Birlikte„Nicht tot, aber partiell gescheitert“

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Stefan Bachmann (links) und Thomas Laue im Interview beim „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Stefan Bachmann (links) und Thomas Laue im Interview beim „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Stefan Bachmann, geb. 1966, ist seit 2013 inszenierender Intendant des Schauspiel Köln. Thomas Laue, geb. 1971, kam 2013 ans Schauspiel Köln. Seit 2015 ist er leitender Dramaturg.

Das Schauspiel ist Teil des Bündnisses, das seit 2014 das „Birlikte“-Kulturfestival organisiert. Partner sind auch die Stadt Köln, die IG Keupstraße, die  „Kölner Elf“ und die AG Arsch huh, Zäng ussenander.

Herr Bachmann, Herr Laue, ist das Schauspiel Köln für Sie ein anderes, seit am Sonntag die Bühne gestürmt und die Debatte mit Konrad Adam (AfD) verhindert wurde? Bachmann: Ich muss das erst noch verdauen. In dieser Form habe ich so etwas noch nie erlebt. Das Stürmen einer Theaterbühne ist ein No-Go, ein Tabubruch, ganz klar. Trotzdem muss ich sagen: Ich habe mich vom Vorgang selbst weniger bedroht gesehen als von dem, was vorher gelaufen ist. Das Stürmen disqualifiziert sich im Vollzug selbst. Dazu braucht man gar nicht mehr viel zu sagen.

Aber zur politischen Debatte davor? Bachmann: Debatte? Mit mir hat niemand debattiert. Mich hat niemand angerufen. Es gab nur die Kommunikation auf Umwegen mit einer ungeheuren Druckwelle: „Das müsst ihr absagen!“ Bei solch einem Diktat hört es für mich als Theaterleiter aber komplett auf. Laue: Die politische Einflussnahme hat als Brandbeschleuniger gewirkt, ganz klar. Wir müssen jetzt daran gehen, die Rolle des Schauspiels bei Birlikte zu reflektieren. Wir sind als Theaterleute Teil dieses Bündnisses, nicht als politische Aktivisten.

Was wäre der Unterschied? Laue: Aufgabe von Theater ist es, darzustellen und zuzulassen, dass die Dinge kompliziert sind. Theater ist der Konzentrationspunkt eines Nachdenkens über die Gesellschaft an einem Ort mit Haltung. Bachmann: Übertragen auf Birlikte war das Festival für das Schauspiel Köln immer mehr als ein Straßenfest mit politischem Slogan. 2014 ist es in einer Art Schubumkehr gelungen, die negative Energie des NSU-Terrors in die positive Kraft eines Kunst- und Kulturfestivals umzuwandeln. Laue: Im zweiten und im dritten Jahr haben wir die Verpflichtung gesehen, das fortzusetzen. „Respekt vor den Opfern“ heißt nicht nur, einmal im Jahr über die Mülheimer Brücke zu pilgern. Respekt äußert sich vielmehr im Zutrauen, auf der Basis des Erreichten gemeinsam weiter nachdenken und auch für etwas streiten zu können.

Einem Vertreter der AfD bei Birlikte eine Bühne – Ihre Bühne – zu bieten, wurde als Verhöhnung der Opfer gebrandmarkt. Bachmann: Mit Verkürzung und Polemik kommen wir nicht weiter. Laue: Ich nehme für uns in Anspruch, näher an den Stimmungen unserer Nachbarn in der Keupstraße zu sein als mancher, der in Pressemitteilungen Parteinahme für die Betroffenen behauptete. Deren Sicht war von Anfang eine Leitperspektive für Birlikte.

Was lernen Sie aus diesem Sonntag? Laue: Ich muss selbstkritisch sagen, dass ich manche Empfindlichkeiten unterschätzt habe. Wer will alles mitreden? Wer will gefragt werden? Ich muss darüber nachdenken, wo die Grenze ist, an der wir noch um Erlaubnis fragen können oder aber tun müssen, was wir für richtig halten.

War das Festival, war das Theater wirklich der richtige Ort? Bachmann: Natürlich! Theater ist von jeher Lernort für Rede und Gegenrede. Theater zeigt, wohin es führt, wenn das Reden endet. Übrigens haben wir genau deshalb Polizeischutz ausgeschlossen.

Muss die Meinungsfreiheit nicht wehrhaft sein? Bachmann: Doch. Aber Birlikte wollte ja den Beweis antreten, dass wir gewaltfrei miteinander umgehen können. Streiten, ohne einander zu beleidigen. Abgrenzen, ohne auszugrenzen. Mit einer Phalanx von Polizisten ist das alles nichts mehr wert.

Dann stimmt es, dass Birlikte tot ist? Bachmann: Tot nicht, aber partiell gescheitert – an diesem einen Punkt, in dieser einen Stunde gescheitert. Ganz gewiss. Wobei gerade wir auch vom Scheitern leben. Scheitern ist seit König Ödipus das Thema des Theaters. Theater ist immer auch die Erfahrung des Scheiterns. Klingt pathetisch, ist aber eine Grundtriebkraft unserer Arbeit.

Werden Sie die aktuelle Erfahrung zum Thema im Schauspiel machen, oder müssen wir bis zum nächsten Birlikte warten? Bachmann: Sie gehen davon aus, dass es Birlikte automatisch immer wieder geben wird. Das war nie so. Birlikte ist kein Selbstläufer, sondern erfindet sich jedes Jahr neu. Wir müssen mit unseren Bündnispartnern darüber sprechen, wie es weitergeht. Bloß kein kölsches Grillfest-Ritual: heute Experiment, morgen Tradition, übermorgen Brauchtum! Laue: Birlikte 2016 hat schmerzhaft einen Konflikt der Gesellschaft offengelegt: Wir haben noch keinen adäquaten Umgang mit der AfD. Das zumindest schreibe ich uns auf die Habenseite. Vielleicht hätte da noch mehr gestanden, wenn die Diskussion stattgefunden hätte. Aber wer weiß? Vielleicht hätten wir auch hinterher gesagt: Unser Weg war falsch.

Frau Reker sieht es so. Bachmann: Die OB hat sich auf den Standpunkt gestellt, eine solche Veranstaltung gehe fehl, wenn sie auch nur eines der Opfer verletzt. Ich finde das nicht nur formal schwierig – wer kann legitimerweise Opferstatus beanspruchen? Ich finde auch die Grundhaltung falsch. Man kann solch ein Festival inhaltlich nur weiterentwickeln, wenn man auch Schmerzpunkte thematisiert. Wir müssen es uns und anderen zumuten und zutrauen, das auszuhalten. Jeder für sich und miteinander.

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