KleopatraDie ewige Diva

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Rex Harrison als Julius Caesar, Elizabeth Taylor als Cleopatra, Richard Burton als Marc Antony

Rex Harrison als Julius Caesar, Elizabeth Taylor als Cleopatra, Richard Burton als Marc Antony

Vorhang auf, Bühne frei: Drei Reiterstaffeln Fanfarenbläser preschen  auf das Forum; Streitwagen und Bogenschützen, nackte Tänzerinnen und wilde afrikanische Horden folgen – die  Vorhut eines grandiosen Einzugs:

Von 300 schwankenden Sklaven gezogen zum rhythmischen Tamtam der Trommeln  manövriert  eine  haushohe, ebenhölzerne Sphinx  millimetergenau durch das Triumphtor. Hoch über den Köpfen der Menge, vor den Pranken der Sphinx thront in goldgewirktem Kleid: Kleopatra. Rom jubelt, die Senatoren erheben sich respektvoll, Cäsar blinzelt, als schaue er in die grelle Sonne Ägyptens.

Im 19. Jahrhundert ist Kleopatra das ideale Sujet für schwüle Orientfantasien

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Als ein Dutzend nubischer Diener die Herrin vom Nil auf einem Podest bis vor die Stufen des Senats herabträgt, ist es plötzlich still. Cäsar nickt gnädig und Kleopatra, die stolze Königin, neigt die Krone vor dem Römer. Tosende Begeisterung. Doch für einen kurzen, von der Menge unbemerkten Augenblick zwinkert sie ihm verschmitzt zu: Na,  war das eine  Show! – Bombastisch. Sie hat 20th Century-Fox fast ruiniert. Allein diese rund zwölf Filmminuten der Ankunftsprozession in Rom verschlangen eine Millionen Dollar – vor 50 Jahren.

Ein Film als Wiedergutmachung

„Kleopatra“ war ein Film der Superlativen: der teuerste, für Jahrzehnte auch längste Film aller Zeiten, mit der schönsten, kapriziösesten und kostspieligsten Diva Hollywoods. Bis heute prägt die damals 30-jährige Elisabeth Taylor unsere Vorstellung von Kleopatra. Die mit dunklen Kajalstrichen betonten Augen, die schwarze Bobfrisur, das tief ausgeschnittene  Dekolleté – diesen Stil hatten vor ihr auch schon Stummfilmstar Theda Bara in den Zwanzigern, Claudette Colbert in den Dreißigern und Vivien Leigh in den Vierzigern kultiviert – doch nicht in Multicolor, auf Breitwand und mit solcher Raffinesse.

Während Theda Bara die Verführerin, Claudette Colbert die Ruchlose und Vivien Leigh die ungestüm-rätselhafte Kindfrau geben, stellt Elisabeth Taylor erstmals Kleopatra als selbstbewusste Frau dar, als weitsichtige Staatslenkerin, smarte Repräsentantin einer 3000 Jahre alten Kultur. Kleopatra ist endlich eine Politikerin, die auch Frau ist, Mutter und  Geliebte. Sie weiß, dass sie Objekt männlicher Begierde ist und spielt ihre Trümpfe raffiniert und klug aus. Eine Grand Dame eben.

Eine sehr späte historische Wiedergutmachung. Denn die Geschichte ist übel mit Kleopatra   verfahren.  Man(n) hat ihr den Beinamen „die Große“ nicht gegönnt. Alexander war groß, auch Karl der Franke, Peter der Reuße, Friedrich der Preuße... Herodes, Konstantin, Iwan, Otto und ein Alfred, alles „große“ Männer, sub specie aeternitatis. Kleopatra reichte da nicht heran.   Unter allen weiblichen Herrscherinnen wurde so nur  Katharina geadelt. Es soll Voltaire gewesen sein, der ihr den Beinamen „die Große“ verlieh, fasziniert von Macht und Pracht des russischen Hofs. Auffallend ist: die Ächtung Katharinas wie Kleopatras.  Ihr Liebesleben wurde vulgarisiert. Katharina, die eiskalte Thronräuberin, hatte angeblich 21 Liebhaber und, so die sich hartnäckig haltende  Legende, sie war sexuell derart unersättlich, dass sie sodomistische Praktiken mit ihren Pferden ausgeübt haben soll. Über Kleopatra ist zu lesen:  „Sie war von so großer Wollust, dass sie sich häufig öffentlich anbot, und von so großer Schönheit, dass viele eine Nacht mit ihr um den Preis des eigenen Todes erkauften.“

Mannstolle Nymphomanin, männermordendes Monstrum, königliche Hure, verruchte Ehebrecherin, wahnsinnige Verschwenderin... die männliche Geschichtsschreibung lässt nichts aus. Kleopatra trägt schwer an dieser Überlieferung: Über Jahrhunderte hinweg ist sie in Wort, Stein und Bild das Symbol für ausschweifenden Luxus, orientalische Exotik und Erotik. Akademisch formuliert: Eine überzeitliche kulturelle Chiffre, dann auch  für Schönheit, Charisma, Wille zur Macht. Und noch immer steht ihr Name über Sonnenstudios und Fünf-Sterne-Hotels, auf Parfums, Badeölen und  gewissen Etablissements.

In Bonn wirft die Kunst- und Ausstellungshalle  nun ein Schlaglicht auf „Die ewige Diva“ und damit auch auf die überhitzten sexuellen Fantasien der  Männer aller Zeiten. 

Cäsar erwähnt sie nur am Rande

Weder Kleopatra selbst noch ihre Zeitgenossen haben zuverlässige schriftliche Zeugnisse hinterlassen. Es gibt weder Briefe noch Bekenntnisse, die darüber Aufschluss geben, wie diese Frau dachte und fühlte. Weder ihr Palast  noch ihr Grab wurden bislang entdeckt. Selbst ihr Geliebter  Julius Cäsar erwähnt sie nur am Rande.

Alle Quellen stammen aus römischer Hand und dienen der Propaganda ihres Gegners Octavian. Der Sieger schreibt eben Geschichte. Nur eine Handvoll Fakten sind gesichert: Sie tritt den drei mächtigsten Männern ihrer Zeit – Cäsar, Marcus Antonius und Octavian – entgegen und damit dem römischen Hegemonialanspruch im Mittelmeer. Sie hat vier Kinder: gemeinsam mit Cäsar den Erstgeborenen Caesarion, drei weitere mit Marcus Antonius. Cäsar hilft ihr, sich gegen ihre ebenso skrupellose Verwandtschaft als Regentin durchzusetzen. Gleichwohl betrachtet auch er Kleopatra und damit Ägypten nur als Spielball eigener Herrschaftsinteressen. Es ist ein Geben und Nehmen. Kleopatra spielt ihre Rolle als Göttin, Königin und Mutter offenbar geschickt. Sie will Ägypten als ostmediterranes Großreich in der Nachfolge Alexander des Großen sichern und setzt – so wie ihre männlichen Konkurrenten – dafür alle Mittel ein, auch die der Liebe.

Römische Geschichtsschreiber und Dichter wie Plutarch oder Lukian prägen nachhaltig das Bild Kleopatras, Legenden, die  dann über Jahrhunderte hinweg  bis in die Gegenwart in Dramen und Erzählungen, Gemälden, Plastiken oder Comics, in Opern und Balladen, TV-Serien und Monumentalfilmen variiert und inszeniert werden:   Dass sich die 19-jährige Kleopatra in einem Wäschesack – Hollywood rollte Liz Taylor immerhin  in einen Orientteppich ein – in Cäsars Nachtquartier  schmuggeln lässt und den Feldherrn in nur einer Nacht um den Finger wickelt; dass der 30 Jahre ältere Römer dem exotischen Luxus des Pharaonenhofes erlag; dass das Liebespaar  auf einer Nilkreuzfahrt turtelte  und Kleopatra ihm mit ihrem Erstgeborenen Caesarion nach Rom folgte.

Obszön wird ihre orientalische Verschwendung dann (aus römischer Sicht), als sich die Femme fatal auch noch den römischen Triumvir  Marcus Antonius unter den Nagel reißt. Dabei ist es Antonius, der nach Cäsars Tod Kleopatra  in sein Quartier im kilikischen Tarsos befiehlt.  Er fordert Ägyptens Hilfe. In Griechenland lässt sich der Frauenheld als neuer Dionysos feiern. Kleopatra soll für ihren Auftritt eine angemessene Inszenierung gewählt haben:

Auf einer goldenen Prunkgaleere, umgeben von aufreizenden Tänzerinnen und Lustknaben, bedampft von Ambra und Weihrauch, soll sie sich dem römischen Dionysos verführerisch als Aphrodite angeboten haben. Sie richtet für die römischen Recken  prächtige Partys aus, dekoriert mit  Teppichen aus Gold- und Silberfäden, mit Tafelgeschirr aus kunstvollen goldenen, mit Juwelen besetzten Gefäßen. All das  verschenkt sie nach dem Gelage: Gold, Juwelen, Pferde mit silbernem Zaumzeug.

Gerne wird auch die Millionen- Wette kolportiert: Sie habe mit Antonius gewettet, dass sie mit einer einzigen Mahlzeit, Millionen verspeisen könne. Sie lässt ihre wertvollste Perle in Essig auflösen und leert den Kelch in einem Zug. Ihre Gelage werden  dann in der Barockzeit  ein vielgemaltes Motiv. Monumentale Tapisserien mit Szenen ihres Lebens schmücken barocke Bankettsäle in ganz Europa.

Todgeweihte Lebenslust

Die Fürstenhöfe  spiegeln  in solchen Szenen ihr eigenes Lebensgefühl: Carpe diem, feiere den Tag! Keine andere antike Heroine verkörperte den Widerspruch todgeweihter Lebenslust überzeugender als Kleopatra. Dabei hatte ihre kostspielige Hofhaltung eine wichtige politische Funktion, so die Historiker. Je doller die Feste, desto deutlicher das Signal an die Bevölkerung: Wir haben alles im Griff.  Das  entsprach offenbar ptolemäischer Tradition und Repräsentation.

Die  römische, dann die moralisierende christliche  Geschichtsschreibung zeichnet daraus das    Sittengemälde  einer gottlosen, dekadenten Gesellschaft, die wie zu Nebukadnezars Zeiten vor lauter Völlerei die flammende Schrift an der Wand ignoriert: Gott hat dich  gewogen und vor der Geschichte  als zu leicht befunden. Kleopatra wird angelastet, was bei männlichen Herrschern  normal ist:  Dass sie auch die Liebe kühl-kalkulierend als Geschäft betrieben habe – römische Helden wurden also Opfer einer verruchten Circe.

Ein besonders beliebtes Bildmotiv wird  Kleopatras Tod. Auch er wird erotisiert. Michelangelo zeichnet Kleopatra 1533 mehr oder minder nackt. Die Königin lässt sich von der Giftschlange in den nackten Busen beißen. Bis ins 19. Jahrhundert muss Kleopatra für diesen Biss das Mieder lüften. Die nackte Königin, ihre  schöne Leich, wird dem unverschämten   Blick des Betrachters präsentiert. Vielleicht öffnet diese Obszönität erst den Blick auf die Tragik der Frau, auf ihre heroischen Qualitäten.  

Dass der Legende nach   ein Schlangenbiss die  einsame Königin      erlöst, auch das ist  eine  nachträgliche Theatralisierung. Kleopatra verkörpert als Herrscherin die Schlangen-Göttin Isis. Die Uräusschlange  schmückt als Herrschaftszeichen ihre Pharaonen-Krone. Die Botschaft der Legende: Der heidnische Kultus löscht sich  selbst aus. Den frühen Christen sind die heidnische Nacktbildnisse der Ägypter  derart zuwider, dass sie viele Bildwerke zerschlagen. Für sie ist  die Schlange das Symbol der Eva – der ewig sündigen Verführerin.

Für die  großformatige Historienmalerei des 19. Jahrhunderts wird Kleopatra das ideale Sujet für schwüle  Orientfantasien. Die Bilder bedienen  das voyeuristische  Bedürfnis des Salonpublikums mit Darstellungen fremdartiger, aufreizender, skandalumwitterter Frauen – als Gegenentwurf zum biederen Ideal von der christlich-braven Bürgersfrau.

„Kleopatra. Die ewige Diva“ zeigt bis zum 6. Oktober 2013 die vielen Gesichter der Königin, von der Antike bis in die aktuelle Popkultur, mit Werken der Skulptur, Malerei, Fotografie, Film- und Videokunst. Die Bonner Kunst- und Ausstellungshalle präsentiert Kleopatra in 14 Kapiteln der Kunst- und Kulturgeschichte. Museumsmeile Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4. Dienstag und Mittwoch: 10 bis 21 Uhr, Donnerstag bis Sonntag: 10 bis 19 Uhr. Eintritt: 10 Euro/6,50 Euro. 0228/9171200 Kleopatra. Der orientalische Garten zeigt auf dem Dach der Bundeskunsthalle die wesentlichen Elemente der Gartenkultur am Nil. www.bundeskunsthalle.de

Mal negativ, mal positiv

Jede Zeit und jede Mode prägen ihr je eigenes Kleopatra-Bild, positiv wie negativ, modelliert nach dem jeweiligen Schönheitsideal und Geschmack – vor allem der Männer.   Auch die Kinoleinwand führt diese Tradition fort. Nach dem Ersten  Weltkrieg verkörpert Theda Bara die eigenwillige Frau und ihre sexuelle Macht.   Eine  ebenso elegante, wie  emanzipierte moderne Frau – das wird Kleopatra aber erst in den 60er Jahren durch     Liz Taylor.  Doch auch das Opus des Joseph L. Mankiewicz fällt der geradezu   fatalen Kleopatra-Zensur zum Opfer: Mehr als zwei Stunden des Films werden herausgeschnitten, vor allem Szenen, in denen  die kluge Regentin zu sehen ist, die Steuern und Abgaben  eintreibt, als Mäzenin Kunst und Wissenschaft fördert.

Und dennoch wirkt diese Kleopatra 1963  nachhaltig  emanzipativ. Die stürmische Liebesaffäre zwischen Elizabeth Taylor und Richard Burton sorgt für enormen Medienwirbel. Beide sind noch mit anderen Partnern verheiratet, doch sie  scheren sich nicht um die Moralpredigten des Vatikans und um die  sittliche Entrüstung der prüden amerikanischen Gesellschaft. In den 60ern  leisten Kleopatra und Marcus Antonius so ihren Beitrag zur sexuellen Revolution – und:

Kleopatra ironisiert augenzwinkernd das eigene Image. Als Caesars Besuch angekündigt wird, mahnt sie ihre Dienerinnen: „Wir dürfen ihn nicht enttäuschen, wenn er kommt. Die Römer erzählen sich so manches von meinen Sklavinnen, meinem Bad und von – meiner Moral.“ Also steigt sie in die Wanne und bedient so den  eigenen Mythos  und die Männerfantasien der  60er Jahre. Die Diva Elisabeth Taylor macht Kleopatra zur Popikone, die dann inflationär  imitiert  und  kommerzialisiert wird  von Stars und Sternchen des internationalen Unterhaltungsgeschäfts.

Mankiewicz’ grandiose Einzugsprozession  in Rom hat es übrigens nie gegeben. In Cäsars Triumphzug in Rom lief  nur die in Ketten gelegte jüngere Schwester   und abgesetzte Vorgängerin Kleopatras mit:  Arsinoe. Cäsar entließ sie ins griechische Exil, wo sie schließlich den Auftragskillern  Kleopatras zum Opfer gefallen sein soll. Politik ist ein schmutziges Geschäft. Kleopatra hat dafür  im Höllenfeuer ihres Nachruhms  büßen müssen. 

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