind keine Rockstars.

Anstelle eines Schlagzeugsolos rennt Drummer Tré Cool zu einem albernen Tänzchen an die Rampe und verkündet in gebrochenem Deutsch: „Ich haben ein kleinen Schniedelwutz“ und der Saxophonist stimmt in nicht ganz ernst gemeinter Hommage „Careless Whisper" an. 

Ihre Kunst allerdings nehmen Green Day ernst. Die mag weder virtuos, noch besonders innovativ sein, aber dafür ungemein effektiv: Zweieinhalb Stunden lang halten sie die aufgekratzte Stimmung, ob sie nun alte Radiofavoriten wie „When I Come Around“ und  „Basket Case“, Songs vom neuen Album oder wilde, herrlich unsinnige Medleys raushauen, selbst an einer Punk-Symphonie wie „Jesus of Suburbia“ verheben sie sich nicht. 

Zum Abschluss sprechen die Arena-üblichen Konfettikanonen, doch allemal bemerkenswerter ist, dass Billie Joe Armstrong nun ganz allein mit Akustikgitarre auf der Bühne steht und singt: „Es ist etwas Unvorhersehbares, aber am Ende macht es Sinn, ich hoffe, ihr hattet die Zeit eures Lebens.“ Unvorhersehbar sind Green Day schon lange nicht mehr. Aber auf einfachste, direkteste Art immer noch erhebend. Am End fühlt man sich selber wie das rosa Häschen vom Auftakt, bereit zum Sprung in die Menge.

KStA abonnieren