Maria Furtwängler im Interview„Es gibt da keine Beziehung auf Augenhöhe“

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Maria Furtwängler

Maria Furtwängler

Frau Furtwängler, vergangenes Jahr haben Sie gemeinsam mit Ihrer Tochter Elisabeth die Stiftung „MaLisa“ gegründet. Mit welchem Ziel?

Das Ziel ist eine gleichberechtigte Gesellschaft, in der Männer und Frauen ihre Potenziale frei entfalten können. Auf der internationalen Ebene haben wir vor fünf Jahren angefangen mit „MaLisa Home“ auf den Philippinen mit einem Schutzhaus für Mädchen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind. Später haben wir überlegt, was wir in Deutschland tun können, am besten dort, wo wir selber tagtäglich unterwegs sind. Das sind bei mir natürlich TV und Kino, und bei meiner Tochter die Musik. Wir wollten wissen, wie Männer und Frauen in diesen Medien dargestellt werden und ob es Stereotype oder unterschwellige Diskriminierung gibt.

Was gab Ihnen den Anstoß, sich zu engagieren?

Das hat sicherlich mit meiner Arbeit für die „German Doctors“ in Indien zu tun. Wenn Kleinkinder oder Mütter mit ihren Kindern in die Ambulanzen gekommen sind, dann ging’s den weiblichen Säuglingen immer noch mal viel schlechter als den Buben. Und dann gab es eben auch immer wieder Frauen, die mit schwersten Verbrennungen kamen. Ich habe den Arzt nach den Gründen dafür gefragt und er erklärte mir, dass es sich um Opfer von Mitgift-Jägern handelte. Wenn die ihrer Frauen überdrüssig waren, haben sie sie samt Plastik-Saris ins Feuer geschubst – in der Hoffnung, dass sie dabei sterben, damit sie nochmal eine neue Frau mit neuer Mitgift kassieren können. Ich war schockiert und empört und wollte das so nicht hinnehmen. Der Arzt sagte nur: „That’s the way it is.“ Mit diesem Gefühl bin ich zurückgekommen nach Deutschland, damals am Anfang meiner medizinischen Karriere. Erst nach diesem Erlebnis habe ich überhaupt gesehen, dass auch hierzulande vieles nicht so ist wie es sein sollte. Dass nicht nur Diskriminierung, sondern auch Gewalt gegen Frauen bei uns an der Tagesordnung ist.

Ihre Studie zu Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen stellte fest,, dass dort Männer und Frauen sehr unterschiedlich vertreten sind. Auf der c/o pop in Köln wird Ihre Untersuchung zu Musikvideos Teil einer Diskussion sein. Kommt diese zu ähnlichen Schlussfolgerungen?

Die Studie hat Dr. Maya Götz mit ihrem Team vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen gemacht und unter anderem untersucht: Was wollen denn die Jugendlichen überhaupt sehen? Es gibt ja das Argument, dass diese sehr sexualisierten Darstellungen gefragt sind, aber wollen die Jugendlichen das wirklich immerzu sehen? Ein Drittel der Videos hat Close-ups auf den Hintern und ein Viertel hat Close-ups auf die Brüste der Frau. Diese Zerstückelung des weiblichen Körpers – das ist eine Form von „Objektifizierung“. 80 Prozent der Jugendlichen in Deutschland schauen regelmäßig Musikvideos, und ein Großteil von ihnen sagt, sie möchten so aussehen wie die Sänger und Sängerinnen in Musikvideos. Diese Bilder wirken. Ich bin überzeugt, dass dieses starke Verweisen auf den Körper den jungen Frauen Kraft wegnimmt.

Was sollte man dagegen tun?

Ich bin absolut gegen Zensur oder Verbote. Ich glaube, es geht mehr darum zu sensibilisieren, sodass man eine kritische Distanz aufbauen kann. Wichtig ist, dass wir diversere, also vielfältigere Bilder verbreiten, sodass man in der Welt der Musikvideos nicht nur den starken Mann zeigt, der coole Autos, die Kohle, die Weiber hat – und noch einen Hubschrauber. Und auf der anderen Seite steht die Frau, deren Macht sich sehr stark und ausschließlich auf ihre sexuelle Attraktivität reduziert. Das heißt ja nicht, dass man das nicht haben kann, aber so ist es eben sehr einseitig. Es werden kaum andere Rollenmöglichkeiten dargeboten, in Musikvideos gibt es nahezu keine Beziehung auf Augenhöhe.

Was machen diese einseitigen Bilder mit der gesellschaftlichen und der persönlichen Identität?

Naja, Bilder wirken, insbesondere bei Kindern, im positiven wie im negativen Sinne. In Amerika ist der am schnellsten wachsende Sport bei Mädchen in den letzten zehn Jahren das Bogenschießen gewesen. Und das liegt daran, dass sowohl Katniss in „Tribute von Panem“ als auch Merida in „Legende der Highlands“ beide extrem starke Frauenfiguren waren, die sich mit dem Bogen durch die Welt bewegt haben. Man sieht im positiven Sinne, wie ermutigend die Bilder sein können, aber eben auch umgekehrt, wie diese Festschreibung „du hast sexy zu sein, das ist deine Macht“ oder „du musst Geld, Autos und Weiber haben“ einfach einengt. Und diese Einengung sollte man kritisch überdenken.

Wie entstehen diese überkommenen Geschlechterbilder?

Die Texte der Lieder geben oft gar nicht so viel Sexualisierung her, wie die visuelle Umsetzung der Videos es dann machen. Zum Teil sind das einfach Liebeslieder. Dann schaut man das Video dazu und fragt sich: Geht es in dem Lied wirklich so viel um Sex und Titten und Hintern? Ich könnte mir vorstellen, dass vieles aus einer Gewohnheit heraus, ja fast reflexhaft passiert und das wird dann einfach bedient. Noch mehr Sex gleich noch mehr Likes und Klicks.

Wie beeinflusst denn die Auseinandersetzung mit diesem Thema Ihre persönliche Arbeit?

Ich bin wacher geworden den alltäglichen Formen von Diskriminierung gegenüber, und auch mein eigener Blick auf andere Frauen hat sich verändert. Ich merke, dass ich mitunter keine Spur anders oder besser bin, aber ich bin sensibler geworden. Die Selbstverständlichkeit etwa, mit der frauenfeindliche Witze – und ich kenne eigentlich keinen männerfeindlichen Witz – erzählt werden, die stößt mir auf.

Und haben Sie auch schon mal eine Rolle deswegen abgelehnt?

Ja, ich habe mal eine Kino-Komödie abgelehnt. Die war auf eine so blöde weise stereotyp was die Darstellung von Frauen wie Männern anging. Und obwohl ich gerne, furchtbar gerne Komödie spielen würde, habe ich abgesagt.

Welche eigenen Erfahrungen haben Sie mit stereotypen Geschlechterdarstellungen in Drehbüchern, etwa beim „Tatort“, gemacht?

Was meine Figur beim „Tatort“ angeht, sind wir im Grunde auch lange von einem Stereotyp ausgegangen. Bei Kommissarin Charlotte Lindholm war immer klar: Die liebt ihren Beruf, die arbeitet wahnsinnig gerne und die arbeitet auch viel und das musste automatisch heißen, dass ihr Kind wahnsinnig vernachlässigt ist. Die hat sicher eine hoch gestörte Beziehung zu ihrem Kind und es war irgendwie eine Selbstverständlichkeit, dass das so erzählt werden musste. Aber wieso muss denn das Kind, wenn es bei der Großmutter gut versorgt ist, direkt neurotisch sein und eine gestörte Beziehung zur Mutter haben?

Es ist ja ein vertrautes Klischee, dass sich Beruf und Erziehung für eine Frau nur schwer verbinden lassen…

Das sind Reflexe, mit denen man groß wird. Wenn eine Frau zwei kleine Kinder hat und ich erlebe, dass sie den ganzen Tag hart arbeitet, dann ist mein Reflex: Ach, und wie geht das mit den Kindern? Wir Frauen sind da oft wenig solidarisch. Warum sollte das nicht gehen? Ich würde das einen Mann in dieser Situation nie fragen. Da muss man sich selber an die Nase fassen.

Schauspielerin, Stiftung und c/o pop-Convention

Maria Furtwängler, 1966 in München geboren, ist zumal als „Tatort“- Kommissarin Charlotte Lindholm äußerst beliebt. Die MaLisa Stiftung, die sie mit Tochter Lisa gegründet hat, engagiert sich im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen ein.

Die Studie zu Rollenbildern in Musikvideos wird am 17. August um 14.30 Uhr auf der Convention zur c/o pop diskutiert – unter anderem mit Maria und Lisa Furtwängler. Das Festival läuft in Köln vom 16. bis 20. August.

www.c-o-pop.de/convention

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