Konzerte in KölnChilly Gonzales verwandelt die Philharmonie in seinen Whirlpool

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Spaß im Morgenmantel: Chilly Gonzales in Aktion

Spaß im Morgenmantel: Chilly Gonzales in Aktion

Köln – Als er vor 15 Jahren erstmals in Köln auftrat, erinnert sich Chilly Gonzales in der Kölner Philharmonie, hatten gerade mal 25, 30 Interessierte den Weg ins kleine Studio 672 unterm Stadtgarten gefunden. Der junge Entertainer lud sie in den Backstage-Bereich. Und wurde im Gegenzug von einigen Fans dazu aufgefordert, sich anschließend mit ihnen in die Claudius Therme zu schleichen. Und so endete das erste Köln-Konzert des Exilkanadiers in einem Whirlpool.

„Take Me to Broadway“ hieß damals sein Minihit, zu nachtschlafender Zeit konnte man den Gonzales wie einen überdrehten Stummfilm-Bösewicht auf „Viva“ gestikulieren sehen, nicht ahnend, dass er es mit dieser Kampfansage völlig ernst meinte. Nun hat er längst den Broadway hinter sich gelassen – zugunsten exklusiverer Adressen. Die Philharmonie füllt er im fünften Jahr, längst reichen die zwei angesetzten Termine nicht mehr aus, um die Nachfrage zu befriedigen. Klar, das ist ein Heimspiel. Gonzales hält es nun schon lange in unserer hässlich-beschaulichen Stadt aus.

Chilly Gonzales (bürgerlich Jason Charles Beck), wurde 1972 im kanadischen Montreal geboren. Er studierte Jazz-Piano, wandte sich dann aber dem Pop zu und arbeitete mit Musikern wie Feist, Peaches und Mocky zusammen. Seine Bekanntheit erlangte Gonzales durch Electro-Tracks mit satirisch angehauchtem Rapgesang: Ein 2004 erschienenes Album Solo Piano mit ernsthaften, zwischen Klassik und Jazz angesiedelten Klavierstücken wurde von der Kritik lobend aufgenommen.

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Nach Aufenthalten in Paris und Berlin lebt Gonzales jetzt seit einigen Jahren in Köln. Soeben hat er sich von der Bühne für ein Jahr verabschiedet, um sich dem Komponieren zu widmen. (ksta)

Was an der ungewöhnlichen Karriere des notorischen Morgenmantelträgers jedoch am meisten erstaunt: dass ihm der Sprung in die holzvertäfelten Kulturtempel zu seinen Bedingungen gelungen ist. Die große Philharmonie ist sein Backstage-Bereich, sein Whirlpool. Das Publikum darf sich warm umsprudelt fühlen, im intimen Rund mit dem Performer.

Gonzales als Komponist?

Tatsächlich denkt ja schon Gonzales’ Musik das Publikum stets mit: Die leicht fasslichen Melodien, die Scherze mit der Klaviatur, die großen pianistischen Gesten, das Sperrfeuer der Bonmots in den Rap-Texten. Kennt man alles. Es ist unmöglich, sich bei einem Gonzales-Konzert nicht zu amüsieren. Die große Überraschung diesmal war jedoch, um wie viele Windungen enger Gonzales mit dem Hamburger Kaiser Quartett zusammen musiziert.

Dass der Pianist und das scheuklappenlose Streichquartett einander glücklich ergänzen, war von Anfang an offensichtlich. Aber nun schwärmt Gonzales, dass er seine zweite Bandhälfte gefunden hat. Man kann es hören, spüren. In den neuen, gemeinsam eingespielten Kammermusiken, erst recht in den Nummern, die seit jeher fester Programmteil sind. „Supervillain Music“ steigert sich nun vom ungewöhnlich getakteten Rap in eine schwelgerische, superdynamische Coda. In „Prelude to a Feud“ rasen die Streicher in jauchzenden Arpeggien den Vorbildern aus dem Elektroclub davon.

Jetzt, wo er einen Scheitelpunkt erreicht hat, will sich Gonzales für ein Jahr zurückziehen. Wie es weitergeht? Na, zum Beispiel als Komponist. Stolz überlässt der Kölner Pianistin Olga Scheps den Flügel für ein noch titelloses Auftragswerk. Mit der Chopin-Expertin verbindet ihn die Liebe zum Repertoire der Romantik. In der Welt von Chilly Gonzales teilen sich Klassik und Pop den gleichen romantischen Sehnsuchtsort. Dass diese Fantasie so gut funktioniert, liegt auch an der überlebensgroßen und doch warmherzigen Persona des Kanadiers. Ob nicht jemand anderes Chilly Gonzales sein könnte?, sinniert der Künstler, nachdem er sich zwei Stunden am Klavier verausgabt hat. Und präsentiert die Gewinnerin eines angeblichen Chilly-Gonzales-Casting-Wettbewerbs. Die macht ihre Sache gar nicht schlecht. Und erinnert doch nur daran, wie einmalig der Mann ist, der zum Broadway wollte und im Herzen der Hochkultur gelandet ist.

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