Abo

Krimifestival in KölnCrime Cologne startet mit Tess Gerritsen

Lesezeit 5 Minuten
tess.2

Tess Gerritsen unterwegs im Wassertaxi zu den Handlungsorten ihres neuen Romans.

„Da drüber gibt es ein gutes jüdisches Restaurant“, sagt Tess Gerritsen. „Das Gam Gam.“ Anmutig steigt sie aus dem Wassertaxi, das Hütchen auf ihrem Kopf fest im Griff. Schwarze Hose, schwarzes Top, das Halstuch ist aus Seide – die Frau sieht einfach klasse aus. „Und da drüben stand das Haus der Familie Todesco.“ Tess Gerritsen weist hinüber zu einer schmalen Gasse, kaum mehr als ein dunkler Spalt in der sonnenhellen Häuserzeile: die Calle del Forno.

Hier also, am Rande von Venedigs altem, jüdischem Viertel, spielt das jüngste Werk der amerikanischen Bestsellerautorin. „Totenlied“ ist halb Krimi, halb historischer Roman. Vor allem aber ist es eine Hommage an rund 10 000 italienische Juden, die zwischen 1943 und 1945 von der deutschen Wehrmacht vertrieben, verschleppt und in Vernichtungslagern ermordet wurden.

Entschlossen geht Tess Gerritsen los. Hohe, schmale Häuser, die Fassaden beklebt mit Plakaten: Das Orchestra Filarmonic delle Fenice lädt an diesem Tag zum Konzert, eine Ausstellung mit Werken von Sigmar Polke ist noch bis zum 6. November im Palazzo Grassi zu sehen. Aus einem Fenster wehen die Fetzen eines Jazzkonzerts. Tess Gerritsen bleibt stehen: „Was kann Menschen mehr verbinden als die Musik? Es hat keine Bedeutung, woher jemand kommt, wie alt er ist und an welchen Gott er glaubt. Die Musik verbindet uns alle.“ Musik spielt eine wichtige Rolle in ihrem neuen Roman, der der 63-Jährigen mehr am Herzen liegt als manch anderes ihrer knapp 30 Bücher. Das mag an der fast mystisch klingenden Entstehungsgeschichte von „Totenlied“ liegen. Sie sei, erzählt die Autorin, vor drei Jahren mit ihrer Familie nach Venedig gereist, um dort ihren 60. Geburtstag zu feiern.

Alles zum Thema Museum Ludwig

„Auch meine schwangere Tochter war dabei, und vielleicht hat mich ihre Schwangerschaft ja inspiriert.“ Wie auch immer, Tess Gerritsen hatte eines Nachts einen Traum. Einen schlechten Traum: „Ich spielte auf meiner Violine ein sehr düsteres Stück, während neben mir ein Baby saß. Es hatte rotglühende Augen und verwandelte sich plötzlich in ein Monster.“ Was natürlich ebenso gut Tess Gerritsens erklärter Vorliebe für Horrorfilme geschuldet sein kann.

Am nächsten Morgen habe sie die erste Hälfte des Romans im Kopf gehabt, erzählt sie: Julia Ansdell, eine junge amerikanische Violinistin, kauft in Rom ein paar vergilbte Notenblätter. „Incendio“ – Feuer, so heißt das verstörende Stück eines unbekannten Komponisten namens L. Todesco. Doch jedes Mal, wenn Julia den Walzer spielt, passiert etwas Schreckliches. Ihre kleine Tochter massakriert den betagten Hauskater oder rammt der Mutter eine Glasscherbe ins Bein. Und so beginnt Julia nachzuforschen, was es mit „Incendio“ auf sich hat.

Der Leser weiß mehr

Der Leser weiß längst mehr: Lorenzo Todesco, so der Name des Komponisten, wächst in den 1930er Jahren in der Calle del Forno in Venedig auf. Die Todescos sind Juden. Daran, dass ihnen von Seiten der Nationalsozialisten Gefahr drohen könnte, glaubt keiner von ihnen. Ein Irrtum, der für die Familie wie für tausende Juden in Rom, Venedig, Triest und Florenz tödlich ausgehen soll. Lorenzo ist ein begnadeter Musiker. Kurz vor seinem Tod komponiert er ein letztes Stück: „Incendio“. Feuer.

Schwerer Stoff, Tess Gerritsen will das nicht bestreiten. Und eben deshalb hat sie die historische Handlung eingebettet in die Geschichte der Julia Ansdell. „Es ist ein Trick“, gibt sie zu. „Denn eigentlich mögen die Leser keine historischen Romane. Zumindest nicht in Amerika. Doch wenn man die Geschichte in eine zweite, zeitgenössische verpackt, funktioniert es.“ Wie gut der Trick funktioniert, beweisen die Verkaufszahlen. Auch dieser Roman wurde in der Heimat der Autorin ein Bestseller

Tess Gerritsen weist auf eine hölzerne Tafel auf dem Campo di Ghetto Nuovo. Hier sind die Namen zahlreicher Juden verzeichnet, die im Dezember 1943 aus Venedig deportiert worden sind. Der Name Todesco kommt sehr häufig vor. Am Tag nach dem Traum sei sie mit ihrem Mann durch das jüdische Viertel gegangen, erzählt Tess Gerritsen, und allmählich habe das Buch Gestalt angenommen in ihrem Kopf. „Als ich den Namen Todesco las, wusste ich, dass mein Protagonist genau so heißen soll.“

Bis zum Museo Ebraico di Venezia, dem jüdischen Museum von Venedig, sind es nur noch ein paar Schritte. Es ist ruhig auf dem Campo di Ghetto Nuovo. Hierhin verirren sich nur wenige Touristen. In einem kleinen Restaurant werden preiswerte Pizzen und Panzerotti in Käsesoße serviert. In den Fenstern der Andenkenläden stehen Klezmer-Bands aus garantiert echtem Murano-Glas und fröhlich grinsende Rabbi-Figuren

Im Museum hat die Autorin das nötige Hintergrundmaterial für ihr Buch gefunden. Sie hat sich mit der Geschichte des Holocaust und mit den Mechanismen des Faschismus auseinandergesetzt. „Ich sehe Parallelen zu der heutigen politischen Entwicklung in Amerika“, sagt sie, und das mache ihr große Angst.

Auch Donald Trump sei ein Volksverführer, einer, der vor allem Menschen anspräche, die sich von den Politikern getäuscht und verraten fühlten. „Sie sind für ihn, weil sie auf der Verliererseite stehen und glauben, dass er etwas für sie tun wird.“ Was man dagegen tun könne? „Hoffen, dass er nicht gewählt wird.“ Doch das habe schon 1933 in Deutschland nicht funktioniert.

Zu Person und Festival

Tess Gerritsen wurde 1953 im kalifornischen San Diego geboren und hat knapp 30 Kriminalromane veröffentlicht. Ihr neuer Roman heißt „Totenlied“ (Limes, 320 Seiten, 14,99 Euro) und spielt teilweise im Venedig der 1930er Jahre. In Köln liest sie zum „Warm up“ der „Crime Cologne“ am Freitag, 16. 9., 2015 Uhr, in der Mayer’schen Buchhandlung am Kölner Neumarkt.

Das Krimifestival „Crime Cologne“ wird offiziell am Sonntag, 18.9., 20 Uhr, mit einer Galaveranstaltung und der Verleihung des „Crime Cologne Award“ im Café Ludwig im Museum Ludwig eröffnet. In der kommenden Woche werden unter anderem Arne Dahl, Horst Eckert, Kai Meyer und Oliver Bottini lesen.

KStA abonnieren