Film-Komponist Hans Zimmer„Spielen wie ein großes Kind“

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Herr Zimmer, stimmt es, dass Sie als Kind beim Klavierspiel das Instrument manipulierten, um einen neuen Klang hervorzubringen?

Das ist richtig. Manipulieren ist zu schwach ausgedrückt: Ich zerstörte ein hervorragendes Piano! Bauten Sie nicht manchmal auch ihr Spielzeug auseinander und zerlegten es in seine Einzelteile, als Sie ein Kind waren? Das ist doch die Neugierde darauf, was wohl darin steckt – und so verhielt es sich auch mit dem Piano. Mein erster Synthesizer war der monophone analoge „EMS VCS 3“ aus dem Jahr 1969, zwar tragbar, aber ohne Keyboard und enorm kompliziert, weil auch kein Instruktionsplan dabei war. Ich habe all’ mein damaliges Geld investiert, um es überhaupt benutzbar zu machen. Das war mir eine gute Lehre: Mach’, dass es funktioniert!

Muss man sich beim Komponieren auch eine gewisse kindliche Neugierde bewahren?

Das ist eine sehr interessante Frage. Ich habe den Verdacht, dass ich nie wirklich arbeite, sondern nur spiele – wie ein großes Kind.

Bei Ihrer Europa-Tournee erwarten Ihre Anhänger natürlich alle ihre „Hits“. Gibt es Stücke, die als Soundtracks gut funktionierten, aber live sehr schwer zu spielen sind?

In der Tat. Da gibt es ein sehr populäres musikalisches Thema in „Gladiator“, bei dem alle denken, das sei das Hauptthema. Für meine Tournee habe ich es gecancelt und meine Musiker beknieten mich dann förmlich: „Lass es drin! Es erklingt sogar bei Hockeyspielen!“ Also musste ich eine Lösung finden, es zu orchestrieren.

Im Gegensatz zu früheren Filmmusik-Konzerten werden bei Ihnen keine Bilder aus den Kinoepen im Hintergrund eingespielt. Warum?

Die Bilder haben doch die Besucher ohnehin im Kopf. Hier soll die Musik für sich sprechen. Wenn Ex-The-Smiths-Mitglied Johnny Marr auf der Bühne steht und die Gitarre bei „Inception“ spielt, bedarf es auch keiner Filmbilder mehr. Für ihn habe ich den Score zu Christopher Nolans Science-Fiction-Film in erster Linie geschrieben. Es gibt ohnehin auf der Bühne genug zu sehen: 20 Musiker und 70 Chorsänger- und Sängerinnen.

Und Sie an den Keyboards!

Das lasse ich mir natürlich nicht nehmen, obwohl ich mich bewusst nicht in den Vordergrund drängen will.

Einen Ihrer besten Scores schrieben Sie zu Terrence Malicks außergewöhnlichem Antikriegsfilm „Der schmale Grat“. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem genialen Regisseur, der wie einst Stanley Kubrick ein ausgeprägtes Musikverständnis hat?

Es kam dazu, weil wir uns einfach schon vorher gekannt haben. Terry hatte sich 20 Jahre nach „In der Glut des Südens“ entschlossen, wieder einen Film zu machen. Er brauchte ein Büro und ist einfach bei uns ins Tonstudio eingezogen! Er mochte es, dass wir dort Dinge ausprobieren und umsetzen, und eben nicht nur grübeln. Was kaum einer weiß, weil er diese Musik selten in seinen Filmen einsetzt: Er ist ein großer Rock’n’Roll-Fan und liebt Heavy Metal! Wir sprachen ein Jahr über das Konzept der Musik, auch über die Stücke, die nicht von mir in „Der schmale Grat“ waren, wie die sanft dahinfließenden Klangströme des estnischen Komponisten Arvo Pärt. Er wollte auch Teile aus Richard Wagners „Das Rheingold“ verwenden – und ich war größenwahnsinnig genug, ihm zu sagen: „Das kann ich noch besser machen!“ Es war sehr lustig für mich, später in seinem Film „The New World“ die gleiche „Rheingold“-Aufnahme zu hören, die er mir Jahre zuvor immer wieder vorgespielt hatte. Wir hatten wirklich ernsthafte Auseinandersetzungen über Musik miteinander. Doch Terry gab sich versöhnlich und sagte: „So, wie wir miteinander sprechen, können das nur Brüder tun!“

Zur Person und zum Auftritt in Köln

Hans Zimmer, 1957 in Frankfurt am Main geboren, kam nach seiner Punk- und New-Wave-Phase (so wirkte er 1979 am Modular- Synthesizer in dem Videoclip des Buggles-Hits „Video Killed the Radio Star“ mit) über den Umweg England in die USA, wo er bald darauf Soundtrack-Geschichte schreiben sollte. Zehnmal war er als Komponist für den Oscar nominiert (u. a. für die Scores zu „Rain Main“ (1988), „Der schmale Grat“ (1999), „Gladiator“ (2001), „Sherlock Holmes“ (2010), „Inception“ (2011) und „Interstellar“„ (2015)). Für „Der König der Löwen“ erhielt er 1995 die Trophäe.

Die aktuelle Europa-Tournee begann am 6. April in London und endet am 5. Juni im französischen Orange. Am 28. April tritt er in der Kölner Lanxess-Arena auf. (mha)

Sie haben auch Musik für Kinderfilme wie „Lauras Stern“ geschrieben. Ich habe damals nach den Eindrücken meiner kleinen Tochter eine Rezension geschrieben, weil ihr der Soundtrack so gefallen hat.

Das ist eines der schönsten Komplimente, das ich je bekommen habe! Ich schreibe für Kinderfilme die Musik, weil ich selbst Kinder habe. Wie alle Väter spreche ich gerne über sie. Schon als sie noch ganz klein waren, wollten sie immer mit zur Premiere: „Daddy, wo gehst du heute hin?“ „Ich gehe zur Premiere von »True Romance«“ – „Das klingt lustig, da will ich mit!“ „NEIN, da kannst du nicht mit ...“

Könnten Sie sich vorstellen, auch für einen „Star Wars“-Film den Soundtrack zu komponieren, falls das John Williams einmal nicht mehr machen würde?

Nein, dazu bin ich zu sehr Fan! Ich will den neuesten John-Williams-Score hören, genauso verhält es sich mit Morricone. Obwohl ich mit klassischer Musik aufgewachsen bin, habe ich bis auf Bernard Herrmann und Ennio Morricone nicht viel mit Filmkomponisten der alten Generation am Hut. Die beiden aber liebe ich. Ennio, der ja noch lebt und gerade einen fantastischen Soundtrack zu Quentin Tarantinos „The Hateful 8“ abgeliefert hat, macht mich immer wieder neugierig. Es bereitet mir Freude, Filmmusik zu schreiben, aber es ist auch anstrengend, selbst bei Blockbustern wie Zack Snyders „Batman v Superman: Dawn of Justice“, den ich zusammen mit dem niederländischen DJ Tom Holkenborg fertiggestellt habe.

Was sind neben der Tour Ihre nächsten Projekte?

Ich bin derzeit mit „Inferno“, dem dritten Teil des „Da Vinci Code“ beschäftigt. Eigentlich wollte ich noch nicht darüber sprechen, aber es wird ein komplett analoger elektronischer Soundtrack – fast ein musikalisches Geschichtsbuch des Synthesizers.

Das Gespräch führte Marc Hairapetian

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