Bettina Böttinger„Es nervt mich wahnsinnig, dass Köln relativ dreckig ist“

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Bettina Böttinger

Köln – Frau Böttinger, Sie haben mal gesagt, wenn es ums Älterwerden geht, sei es ein großer Einschnitt, 60 zu werden. Warum?

Naja, ich möchte keinen Rentnererlass. Ich bin zu eitel, um die Bahnvergünstigung in der Schweiz in Anspruch zu nehmen. Und ich werde auch beim Skifahren nicht sagen, ich möchte es etwas billiger haben. Aber eins ist mir wirklich wichtig: Ich hätte mit 50 nicht gedacht, dass ich in der Zwischenzeit so viele Freunde verliere, auch jüngere. Deshalb ist es eigentlich ein gutes Gefühl, jetzt 60 zu werden, denn die Alternative ist bitter.

Sie mussten kurz hintereinander schmerzliche Verluste ertragen. Ihre Mutter starb, kurz darauf eine gute Freundin. Und dennoch haben Sie Ihre Sendung weitergemacht. War das nicht zu viel?

Alles zum Thema Henriette Reker

Ich bewundere Leute, die sagen, sie würden alles im Leben noch mal genauso machen. Ich würde vieles heute nicht mehr so machen. Man kann daran aber erkennen, dass ich sehr diszipliniert bin, viel Kraft in meinen Job stecke und den Schalter umlegen kann. Dieses Verhalten hat sich allerdings gerächt und ich brauchte eine Auszeit.

Relativieren solche Erlebnisse die Bedeutung, die man dem Job beimisst?

Ich habe in meinem Leben vielleicht zu viel gearbeitet. Ich kann schlecht Nein sagen und teile mir meine Energie oft etwas leichtsinnig ein. Ich hab hinterher oft gedacht, das war jetzt für einen guten Zweck, aber die Zeit hätte ich vielleicht auch mit meiner Mutter verbringen können. Das hat sich relativiert. Aber manches ist nicht richtig gelaufen, was die Gewichtung angeht.

Bettina Böttingers Weg zum Journalismus

Wie sind Sie eigentlich Journalistin geworden?

Ich bin ein Kind der Zeitung. Ich habe bei der „Bonner Rundschau“ angefangen, als ich noch studierte. Und auf meinen ersten, winzigen Artikel hat sich jemand gemeldet. Das war eine Initialzündung. Oh Gott, es wird gelesen, dachte ich. Das gab mir ein Gefühl von Wichtigkeit. Mein beruflicher Anfang hat mich geprägt. An der Basis anzufangen, mit Menschen zu kommunizieren, war ein guter Start.

Sie wurden dann freie Mitarbeiterin im Regionalstudio Bonn des WDR, erhielten bereits nach sechs Wochen das Angebot Redakteurin zu werden und wurden nach mehreren Stationen schon Leiterin von „Hier und Heute“. Wie kam es dann zum Wechsel in die Unterhaltung?

Das ist mir passiert. Mir ist manches einfach passiert. Ich war keine Karriereplanerin. Vieles hat sich ergeben. Durch den fluchtartigen Weggang von Roger Willemsen entstand ein Sendeloch. Und dann fragte mich der damalige Intendant Friedrich Nowottny, ob ich nicht dessen geplante Sendung machen wolle. Das war der Einstieg. Durch die Medienshow „Parlazzo“, die sehr frech und unbequem war, wussten sie, dass ich moderieren kann. Ich war ja fest angestellt, und wenn es schiefgegangen wäre, dann wäre das kein Risiko für den WDR gewesen. Aber es lief zum Glück von Anfang an gut.

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Bettina Böttinger

Sie haben sich dann 1994 mit einer eigenen Firma selbstständig gemacht. Ist es Ihnen schwergefallen, die Sicherheit der Festanstellung aufzugeben?

Ich habe es einfach gemacht. Es war sogar ein halbes Jahr vor der Betriebsrente. Aber ich hab gedacht: Jetzt habe ich die Chance mir ein Team zusammenzustellen und kann die Sendung nach meinen Vorstellungen weitermachen.

Haben Sie den Schritt mal bereut?

Ich arbeite sehr gerne und war bereit, dieses Risiko einzugehen. Ich habe mich oft gefragt, was aus mir geworden wäre, wenn ich im WDR geblieben wäre. Auslandskorrespondentin war einmal ein Ziel. Heute, vor dem runden Geburtstag, muss ich sagen: So ist es gut gelaufen. Ich habe viel gewagt, aber es hat sich gelohnt.

Sie hätten auch gerne mal im Ausland gearbeitet, sind Köln aber immer treu geblieben. Welches Verhältnis haben Sie zu der Stadt?

Ich habe mich ja als gebürtige Düsseldorferin nicht zufällig für Köln entschieden – und auch nicht nur, weil hier meine Arbeitsstätte ist. Der Kölner an sich ist ja gerne besoffen von sich selber. Das geht mir ein bisschen auf die Nerven. Aber nur ein bisschen. Gelegentlich saufe ich auch mit. Ich bin eine Frau, die gerne hier lebt, gerne hier arbeitet und gerne mit den Leuten zu tun hat. Die Atmosphäre macht’s.

Was Bettina Böttinger an Köln stört

Und was stört sie an Köln?

Mir geht in Köln auf die Nerven, dass ich das Gefühl habe, dass manche Sachen schludern. Wenn ich mir etwa die öffentlichen Verkehrsmittel angucke – da will mir manches nicht in den Kopf. Ich kann auch nicht begreifen, dass man keinen Plan B für die Oper hat. Es nervt mich wahnsinnig, dass Köln relativ dreckig ist. Da ist Düsseldorf nun wirklich mal weit voraus.

Kann die neue Oberbürgermeisterin da etwas vorantreiben?

Ich bin eine ganz entschiedene Anhängerin von Henriette Reker. Sie ist zwar eine Urkölnerin und hat jede Menge Verwaltungserfahrung, kommt aber eben nicht aus der Politik. Sie hat einen anderen Ansatz, appelliert an parteiübergreifende Vernunft. Und ich hoffe, dass das irgendwie ganz gut funktioniert.

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Bettina Böttinger

Hat sich die Wahrnehmung Kölns seit der Silvesternacht verändert?

Früher hat man sich gerade in den überregionalen Zeitungen gerne über Köln lustig gemacht. Durch die Silvesternacht hat sich der Ton geändert. Jetzt macht man sich nicht mehr lustig, sondern fragt mit Recht: Wie konnte das passieren? Nun sind die Umstände immer noch in Klärung begriffen. Doch es war eine schwarze Nacht – nicht nur für die betroffenen Frauen, sondern auch für den Ruf der Stadt. Köln ist die viertgrößte Stadt Deutschlands, eine wunderbare Stadt mit unglaublich vielen Möglichkeiten und einer tollen Bevölkerung.

Was macht Ihre Geburtsstadt denn besser als Köln?

Düsseldorf ist so gut wie schuldenfrei und verkauft sich einfach gut. Es mag unter Marketing-Gesichtspunkten sinnvoll sein, Eislaufen auf der Kö zu veranstalten. Das finde ich allerdings lächerlich. Dazu kommt, dass Köln ein großes Problem mit den Nachkriegssünden in der Architektur hat. Düsseldorf ist – sorry, liebe Kölner – einfach schöner.

War es als Frau schwerer, sich mit der eigenen Produktionsfirma durchzusetzen?

Zu mir hat mal ein Chef im WDR gesagt: „Sie sind der Phänotyp Frau, den wir brauchen.“ Darüber hab ich sehr lange nachgedacht und es damals nicht ganz verstanden. Heute weiß ich, was er meinte: Sie ist unbegrenzt belastbar, hat keine Familie und will was erreichen. Für sehr, sehr viele Frauen besteht das Problem aber immer noch darin, dass es schwer ist, Mutterrolle und Berufsleben in Einklang zu bringen. Das ist nun mal in Deutschland so. Es gibt offensichtlich keinen politischen Willen, das grundlegend zu ändern. Als ich mich selbstständig gemacht habe, habe ich einiges mitbekommen, was frauenfeindlich war. Ich bin ja eine Frau, die mit Frauen zusammenlebt, und da gab es schon einige Spitzen. Aber ich habe mich nie als Opfer gesehen und habe angstfrei agiert. Ich wollte mich nicht kleinkriegen lassen. Ich habe mir ein dickes Fell zugelegt.

Warum das Outing durch Harald Schmidt keines war

Hat Ihnen das geholfen, als Sie Harald Schmidt beleidigte und auf Ihre Homosexualität anspielte?

Ich habe ja gar kein Doppelleben geführt. Deshalb war das sogenannte Outing von Harald Schmidt Quatsch, denn da gab es nichts zu outen. Ich habe nichts verheimlicht. Das war schlicht ein aggressiver, böser Akt, nicht mehr und nicht weniger. An dem Punkt hab ich damals gesagt: Wenn Fernsehen so funktioniert, dann will ich das nicht. Ich will nicht zu denen gehören, die alles komisch finden. Das war damals die Zeit, als man anfing, nach unten zu treten. Diese Haltung in der Gesellschaft ist leider von den Medien befeuert worden.

Sind Sie deshalb in seine Sendung gegangen?

Ja, ich wollte zeigen: Mit mir nicht. Ich kann sehr stur sein. Ich wollte nicht, dass so mit mir umgegangen wird. Damals hat mich die Resonanz der Öffentlichkeit sehr gestützt. Es gab eine Flut von Zuschauerpost. Das ist ein Vorteil, wenn man Fernsehen macht. Diese massive Rückendeckung war geradezu beglückend.

Haben es Homosexuelle heute leichter in unserer Gesellschaft?

Das gesellschaftliche Klima hat sich entspannt. Momentan ändert sich die Stimmung im Land allerdings, weil viele aufgrund der Flüchtlingsfrage verunsichert sind. Und wenn Menschen verunsichert sind, ist es leichter, sie zu radikalisieren. Dann kommt eben die AfD und bietet vermeintlich einfache Lösungen an. Niemand hätte gedacht, dass die AfD bei Landtagswahlen solche Erfolge feiert. Und dann passiert Folgendes: Vieles, was doch nicht als die Norm gilt, wird plötzlich in der öffentlichen Meinung wieder an den Rand gedrängt. Ich bin da Kulturpessimistin. Die Decke der Zivilisation ist dünn und brüchig, es kann alles viel schneller kaputtgehen, als man denkt. Ich hätte auch niemals erwartet, dass in Köln so etwas passieren kann wie in der Silvesternacht.

Finden Sie, dass die Medien mit der AfD richtig umgehen. Gehört sie etwa in Talkshows?

Ich habe immer gesagt, ich würde keinen Rechtsradikalen einladen, weil jedes Gespräch eine Eigendynamik hat. Ich persönlich finde, dass die AfD zu häufig und zu ausführlich zu Wort kommt. Es werden immer dieselben Leute eingeladen, die viel Platz haben, ihre Theorien auszubreiten.

Wie kommt das?

Journalismus ist in diesem Land in einem Reiz-Reaktions-Schema gefangen. Manche Dinge werden zu oberflächlich berichtet, es findet eine Entpolitisierung statt. Für mich ist diese Massierung des Fußballs jetzt zur Zeit der EM ein Unding. Warum zeigt das ZDF, wenn die ARD sendet, auch verkürzte Nachrichten? Statt Religion ist mittlerweile Fußball Opium fürs Volk.

Könnten Sie sich vorstellen, eine politische Talkshow zu moderieren?

Ich bin ja wie beschrieben eher zufällig in der Kultur- und Unterhaltungsschiene gelandet. Ich bezeichne mich aber immer noch als Journalistin. Eine Polit-Talkshow würde mich dennoch nicht interessieren. Aber Einzelgespräche, one to one mit einem Politiker, das fände ich spannend.

Haben Sie eigentlich jetzt, wo Sie 60 werden, Angst, dass Sie irgendwann als zu alt gelten, um vor der Kamera zu stehen?

Ich bin schon mal aus einem Grund entspannt: Ich habe gute Gene von meinen Eltern geerbt. Das ist nicht von Nachteil, wenn man Fernsehen macht. Außerdem läuft meine Sendung ja zum Glück sehr gut. Aber natürlich kam ich ins Grübeln, als es im WDR auf einmal hieß, wir müssen verjüngen. Da dachte ich, ob es für mich vielleicht eng werden könnte. Doch es ist paradox. Dadurch, dass ich „Ihre Meinung“ gemacht habe und dieses Format auf große Begeisterung bei den Zuschauern und im Haus gestoßen ist, bin ich jetzt in einer Lage, die recht kommod ist. Ich wurde noch nie so viel gelobt, das macht mich fast verlegen. Aber mir soll es recht sein.

Das Gespräch führten Anne Burgmer, Christian Hümmeler und Peter Pauls

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