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Starkregen: Karl-May-Spiele brechen Premiere ab

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Bad Segeberg/Elspe – Der Wilde Westen am Kalkberg ist nicht echt, in der Arena spricht Winnetou dennoch wahre Worte. „Aus einem Himmel mit Wolken kann schnell ein gefährlicher Sturm werden”, mahnt der Apachenhäuptling - da lacht das Publikum im Freilichttheater von Bad Segeberg noch, Blutsbruder Old Shatterhand schmunzelt.

Ihre Regenumhänge haben die Zuschauer zwar bereits übergezogen, aber noch regnet es nur leicht. Die Premiere zum Start der Karl-May-Spiele ist am Samstagabend in vollem Gange, als ein wichtiger Mitspieler beim Open-Air-Spektakel dann plötzlich doch nicht mehr mitmacht: der von den Veranstaltern gern beschworene Wettergott. Ein Wolkenbruch führt zum Abbruch der Premiere. 

Trotz der Wetterkapriolen im Vorfeld waren zunächst rund 7000 Zuschauer gekommen - nach der Absage der Aufführung in Schleswig-Holstein eilten viele klatschnass zurück zu ihren Autos. „Die Wege stehen unter Wasser, die Arena steht unter Wasser - es ist eine große Gefährdung für Mensch und Tier”, begründete Ute Thienel die Entscheidung. Seit 16 Jahren sei sie Geschäftsführerin, könne sich aber an keine abgebrochene Premiere erinnern.

Während in Bad Segeberg der Klassiker „Der Schatz im Silbersee” auf dem Programm steht, wird auf der Karl-May-Freilichtbühne in Elspe im Sauerland „Im Tal des Todes” aufgeführt. Zu beiden Shows werden mehrere Hunderttausend Besucher erwartet; dabei werden die Werke des sächsischen Schriftstellers aus dem Wilhelminischen Deutschland kaum noch gelesen.

„Was Karl May heute am Laufen hält, sind nicht die Filmwiederholungen, sondern die Karl-May-Spiele”, sagt der Experte und Buchautor Michael Petzel. Die Leute kämen für das Live-Erlebnis, meint Elspe-Geschäftsführer Jochen Bludau (74). „Im Kino weiß man: Das ist Trick. Aber bei uns ist es echt.” Man riecht den Pulverdampf und spürt die Hitze der Explosionen, man bekommt Dreck von den vorbeipreschenden Pferden ins Gesicht, und bei entsprechender Witterung sieht man, wie Winnetou in zwei Stunden komplett eingeweicht wird.

Bei der Premiere am Samstag in Elspe konnte man das wieder miterleben und sich davon überzeugen, wie ergiebig ein sauerländischer Landregen sein kann. Die Zuschauer aber stellen sich darauf ein. Sie bringen Regenjacken, Sitzkissen und Kühltaschen mit. Viele Eltern, die jetzt mit ihrem Nachwuchs kommen, waren als Kind selbst schon da: Damals, in den 70er und 80er Jahren, als Pierre Brice zuerst dem winzigen Ort Elspe zu bundesweiter Bekanntheit verhalf und dann auf Bad Segeberg umsattelte. Sie können sich noch daran erinnern, wie der Kinoheld ihrer Kindheit im cremefarbenen Fransenanzug auf die Bühne ritt, während dazu die Winnetou-Melodie von Martin Böttcher erklang. Und noch heute haben sie seinen französischen Akzent im Ohr: „Isch 'abe gesprochen”.

Pierre Brice ist vergangenes Jahr gestorben. Der Winnetou in Elspe heißt Jean-Marc Birkholz (42), der in Bad Segeberg Jan Sosniok (48). Beide sind mal in „Gute Zeiten, schlechte Zeiten” aufgetreten. Macht aber nix, denn auch sie kämpfen jetzt in Lederkluft für das Gute, und das Publikum feiert sie dafür.

Immer wieder muss Birkholz nach dem Ende der Premierenvorstellung am Samstag in Elspe über die 100 Meter breite Bühne galoppieren. Die Darsteller der Banditen werden traditionell ausgebuht - auch das ist ein Hinweis darauf, dass die Zuschauer die Vorführung nicht in erster Linie als Theater erleben. Im Zeitalter der virtuellen Realität geht von einer Welt, die man riechen und fühlen kann, eine große Überzeugungskraft aus.

Im kommenden Winter will RTL eine dreiteilige Neuverfilmung des Winnetou-Stoffs ins Fernsehen bringen - mit „Tatort”-Kommissar Wotan Wilke Möhring (49) als Old Shatterhand. Möhring, der im Ruhrgebiet aufwuchs, hat als Kind in Elspe selbst um ein Autogramm von Pierre Brice angestanden.

Wenn die Filme ein Erfolg werden, wäre das mit Sicherheit Rückenwind für Karl May. Experte Petzel sagt: „Einige, die schon den Trailer gesehen haben, meinen: Dieser neue Winnetou hat Mythos-Potenzial.” Elspe-Chef Bludau ist sich da nicht so sicher: „Wär schön, wenn's was würde - aber ich weiß nicht, ob RTL begriffen hat, worum es da eigentlich geht. Das reine Darbieten einer filmischen Darstellung reicht nicht aus, um etwas neu erfolgreich zu machen. Was Bad Segeberg und wir bieten, ist live.” (dpa)

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