Abo

Gewaltforscher über die Kölner Silvesternacht„Es wird ungemütlich bei uns“

Lesezeit 5 Minuten
Die Kölner Silvesternacht ist ein Synonym für staatliches Scheitern.

Die Kölner Silvesternacht ist ein Synonym für staatliches Scheitern.

Herr Baberowski, Sie sollen auf der phil.cologne in einer Diskussion gesagt haben, ein Problem der Silvesternacht habe darin bestanden, dass deutsche Männer sich nicht mehr prügeln könnten.

Ich habe etwas anderes gesagt. Ich habe nicht von deutschen Männern, sondern von Männern in Deutschland gesprochen. Das ist etwas anderes. Ein Mann in Deutschland kann auch ein Einwanderer sein, der hier aufgewachsen ist. Ich wollte eigentlich nur sagen, dass sich Menschen in befriedeten Gesellschaften mit staatlichem Gewaltmonopol nicht mehr prügeln müssen, weil sie sich auf die Polizei verlassen können. Deshalb habe ich hinzugefügt: Gott sei Dank ist es auch so. Ich möchte nicht, dass Männer sich prügeln. Wir alle wollen das nicht.

Und wenn das staatliche Gewaltmonopol nicht greift?

Alles zum Thema Angela Merkel

Wenn der Staat sich aus zentralen Bereichen der Ordnungserzwingung zurückzieht, entsteht ein gewaltoffener Raum. Die Ereignisse in der Silvesternacht haben gezeigt, was es bedeutet, wenn der Staat zwar präsent ist, aber keine Zähne mehr zeigt. Wir vertrauen den Institutionen des Staates. Wenn sie aber nicht tun, was wir von ihnen erwarten, sind wir verunsichert und wissen nicht, wie wir mit Gewalt umgehen sollen. In Russland vertraut kaum jemand dem Staat und seiner Polizei. Mit diesem Wissen kann man sich auf Gewalt anders einstellen.

Dort hätten sich die Männer vor die bedrängten Frauen gestellt?

Das ist ja auch passiert. Einige Wochen nach den Ereignissen in Köln gab es Übergriffe durch arabische Migranten in Murmansk. Am Ende wurden die Angreifer von russischen Männern verprügelt. Niemand wartete auf den Staat, und am Ende gab es dennoch eine klare Botschaft, die die Täter verstanden haben.

„Selbstjustiz ist das Ende des Friedens“

Man löst seine Probleme dann also besser selber?

In Gesellschaften, in denen man der Polizei generell misstraut, müssen Menschen sich auf ihre eigenen Möglichkeiten beschränken. Schon längst haben sich in den sozialen Problemzonen vieler europäischer Städte Menschen darauf verständigt, für ihre Sicherheit selbst zu sorgen, weil der Staat dazu nicht mehr in der Lage ist. Am Ende sind die Schwachen die Opfer einer solchen Entstaatlichung der Ordnung. Das können wir nicht wirklich wollen. Deshalb ist die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols unverzichtbar. Der Staat muss es sich nun aber zurückerkämpfen. Die Selbstjustiz ist das Ende des Friedens und das Gesetz des Stärkeren. Niemand kann das wollen.

Wie würden Sie die Entwicklung beschreiben? Der Philosoph Norbert Elias würde das ja als Zivilisationsprozess ansehen.

Der Gewaltverzicht ist eine zivilisatorische Errungenschaft, an der ich gerne festhalten möchte. In Deutschland aber begreift inzwischen kaum noch jemand, dass diese Errungenschaft nur möglich war, weil der Staat den Frieden erzwingen konnte, weil er den öffentlichen Raum befriedete und Männer entwaffnet hat. Ich habe das Gefühl, dass der Staat zunehmend weniger in der Lage ist, diese Aufgaben wahrzunehmen. Dann kommt es zu Entzivilisierungsprozessen, wie man sie in den Großstädten in den USA und in manchen Vierteln europäischer Städte schon beobachten kann. Der Entzivilisierungsprozess begünstigt Gewalttäter, die die Macht erobern. Das dürfen wir einfach nicht akzeptieren.

Wie kommt es zu den Unterschieden der Gewaltanwendung von Männern? Weil diejenigen aus anderen Ländern härtere Lebensbedingungen kennen?

Auch in Tunesien oder Marokko ist es verboten, Frauen auf der Straße auszurauben oder zu vergewaltigen. Die Täter wären von anderen Männern gelyncht oder ins Gefängnis gebracht worden. Hier aber geschah nichts dergleichen. Warum sollte man nicht tun, was offenbar niemand ahndet? Menschen, die aus einem autoritären Milieu kommen, machen von ihrer Freiheit anderen Gebrauch. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, Grenzen nicht nur zu ziehen, sondern die Übertretung von Gesetzen mit Strafen zu ahnden. Jeder Mensch kann begreifen, dass Gesetze gelten, wenn sie erzwungen werden. Leider haben sich manche Politiker und Journalisten in Deutschland lieber darauf verständigt zu schweigen oder die Realität auszublenden.

„Täter nicht zu Opfern machen“

Gewalt hat immer etwas mit Macht zu tun. War das Übergreifen in der Silvesternacht eine Art Kriegsgeschehen von Männern, die sich sozial hier ausgegrenzt fühlen?

Die Männer waren ja noch nicht lange hier. Und die Zustände, unter denen sie hier leben, sind wesentlich besser als in jenen Ländern, aus denen sie gekommen sind. Man sollte diese Täter jetzt nicht zu Opfern machen, sondern sie bestrafen, damit sie wissen, dass die Gesetze auch für sie gelten. Die meisten dieser männlichen Täter sind ungebildet, jung und aggressiv, sie wissen, dass sie Verlierer sind und auch Verlierer bleiben werden. Wer ein Niemand ist, kann durch Gewalt immerhin Aufmerksamkeit erregen und einen Machtgewinn erzielen, die Straße für sich erobern, indem er anderen Angst macht. Sie können Männer demütigen, indem sie ihre Frauen erniedrigen. Für einen Augenblick haben sie das Gefühl, mächtig und wichtig zu sein.

Der Staat muss gestärkt werden?

Die Freiheit muss verteidigt werden können. Der Staat muss Gewalt nicht nur androhen, sondern sie im Zweifelsfall auch durchsetzen. Wir müssen uns mit diesem Gedanken anfreunden, weil es in Zukunft auch bei uns ungemütlich werden wird. Der Staat darf keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass er die Freiheit und die körperliche Unversehrtheit der Bürger schützen kann. Ordnungen erhalten sich nicht von selbst.

Das heißt, es dürfen nur so viele Flüchtlinge kommen, wie es die staatlichen Kapazitäten erlauben?

Ein Staat darf sich mit einer Aufgabe nicht überfordern. Wer das Unmögliche will, wird das Mögliche nicht erreichen. Wer erklärt, die Grenzen seien offen, und jeder, der wolle, könne auch kommen, handelt unverantwortlich. Wir wissen, dass wir nicht in jedem Jahr zwei Millionen Menschen aufnehmen können. Es ist im Interesse der Einwanderer und im Interesse all jener, die schon da sind, dass Einwanderung mit Augenmaß gesteuert wird. Leider ist das Gegenteil geschehen. Der Staat verwaltet die Katastrophe nur noch, aber er weiß nicht mehr, was er will. Es gibt keine Flüchtlings-, sondern eine Staatskrise. Sie verunsichert die Bürger zutiefst.

Zur Person

Jörg Baberowski ist Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der 55-Jährige hat in mehreren Tageszeitungen Stellung zur Flüchtlingskrise bezogen und es dabei nie an Klarheit fehlen lassen.

Im Mittelpunkt seiner Kritik steht vor allem die von Kanzlerin Angela Merkel im Jahr 2015 praktizierte Politik, Flüchtlinge großzügig aufzunehmen. Nicht jeder Einwanderer sei eine Bereicherung für Deutschland, sagt Baberowski und setzt sich daher für eine restriktivere Asylpolitik ein.

KStA abonnieren