KolumneWarum ich den digitalen Shitstorm dem analogen vorziehe

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Symbolbild.

  • Der Shitstorm ist kein Phänomen, das erst mit dem Internet aufkam.
  • Den digitalen Hass sollte man nicht zu ernst nehmen, dann können einen die Anfeindungen nichts anhaben.

Köln – In der griechischen Mythologie war die Hydra das Sinnbild einer Plage, die umso größer wurde, je mehr man versucht hat, sie zu bekämpfen. Für jeden Kopf, der diesem Ungeheuer abgeschlagen wurde, wuchsen ihm zwei neue nach. Es war, als hätten die alten Griechen das Internet schon gekannt und ein Phänomen, das in der deutschen Sprache Shitstorm heißt, weil das viel netter klingt als Scheiße-Sturm.

Die Angelsachsen sind übrigens nicht bereit, das als ihren muttersprachlichen Begriff in den Mund zu nehmen und nennen den Hassüberfall der Netzgemeinde auf einen Einzelnen ganz praktisch Flak. Nach dem deutschen Kurzwort für Flugabwehrkanone. Wir haben uns also gegenseitig ein böses Wort geborgt und sind quitt.

Man kann es nicht allen Recht machen

Das Phänomen aber bleibt, und alle, die sich im Internet bewegen, haben Angst davor. Wer in der Öffentlichkeit steht, und sei es auch nur ein winziges bisschen, kann persönlichen Angriffen im Netz nicht entgehen. Ein Aufruf zur Toleranz erzeugt den Zorn der Intoleranten, ein Pamphlet für Frieden den Hass der Kriegstreiber, Verständnis für die Sorgen der kleinen Leute die Verachtung der Elite, eine Gebrauchsanweisung für Linkshänder den Unwillen der Rechtshänder.

Es gibt kein Thema ohne Gegner. Und es existiert kein Ort, an dem es billiger ist, Gegnerschaft zu zeigen. Es sind nur Worte, schnell ins Halbdunkel möglicher Anonymität getippt. Ansporn für Nachahmer, es noch gemeiner zu machen. Der Mensch ist nicht ausschließlich niederträchtig. Aber hier, in dieser Situation, ist er es.

Donald Trump profitiert von Anfeindungen

Der Shitstorm berührt prinzipiell alle Betroffenen peinlich, außer einem Typus, dessen idealtypischer Vertreter der Milliardär und Steinzeit-Politiker Donald Trump ist. Er hat herausgefunden, dass seine Anhängerschaft linear mit dem Hass wächst, der ihm entgegengebracht wird. Ihm kann es auf dem Weg ins Präsidentenamt der Vereinigten Staaten von Amerika gar nicht genug Flak sein.

Donald Trump Demo

Menschen demonstrieren in San Diego gegen Donald Trump.

Das Problem ist jedoch, dass dieser Trick nur radikal denkenden Menschen und Gruppen zur Verfügung steht. Den Guten nicht. Ihnen bleibt allein die Chance, den epidemisch auftretenden digitalisierten Hass zu ignorieren. Für Leute, die sich von Berufs wegen öffentlich äußern müssen, ist das eine schwierige Übung. Aber sie gelingt besser mit zwei einfachen Gedanken. Erstens: Die kennen mich doch gar nicht. Zweitens: Weil das so ist, können sie nicht mich meinen, allenfalls eine Position, ein Klischee, ein Trugbild oder ein Missverständnis.

Den Shitstorm nicht zu ernst nehmen

Wer das Glück hat, als Sportjournalist regelmäßig über Fußball-Klubs schreiben zu können, sollte diese Gedanken immer parat haben. Und besser nie, nie, niemals seinen eigenen Namen in Text und Bild in der Suchmaschine verfolgen. Da kann einem zum Beispiel das eigene Gesicht als Fratze begegnen mit Unterschriften wie: „Berufe, die die Welt nicht braucht: Der Sportjournalist.“ Oder: „Niederste Form des menschlichen Lebens.“

Ich fand das in meinem Fall bemerkenswert. In einem Human-Ranking noch unter Stalin, Fritz Honka und Adolf Hitler. Leider hat es jemand gelöscht. Ich kann jetzt nicht mehr damit angeben. Außerdem gibt es noch einen öffentlichen Frank Nägele, der mir in der digitalen Welt Konkurrenz macht. Er ist Staatssekretär der Landesregierung von Schleswig-Holstein. Das Schlimmste, was über ihn aktuell gegoogelt werden kann, lautet: „SPD sauer auf Nägele“. Bei allem Respekt, lieber Namensvetter: Das ist kein Shitstorm, auch wenn es von der eigenen Partei kommt.

Flak gibt es nicht erst seit dem Internet

Für jüngere Kollegen, die unter gelegentlichem Flak leiden, habe ich immer einen Trost parat. Früher gab es das auch analog – und es war schlimmer. Man brauchte nur, sagen wir, ein Jahrzehnt lang über den größten lokalen Verein in der tiefsten Krise seiner Geschichte zu berichten, mit Nebenwirkungen wie dem ersten Bundesliga-Abstieg und dem zweiten und dem dritten, und schon war man auf eine seltsame Weise populär. Das äußerte sich in einer Vielzahl von Telefonanrufen, die das Verschwinden der Privatnummer aus dem damals noch heiligen Telefonbuch erforderlich machten.

Bei Erkennen wurde man gern auch angerempelt oder im Stadion mit Bier begossen. Den persönlichen Ritterschlag erhielt ich persönlich zu Beginn der 2000er-Jahre in Form eines riesengroßen Banners, auf dem für die Dauer eines ganzen FC-Spiels lang weithin sichtbar stand: „Nägele und Wagner, wir haben die Schnauze voll.“ Wagner ist mein direkter Vorgesetzter. Aber es zählt für mich trotzdem ganz.

Dennoch ziehe ich die Hydra aus dem Internet vor. Sie ist zwar unbesiegbar, so lange man sie zu besiegen versucht. Aber sie stirbt sofort, wenn man sich einen Dreck um sie schert.

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