MusikBaustelle für musikalische Brücken

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Der Konferenzsaal als Konzertsaal: Das Sufi-Ensemble der Kölner Moschee

Der Konferenzsaal als Konzertsaal: Das Sufi-Ensemble der Kölner Moschee

  • Die Eröffnung des Acht-Brücken-Festivals in der Kölner Zentralmoschee ist ein Zeichen wechselseitiger inklusiver Gesinnung.
  • Von der Moschee ging es in die katholische Nachbarkirchen - Sankt Michael und Sankt Aposteln.

Köln – Hat Köln einen neuen Konzertsaal, vielleicht sogar Kammermusiksaal? Das wohl nicht, denn es ist unwahrscheinlich, dass die Ditib, der Hausherr der Ehrenfelder Zentralmoschee an der Inneren Kanalstraße, ausgerechnet ihren Konferenzsaal solchermaßen auf Dauer zweckentfremden lässt. Allemal bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Eröffnung des diesjährigen Acht-Brücken-Festivals, das unter dem Generalmotto „Musik und Glaube“ steht, ausgerechnet an diesem Ort stattfinden konnte – der damit überhaupt zum ersten Mal Zeuge eine solchen Ereignisses wurde.

Im Zeichen einer wechselseitig „inklusiven“ Gesinnung sollen – dieses Signal geht von all dem aus – die Kulturen friedlich füreinander durchlässig werden: Ein überwiegend nicht-muslimisches Kölner Publikum strömt in die Moschee, um zunächst eine Stunde lang dem Spiel und Gesang des Ditib-Sufi-Ensembles zuzuhören. Und die Ditib akzeptiert, dass im Anschluss in zwei Kurzkonzerten von Mitgliedern des Kölner Ensembles „musikFabrik“ am selben Ort Musik aus nichtmuslimischen Religions- und Kulturkreisen erklingt: christlich imprägnierte im Fall der russischen Komponistin Galina Ustwolskaja, von fernöstlicher Spiritualität geprägte bei den Uraufführungen zweier Werke des Japaners Toshio Hosokawa. „Der Islam ist Liebe, Respekt und Nachsicht“ steht auf einem der an der Fensterfront befestigten bunten Plakaten. Das klingt nach Verteidigung, und die Ditib wird wissen, warum sie sie für notwendig hält.

Unvermeidlich wohnt solchen Premieren der Reiz des Unfertigen, auch Improvisierten inne. Der Besucher der Moschee kommt ja nach wie vor auf eine Baustelle – das Bauwerk ist eingerüstet, und im Innern sind zwar der ebenerdig gelegene kreisrunde Konferenzsaal und sanitäre Anlagen im ersten Stock begehbar, nicht aber ist es die zentrale Gebetshalle. Die Eingangssituation ist unkomfortabel – wie bei einer Mayonnaisetube unter Druck muss der Strom der Besucher durch eine einzige enge Tür –, und an leisen Stellen stören zwar keine Verkehrsgeräusche, wohl aber solche aus dem Foyer, wo türkische Süßigkeiten und Kaffee verkauft werden.

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Die Akustik des Saals, dessen Kapazität von vielleicht 500 Sitzplätzen an diesem Samstagnachmittag weithin ausgeschöpft wird, ist akzeptabel, mehr allerdings nicht: Sie ist ziemlich trocken, und gewisse Klangqualitäten verschwinden irgendwo im Orkus: Bei der Uraufführung des neuen Hosokawa-Quintetts etwa war das Horn überhaupt nicht zu hören – womit freilich auch ein Balance-Problem des Vortrags bezeichnet sein mag.

Gibt es trotz der unterschiedlichen Herkunftssphären eine Brücke zwischen der Sufi-Musik und der in den Folgekonzerten auf dem Podium erklingenden Werke Ustwolskajas, des Zentralgestirns der Acht Brücken anno 2016? Überraschenderweise ja: Ähnlich wie die Sufi-Musik bedient sich auch die 2006 verstorbene russische Avantgardistin jener repetitiven Muster, die im musikologischen Neusprech „Patterns“ heißen. Ustwolskaja geht dabei aber schmerzhaft an eine Grenze, wie bereits das erste Stück zeigte, das „Große Duett“ für Cello und Klavier von 1959.

Mit sich in die Ohren fräsenden dissonanten Akkordsäulen malträtierte Benjamin Kobler seinen Flügel, und auch Dirk Wietheger hatte seinem Cello extreme Äußerungen abzugewinnen – wobei beide Instrumente im Fortgang immer wieder einen Rollentausch vornehmen müssen. Auch die übrigen, von der musikFabrik allesamt mit großmeisterlicher Professionalität vorgestellten Stücke der Ustwolskaja – die mit Bibelzitaten überschriebenen und auch mit einem Vokal- oder Sprecherpart ausgestatteten und teils von Christian Eggen dirigierten „Sinfonien“ 3, 4 und 5 – zeigten: Da mag es verständnisöffnende Anklänge an den „Dies irae“-Choral geben, aber der vorherrschende Eindruck dieser mit Hammer-Ostinati gespickten Musik ist doch der einer bestürzend abweisenden Radikalität.

Diese vermag indes durchaus einen Flow ganz eigener Art zu erzeugen. Mit dem Idiom ihres Lehrers Schostakowitsch hat all dies jedenfalls nichts, aber auch gar nichts zu tun. Die Schülerin rückt ihn noch in der Rückschau ins Licht einer versöhnenden Freundlichkeit.

Wie ganz anderes dagegen die Tonsprache Hosokawas, von dem neben dem Quintett ein Solo für Oboe (mit Peter Veale) erklang! Ineinander flirrende und glitzernde Linien mit Glissandi, Bebungen und Schwebungen in kleinen Intervallen, ein gleichsam naturhaftes Strömen und Fließen ohne eine im engeren Sinn motivische Konsistenz. Keine Frage: An diesem Nachmittag hinterließen die brutal herausgemeißelten, wie Trümmer in der Landschaft stehenden Tonskulpturen Ustwolskajas den stärkeren Eindruck.

Von der Moschee in katholische Nachbarkirchen: Mit einiger Verzögerung konnte die Agenda in Sankt Michael und Sankt Aposteln fortgesetzt werden. Die Konzerte in der Apostelkirche (am Schluss stand ein „Ambient-Konzert“ mit Max Würden und Lubomir Melnyk) zu besuchen war der Rezensent wegen rezeptiver Ermüdung nicht mehr in der Lage, wohl aber noch die Aufführungen von Ustwolskaja-Frühwerken (Klarinettentrio und Oktett) sowie Hosokawa (wiederum als Uraufführung ein Viola-Solo mit Axel Porath) in dem neoromanischen Gotteshaus am Brüsseler Platz.

Der Wechsel vom Konferenzraum dorthin zeitigte auf jeden Fall die Erkenntnis, in welch hohem Maß Musik durch Raum verändert werden kann. Was vorher scharf getrennt war, ließ die hallige Akustik jetzt mystisch ineinander schwimmen. Alles in allem: Ein eindrucksvoller, intensiver Auftakt der Acht Brücken.

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