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Bestellerautor Peter Wohlleben„Weihnachtsbäume sind wie Kartoffeln“

Lesezeit 10 Minuten
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Buchen-Baumkronen im Herbst

Herr Wohlleben, Sie haben ein Buch über das geheime Leben der Bäume geschrieben – und eins über das Seelenleben der Tiere. Beide waren in diesem Jahr monatelang auf den Bestseller-Listen. Was sagt es über die Deutschen aus, dass sie Ihre Bücher lieben?

Erst dachte ich, die Deutschen mit ihren Märchen haben eben einen kleinen Spleen und sind waldverrückt. Aber interessanterweise funktioniert das Baum-Buch ja auch international sehr gut, in mittlerweile über 30 Ländern. Es gibt als offenbar in jedem Land eine Art Naturverbundenheit. Vielleicht schwingt da momentan ein Pendel zurück: 200 Jahre lang haben wir Natur sehr technisch und andere Lebewesen als eine Art Bio-Roboter gesehen, die wir ausbeuten können. Mittlerweile weiß man, dass alle anderen Arten, also auch die Bäume, neben uns mehr sind als nur ihren genetischen Code abarbeitende Maschinen. Viele Menschen haben das intuitiv gespürt und sind froh, über meine Bücher die Bestätigung dafür zu bekommen.

Sie schreiben über Familien im Wald und Bäume, die Sonnenbrand und Falten bekommen. Sind Bäume uns viel ähnlicher, als wir denken?

Auf jeden Fall. Bäume unterstützen sich bedingungslos, weil sie wissen, dass ein einzelner Baum die Gemeinschaft braucht, um zu überleben. Man merkt ja bei uns, dass prompt Sand ins Getriebe kommt, wenn der Nationalismus erstarkt so wie derzeit und die Solidarität zwischen Staaten nachlässt. Die Wirtschaft zittert. Bei Bäumen ist das genauso: Wenn Bäume alleine stehen, in der Stadt zum Beispiel, werden sie nicht so alt. Bäume geben sogar über ihre Wurzeln Zuckerlösung an andere, kranke Exemplare in der Nähe ab. Dafür bekommen sie dann Hilfe, wenn sie Hilfe benötigen, was ja nichts anderes ist als unser menschliches Sozialsystem.

Unter Menschen geht es nicht immer harmonisch zu. Im Wald schon?

Im Wald gibt es natürlich auch Drama, aber vor allen zwischen den verschiedenen Arten, zum Beispiel zwischen Eichen und Buchen. Buchen attackieren Eichen regelrecht und graben ihnen das Wasser ab. Allerdings sind unterschiedliche Baumarten teilweise genetisch weiter voneinander entfernt sind als wir von Goldfischen. So ein Verhalten ist also kein Rassismus unter Bäumen, sondern genau wie bei uns auch: Auch wir nutzen andere Arten aus und nehmen keine Rücksicht auf sie. Genauso weisen Kiefern zum Beispiel die sie umgebenden Pilze an, winzigste Bodenlebewesen umzubringen, wenn es ihnen schlecht geht, weil sie zu wenig Stickstoff haben – weil dadurch Stickstoff im Boden frei wird. Da werden übrigens klar brutale Entscheidungen getroffen, das sind keine vollautomatisch ablaufenden Prozesse.

Zur Person

Peter Wohlleben, 1964 in Bonn geboren, arbeitet als Förster im Forstrevier Hümmel in der Eifel. Dort organisiert er seit 25 Jahren auch Waldführungen.

Seine Bücher „Das geheime Leben der Bäume“ (223 Seiten) und „Das Seelenleben der Tiere“ (240 Seiten) sind im Verlag Ludwig erschienen.

Am 14. März 2017 tritt Wohlleben auf dem Literaturfestival lit.Cologne gemeinsam mit dem Philosophen Richard David Precht auf. Die Veranstaltung ist bereits ausverkauft. (sbs)

waldakademie-huemmel.de

Bäume können sprechen, behaupten Sie. Wie kann man sich diese Sprache vorstellen?

Bäume haben ein umfangreiches Repertoire an chemischen Signalen mit denen sie sich untereinander warnen können, zum Beispiel gegen Insektenattacken. Ein Baum in Schwierigkeiten informiert sofort seine Nachbarn. Das kann ein Geruch sein, den er absondert. Und die können sich dann vorbereiten, zum Beispiel Bitterstoffe produzieren, die den Insekten nicht schmecken. Bäume kommunizieren auch über ihre Wurzeln, elektrisch und chemisch. So funktioniert übrigens auch unser Nervensystem. Diese Kommunikation dauert allerdings etwas länger, eine Stunde pro Meter etwa.

„Bäume kommunizieren über das Pilz-Netzwerk”

Und dann gibt es noch das Wood Wide Web.

Genau. Für Kommunikation über weitere Strecken nutzen Bäume das Pilznetzwerk, das den Boden zu Hunderttausenden von Kilometern durchzieht, um Nachrichten weiterzuleiten. Bäume kommunizieren aber auch mit Tieren. Wenn Ulmen von Raupen gebissen werden, können sie anhand des Raupenspeichels feststellen, um welche Raupenart es sich handelt. Dann rufen sie die Fressfeinde der Raupen herbei, Schlupfwespen etwa, die Raupen von innen auffressen.

Bäume gehen sogar auf Toilette, schreiben Sie. Das darf man sich jetzt aber nicht wortwörtlich vorstellen, oder?

Nein. Aber interessant finde ich, dass wir uns bei einem Elefanten sofort vorstellen können, dass der mal was ablassen muss, bei Bäumen aber nicht. Dabei sind das auch große Organismen, die Zucker in ihren Zellen verbrennen und Ballaststoffe haben, die sie loswerden müssen. Das machen sie im Herbst, wenn sie Chlorophyll und Reservestoffe rausziehen aus ihren Blättern, und stattdessen Stoffe reinfüllen, die sie nicht brauchen. Die Blätter werden dabei ja lustigerweise auch braun, auch so eine Analogie zu uns. Das Laubabwerfen ist definitiv das große Geschäft der Bäume.

Die Kommunikation unter Bäumen und Familienbande gibt es nur in natürlichen Wäldern. Wie viele deutsche Wälder existieren denn noch, in denen nicht geschwiegen und gefremdelt wird?

Echte Urwälder gibt es in Deutschland keinen einzigen Quadratmeter mehr. Urwaldähnlich sind höchstens noch drei Promille. Ursprünglich gab es hier lauter Buchenurwälder. Vor einigen Jahren war der Forstchef aus dem Iran in Deutschland zu Besuch, dort gibt es die letzten großen Buchenurwälder der Erde. Der würde einen deutschen Wald überhaupt nicht als Wald bezeichnen. Sondern als Plantagenlandschaften.

Ein Wald, der gar kein Wald ist: Das sind keine guten Nachrichten.

Der Wald-Zustand ist hierzulande schlecht, aber nicht hoffnungslos. Schön finde ich, dass sich wieder mehr Menschen für den Wald interessieren. Weil sie die Hintergründe, unter anderem durch mein Buch, genauer kennen, fangen sie an, den Förstern in ihrem Wald kritische Fragen zu stellen.

Wenn Sie eine Waldspaziergang-Länge Zeit mit Frau Merkel hätten, was würden Sie von ihr fordern?

Gar nichts. Ich würde zusehen, dass sie viel Freude hat am Spaziergang. Ich würde ihr Mutterbäume zeigen, die sich um den Nachwuchs kümmern, dickköpfige Bäume, besondere Baumfreundschaften. Wenn sie das alles wüsste, könnte sie bei einer anstehenden Entscheidung möglicherweise besser beurteilen, was wirklich gut ist für Bäume.

„Stadtbäume: Das ist eigentlich wie Schweinemast für den Baum”

Aber wir haben doch jetzt Weihnachten. Sie hätten einen Wunsch frei!

Dann würde ich mir wünschen, dass mehr Bürger begreifen, dass der Wald ihnen gehört und dass sie viel mehr fordern können. Vor den Toren Kölns im Königsforst haben sich Bürger auf einem 400 Hektar großen Naturschutzgebiet dafür stark gemacht, dass dort nicht mehr mit Großmaschinen abgeholzt wird. Das war eine kleine Initiative, die Erstaunliches erreicht hat.

Apropos Spaziergang: Kann man da im Wald viel falsch machen als Mensch?

Nein. Leise muss man entgegen landläufiger Meinung jedenfalls auf gar keinen Fall sein. Für die Wildtiere ist es viel entspannter, wenn Kinder im Wald fangen spielen und rufen. Dann wissen sie, dass es sich nicht um Jäger handelt, die sie töten wollen.

In Köln gibt es auch viele Bäume ohne Wald. Stadtbäume sind die Straßenkinder unter den Bäumen, schreiben Sie. Warum?

Das hat mehrere Gründe. Sie wachsen viel zu schnell, weil sie zu viel Licht haben. Das ist eigentlich wie eine Schweinemast für den Baum. In einem Urwald braucht ein Baum 200 bis 300 Jahre, bis er erwachsen wird. Solange steht er im Schatten seines Mutterbaums, wird aber auch versorgt. Er wächst langsam, aber stabil. Dadurch kann er sehr alt werden. Stadtbäume werden gepflanzt, wenn sie schon möglichst groß sind. Man beschneidet ihnen also die Wurzeln, auch die sensiblen Strukturen, wo gehirnähnliche Prozesse stattfinden. Man setzt also einen Krüppel aus, dessen Wurzeln sich nicht mehr regenerieren. Der Baum wächst relativ orientierungslos und kann keine Netzwerke mehr bilden. Außerdem ist das Klima in der Stadt viel extremer. Die Luft ist trocken, der Sommer heißer, der Winter kälter als im Wald. Es herrscht also kein ausgeglichenes Klima. Und wenn der Baum Pech hat und neben einer Straßenlaterne steht, kann er nachts auch nicht gut schlafen. Bäume müssen aber nachts schlafen. Wer neben einer Laterne steht, stirbt als Baum definitiv früher.

Wie deprimierend.

Ja, darüber könnte man jetzt jammern, aber letztlich ist es wie im Zoo: Ein Tiger im Zoo wird auch nicht so alt wie in Freiheit. Andererseits kann man den Tiger im Zoo überhaupt erst kennenlernen und sich für den Schutz einsetzen und sich an der Natur freuen. Genau das ist eine Aufgabe von Stadtbäumen. Und darum begrüße ich es, wenn in der Stadt Bäume gepflanzt werden, auch wenn es denen schlechter geht als im Wald.

In Städten rückt das Grünflächenamt regelmäßig aus, schneidet Kronen zurück oder Äste, um Gefahr durch sie zu vermeiden. Tut das der Försterseele weh?

Ja, wenn man sieht, wie manche Bäume geschnitten werden. Menschenleben gehen vor, gar keine Frage, aber viele Bäume werden so brutal verstümmelt, dass sie schwer verletzt sind. Das ist schon deshalb nicht in Ordnung, weil Bäume Schmerzen verspüren. Außerdem dringen in die großen Schnittflächen innerhalb von Minuten Pilzspuren ein und fügen weiteren Schaden zu. Häufig müssen die verstümmelten Bäume dann nach zehn bis 20 Jahren ganz gefällt werden. Es gibt unter den Baumpflegern aber auch die sensiblen, die einen Baum so beschneiden, dass der Baumcharakter erhalten bleibt.

„Kein Mitleid mit Weihnachtsbäumen”

Momentan kommen wir massenhaft auf den Baum. Den Weihnachtbaum. Macht Sie das glücklich?

Definitiv. Ich habe selber auch einen. Fichten zum Beispiel sind hier ja gar nicht heimisch. Da schadet es nicht, wenn die Stück für Stück aus dem Wald kommen. Und die normalen Weihnachtsbäume heutzutage kommen ja zu 95 Prozent aus Plantagen. Das sind Ackerfrüchte wie Kartoffeln oder Kohl. Landwirtschaftliche Produkte. Ein Weihnachtsbaum ist ein Konsumartikel und hat mit Wald nichts zu tun. Man sollte allerdings drauf achten, wie er produziert worden ist. Ein Weihnachtsbaum sollte ein Ökosiegel haben. Denn wenn er gespritzt wurde, dampft er in der weihnachtlichen Stube lauter Chemikalien aus.

Zur Person

Peter Wohlleben, 1964 in Bonn geboren, arbeitet als Förster im Forstrevier Hümmel in der Eifel. Dort organisiert er seit 25 Jahren auch Waldführungen.

Seine Bücher „Das geheime Leben der Bäume“ (223 Seiten) und „Das Seelenleben der Tiere“ (240 Seiten) sind im Verlag Ludwig erschienen.

Am 14. März 2017 tritt Wohlleben auf dem Literaturfestival lit.Cologne gemeinsam mit dem Philosophen Richard David Precht auf. Die Veranstaltung ist bereits ausverkauft. (sbs)

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Einige legen sich lieber einen Weihnachtsbaum mit Wurzeln im Topf zu. Ist das die bessere Alternative?

Nein. Zunächst einmal reißt man den Baum ja aus seinem Winterschlaf, was für ihn – wie bei einem Igel ja auch – sehr ungesund ist. Nach Weihnachten bringt man ihn dann wieder in den kalten Winter raus. In vielen Fällen überlebt der Baum das zwar, aber im Topf sind die Wurzeln ja wieder beschnitten. Das heißt, man pflanzt einen Krüppel aus, am besten noch in den eigenen Vorgarten, wie es in den 70er und 80er Jahren stark in Mode war. Überall sieht man heute diese Blaufichten, die jedes Jahr größer werden und wegen ihrem verkrüppelten Wurzelwerk keine große Standfestigkeit haben. Das Risiko, dass die im Sturm aufs Haus fallen, ist sehr groß. Und es ist richtig teuer, solche großen Bäume entfernen zu lassen.

Kein falsches Mitleid mit Weihnachtsbäumen also?

Genau. Wenn man wirklich etwas für Bäume tun möchte, sollte man Holz und Papier mit entsprechendem Ökosiegel kaufen, weil das auf eine vernünftige Waldbewirtschaftung hindeutet. Oder den Förster loben, wenn er die Arbeit im Wald mit Rückepferden erledigt statt mit Maschinen. Beim Weihnachtsbaum ist man ganz am Ende der Fahnenstange, was den Waldschutz anbelangt.

Als welcher Baum würden Sie gerne wiedergeboren werden?

Unbedingt als Buche, weil die so sozial ist. Ich lebe unheimlich gerne in der Familie, mit meinen Kindern. Das tun die Buchen auch am liebsten.

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