Interview mit Gentleman„Regt euch ab, versucht euch zu unterhalten“

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Zum 10. Mal beim Summerjam-Festival dabei: Gentleman.

Köln – Gentleman, bürgerlich Tilmann Otto, ist in Osnabrück geboren und in Köln aufgewachsen. Trotzdem singt er im jamaikanischen Patois – und wurde damit der erste heimische Reggae-Star in Deutschland.

Gentleman, am Wochenende sind Sie mal wieder Headliner auf dem Summerjam, dem größten Reggae-Festival Europas. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Festival-Besuch? Mein erstes Mal als Gast, das war noch auf der Loreley. Den ersten Summerjam-Auftritt, mit dem Pow Pow Soundsystem, den hatte ich in Wildenrath, auf diesem komischen Flugzeuggelände.

Das muss so Mitte der 90er gewesen sein. Aber sie gehörten damals gar nicht zum Line-up ... Pow Pow haben einfach auf einem Wagen ihren Sound aufgebaut. Wir haben das Festival gecrasht. Später kamen die Ordner und haben uns verscheucht. Das war aber so cool, dass auch die Veranstalter das mitbekommen haben und Pow Pow schließlich offiziell gebucht wurden. Und das war dann auch die Anfangszeit der ganzen Reggae-Subkultur in Köln.

Und irgendwann waren Sie dann der Top-Act des Festivals, hatten ein Nummer-Eins-Album in den Charts und eine veritable Reggae- und Dancehall-Welle unter deutschen Jugendlichen ausgelöst ... Das war in dem Moment für mich gar nicht greifbar, so was versteht man immer erst im Nachhinein. Mal auf der Eins der Charts zu sein, in Hallen vor 5000 Leuten zu spielen, dass ist etwas, von dem viele heute träumen. Damals, 2004, habe ich das gar nicht so bewusst wahrgenommen. Ob ich als Headliner oder nachmittags auftrete, war mir übrigens nie wichtig. Allerdings fühle ich mich von der Tatsache geehrt, dass ich beim Summerjam Rekordhalter bin.

Am Samstag treten Sie zum zehnten Mal am Fühlinger See auf. Sie sind jetzt 41. Würden Sie sagen, dass man im Reggae als Künstler würdig altern kann – was vielleicht im Hip-Hop schwieriger ist? Max Herre hat mal einen schönen Satz gesagt, als er sein Singer-Songwriter-Album gemacht hat und viel Kritik aus dem Hip-Hop-Lager abbekam: „Mitte 30 und mit zwei Kindern habe ich das einfach nicht mehr so gefühlt, in Baggy-Jeans vorne an der Bühne zu stehen und darüber zu rappen, dass ich den Längsten habe.“ Im Reggae gibt es eine zentrale Botschaft, die sich nicht verändert. Eine Philosophie, eine Einstellung zum Leben.

Welche ist das denn? Handelt es sich um eine Art von Utopie? Und müsste sich diese frohe Botschaft nicht über die Jahre abschleifen? Ich glaube, dass Schlimmste wäre, den Kopf in den Sand zu stecken und die Hoffnung aufzugeben. Manchmal braucht man einfach Geduld. Immer wenn man denkt, man wäre einen Schritt weiter – wie zuletzt beim Arabischen Frühling –, geht es wieder zwei Schritte zurück. Es geht in der Musik aber nicht darum, Lösungen zu finden. Wenn ich mir Bob Marleys Texte anhöre, empfinde ich erst einmal Trost. Jemand aus einem völlig anderen Kulturkreis hat dieselben Gedanken wie ich. Die zentrale Botschaft des Roots-Reggae war immer, das „Babylon“ genannte System zu hinterfragen. Natürlich verändert sich die Definition von Babylon fortwährend. Das sind nicht nur die da oben. Wir sind alle ein Teil von Babylon. Wir müssen also bei uns selbst anfangen. Du kannst zum Beispiel gucken, wo das T-Shirt herkommt, das du dir kaufen willst.

Sie haben jetzt mit Ky-Mani Marley, Bob Marleys zweitjüngstem Sohn, ein Album aufgenommen –„Conversations“. Sind die Songs auch aus Ihren Unterhaltungen entstanden? Das sind sie. Aber bei dem Titel geht es darum, dass eigentlich jeder Song aus einer Unterhaltung heraus entsteht, und sei es eine Unterhaltung mit dir selbst. Im Dialog und mit der Kunst des Zuhörens – so entstehen Songs. Ky-Mani und ich haben in unseren vielen Unterhaltungen große Schnittmengen gefunden, trotz unserer unterschiedlichen Herkunft. Und weil wir bei diesem Album zu zweit waren und sich die Last der Arbeit auf vier Schultern verteilte, war auch eine gewisse Leichtigkeit im Spiel.

Aber nicht in den Texten: Da singen Sie unter anderem von der Flüchtlingskrise, beklagen die fehlende Solidarität unter den Menschen. Inhaltlich hat „Conversations“ ein Stück weit etwas von einem Konzeptalbum, das stimmt. Musik zu machen bedeutet ja immer auch, Zeitzeuge zu sein. Irgendwann hat Ky-Mani gesagt: „Ich glaube, das wird hier zu heftig, wir brauchen noch etwas Leichtes.“ Er schlug dann eine Coverversion von „Simmer Down“ vor ...

... ein früher Ska-Hit von Bob Marleys erster Band, The Wailers ... ... Und ich rief Marcia Griffith dazu, die viele Jahre lang zusammen mit Bob gesungen hat. Da schloss sich ein Kreis. Ky-Mani hat seinen Vater ja nie kennengelernt, und Marcia konnte ihm viel von ihm erzählen. Das war schon etwas Besonderes, dieses Vertraute, obwohl man sich noch gar nicht so gut kennt.

Und auch „Simmer Down“ könnte ja glatt ein Motto unserer Zeit sein! Genau, regt euch ab, setzt euch an einen Tisch und versucht euch zu unterhalten.

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