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Illner diskutiert Ehe für alleVon Beverfoerde schimpft und legt sich mit Gästen an

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Hedwig von Beverfoerde (2. v. l.) bei Maybrit Illner

Frankfurt – Ein enthüllender, aber auch zerfahrener Polit-Talk ging meist am Thema vorbei und bewies vor allem, wie sehr die ganze Nation an den Lippen der Kanzlerin hängt – bis ein Sechzehnjähriger die Runde aufmischte.

Zum Tod Helmut Kohls strömten kürzlich Erinnerungen an seine schier endlose Amtszeit in die Zeitungen – und nicht wenige berichteten von dem gesellschaftlichen Leerlauf, den lähmenden, jahrzehntelangen Verschleppungen sozialer Reformen. Angela Merkel machte diese Woche wieder einmal vor, warum das bei ihr trotz gleicher Partei und ähnlicher Basis alles ganz anders läuft. Der Monolith – sie bewegt sich doch! Nachdem alle anderen Parlamentsparteien die „Ehe für alle“ als Wahlkampfthema angedroht haben, nahm sie in typischer Manier (siehe Atomausstieg, Mindestlohn etc.) den anderen Parteien die Butter vom Brot und preschte selbst nach vorne. Wie groß das Chaos war, das sie damit auslöste, wurde in dieser Sendung klar.

Angela Merkel dominiert die Diskussion

Merkel war nicht anwesend, und trotzdem dominierte sie die Diskussion. Nicht nur redeten alle über sie und interpretierten ihren Wortlaut, als wäre sie Papst. Noch deutlicher: alle spekulierten ehrfürchtig über ihre Motive, als wären es Gottes unergründliche Wege. Hatte sie sich verplappert und war von der SPD ausgetrickst worden, die eine willkommene Einladung zum Koalitionsbruch witterten? Oder gab sie der SPD nur schnell und heimlich ihren Willen, der ohnehin dem Volkswillen entsprach, um am strittigen Thea vorbei gemütlich zur Macht zu segeln und zuletzt zu lachen?

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In solchen parteipolitischen Ränkespielchen blieben die Diskussionen vom Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU Michael Kretschmer und SPD-Fraktionsvorsitzendem Thomas Oppermann meist hängen. Der Unions-Mann fühlte sich „überrumpelt“ und „verärgert“ und grummelte verbittert von „Vertrauensbruch“; sein Gegenüber von der SPD hielt dagegen, dass das Gesetz im Bundesrat bereits 2015 beschlossen und wasserdicht geprüft wurde, im Rechtsausschuss des Bundestags besprochen und fünfmal im Plenum diskutiert wurde – wie viel Vorbereitung hätte die CDU denn gerne noch gehabt? Kretschmer betont wieder und wieder, er hätte lieber länger über das Thema diskutiert, kann aber auch nicht wirklich sagen, was es da eigentlich noch zu diskutieren gibt. Irgendwie aus Prinzip. Hauptsache abwarten. Wie einst Helmut Kohl.

Abrupte Wendung wie bei „House of Cards“

Der Journalist und Autor Robin Alexander sowie die lesbische Moderatorin Bettina Böttinger wussten nicht, ob sie sich über so viel offenen Blick hinter die Koalitions-Kulissen freuen oder sich über so wenig Überzeugung ärgern sollten. Alexander konnte sich nicht entscheiden, ob die abrupte Wendung zu dieser historischen Entscheidung eine satirische Farce oder doch ein durchtriebener Winkelzug aus „House of Cards“ war. Es wird vermutlich Jahre dauern, bis klar wird, wer nun eigentlich wen übertölpelt hat.

Kurioserweise stürzten sich beide Seiten auf ihre eigene Vorstreiter: Alexander nahm SPD-Mann Oppermann wiederholt in die Mangel, warum man diese Koalitionsvereinbarung nicht schon viel, viel früher gebrochen hätte – als wäre die SPD das bremsende Element gewesen. Und die christlich-fundamentalistische Aktivistin Hedwig von Beverfoerde schimpft ausschließlich auf die CDU, die sie vor einem halben Jahr verlassen hat. Kretschmer seufzte irgendwann: „Ja, aber wir sind ja auch dagegen. Da drüben sitzt der Kollege, mit dem Sie reden sollten.“

Hedwig on Beverfoerde – eine Ultra-Traditionalistin

Überhaupt, Frau von Beverfoerde... war es wirklich so schwer, eine glaubhafte und halbwegs seriöse Vertreterin der Kontra-Position zu finden, ohne gleich in der rechten Ecke fischen zu müssen? Die Ultra-Traditionalistin, die immer wieder eng mit den ebenfalls adligen AfD-Granden Beatrix und Sven von Storch zusammenarbeitet, wurde bereits von einem LGBT-Verband als „Miss Homophobia“ prämiert und hat sich bei ihrem letzten Auftritt in dieser Talkshow nicht entblödet, einem homosexuellen Paar unter die Nase zu reiben, dass sie „nicht normal“ wären. Und auch hier fiel sie gleich wieder mit Brandstiftervokabular auf und durch, beschwor einen „Zivilisationsbruch“ und eine „durchsexualisierte“ Kindererziehung.

Noch gravierender: Auf einfache Vorlage-Fragen wie „Worin liegt denn überhaupt das Problem?“ stotterte und faselte sie inkohärent von den begrenzten Befugnissen eines Parlaments und vom „Urgrund unserer Kultur und unserer Zivilisation“, nur um dann wie eine zerbrochene Schallplatte stets zu wiederholen: „Das kann man nicht machen, das geht einfach gar nicht.“ Der ganze Auftritt war nicht nur politisch suspekt, sondern auch unbeholfen. Hedwig von Beverfoerde schien kaum der deutschen Sprache, geschweige denn einer klaren Argumentation mächtig.

Boettinger legt sich von von Beverfoerde an

Die erste Hälfte der Sendung schien die Runde unentschlossen, ob es reicht, dieses zutiefst unangenehme Wesen niederzuignorieren, oder ob man sie konfrontieren muss. Böttinger legte sich einige Male mit ihr an und hätte am liebsten selbst weitermoderiert. Kretschmer betonte prophylaktisch, dass er nicht homophob genannt werden will – aber nachdem er zuerst betonte, dass die Ehe etwas besonderes ist, und direkt darauf implizierte, dass sie daher nicht für homosexuelle Beziehung geöffnet werden sollte... da musste man sich schon fragen, ob der Schuh nicht vielleicht einfach passt.

In den letzten Minuten, als längst klargeworden war, dass keiner ein Interesse daran hat, die eigentliche Entscheidung zu diskutieren anstatt des politischen Verfahrens, passiert etwas Außergewöhnliches: Ein 16jähriger namens Raphael Zinser wird dazugeholt. Einer der bei Illner obligatorischen „Beispielmenschen“, die meist nette Ausstattung, aber wenig mehr sind. In diesem Fall ist es ein sehr kluger, aufgeräumter junger Mann, der als Pflegekind bei zwei Vätern aufgewachsen ist. Er ging die adlige Faslerin konfrontativ an, und es war spürbar, dass er doppelt so schnell und klug denken, reden und argumentieren konnte. Das beschworene Kindswohl, den Institutionenschutz, die Überforderung von Schulkindern und das absurde „Recht auf Vater und Mutter“ - alles widerlegte er ihr in wenigen klaren Sätzen. Und ging zum Gegenangriff über:

Er lebt seit 15 Jahren als „Pflegekind“ bei diesem schwulen Paar, aber die dürfen ihn nicht adoptieren – ist das etwa gerecht? Die Traditionalistin stocherte vergeblich nach einer Antwort.

Aber der junge Mann war noch nicht fertig: Obwohl er gerade in die CDU eingetreten war, nahm er sich auch Kretschmer zur Brust. Wenn man den Ehe-Begriff schützen, aber die Rechte der Partnerschaften gleichstellen wollte, warum hat man das dann in den letzten fünf Jahren nicht längst gemacht? Er holte sich nicht nur einen Szenenapplaus nach dem anderen ab, sondern gab der Debatte auch ein perfektes und versöhnliches Fazit, indem er die Argumente der beiden Volksparteien miteinander verband: „Der Zeitpunkt ist etwas unglücklich, und doch war es irgendwie auch höchste Zeit.“ Und treffender hat man diese kuriose Woche der „Ehe für alle“ bisher noch nicht zusammengefasst gesehen. 

Maybrit Illner, Sendung vom 29.06.17 in der Mediathek beim ZDF

Ab 8 Uhr können Sie die Debatte im Bundestag um die „Ehe für Alle“ bei uns im Liveticker verfolgen.

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