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Rockstar-LegendeKurt Cobain wäre am Montag 50 Jahre alt geworden

Lesezeit 4 Minuten
Kurt Cobain im Februar 1992 während eines Konzerts in Tokio.

Kurt Cobain im Februar 1992 während eines Konzerts in Tokio.

Köln – Wenn einmal all die unbequemen Wahrheiten, die Ironie enthüllt und diagnostiziert wurden, was machen wir dann? David Foster Wallace stellte diese Frage in den 1990er Jahren, als Ironie längst zur Reflexhaltung des Mainstreams verkommen war. Nicht länger war sie die alles in Frage stellende Stimme der Aufklärung. Stattdessen errichtete sie eine Pufferzone zwischen dem Status Quo und grundsätzlichen Fragen nach Moral und Wahrheit, ein Niemandsland der Gleichgültigkeit.

Aber da liegt das Problem: Macht sich derjenige, der gegen den billigen Abwehrmechanismus der Ironie zu Felde zieht, nicht zum berechtigten Ziel ironischer Attacken? Ist die Ernsthaftigkeit nicht auch nur eine Pose? Ein Paradoxon, mit dem auch David Foster Wallaces Zeitgenosse Kurt Cobain haderte (der fast auf den Tag genau fünf Jahre ältere Schriftsteller war ein Fan). Wahrscheinlich war Cobain der letzte Rockstar. Mit Sicherheit war er der letzte nicht-ironische Rockstar. Vielleicht auch der Einzige.

Er wollte das Spiel nicht mitspielen

Am 20. Februar wäre der Nirvana-Sänger, hätte er nicht mit 27 seinem Leben ein Ende gesetzt, 50 Jahre alt geworden. „Ich wäre lieber tot als cool“, lautet ein weit verbreitetes Zitat Cobains, eine klare Absage an das Wertesystem der Industrie, in der er sich verdingte. Immer wieder gab er seinen Fans unmissverständlich zu verstehen, dass er dieses Spiel nicht mitspielen wollte, ob er nun im Kleid auftrat, über die hohle Unkultur von „EmptyV“, wie er es nannte, lästerte, oder rundheraus behauptete, „Nevermind“, das zweite, sagenhaft erfolgreiche Album seiner Band Nirvana, kein zweites Mal gehört zu haben.

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Und doch hatte er es aufgenommen, hatte sehr viel länger und sorgfältiger an den Songs von „Nevermind“ gefeilt, als deren punkiger Überdruck vermuten lässt, hatte selbst den Klangzauberer Andy Wallace mit der finalen Hochglanz-Abmischung des Albums betraut, über die er kurz darauf lästerte, sie klinge zu sehr nach Mötley Crüe und zu wenig nach Punkrock. Freilich, „In Utero“, der schroffe, zerstörerische Nachfolger des Bestsellers, belegt die Ernsthaftigkeit dieser Selbstkritik. Aber als bei der Tour zur Platte die Hallen halbleer blieben, erklärte sich der Kompromisslose bereit, ein Unplugged-Konzert für „EmptyV“ zu spielen.

Liest man Cobains handgeschriebene Liste mit seinen 50 Lieblingsalben, finden sich dort unter vielen Punk-, Hardcore-, und frühen Indie-Platten auch „Meet the Beatles“ und The Knack. Und die Liebe des Grungerockers zu schönen Popmelodien ist unüberhörbar, schon auf dem räudigen Debüt „Bleach“. Und anders als so viele Bands des amerikanischen Nordwestens zu jener Zeit haben Nirvana eben keine Alben als Dokumente eines kreativen Chaos oder absichtlich fragmentarische Songs veröffentlicht, ihr Handwerk hat goldenen Boden.

Kurt Cobain hat gelitten

Zweifellos hat der Frontmann unter seinem plötzlichen Ruhm gelitten, das war keine Koketterie. Aber bis der sich unerwartet einstellte – denkwürdigerweise stieß „Nevermind“ Michael Jacksons Comeback-Album „Dangerous“ vom Thron der Billboard-Charts – hatte Cobain ihn aktiv verfolgt. Er besaß den Ehrgeiz eines Paul McCartney, auch wenn er das niemals zugegeben hätte. Doch der richtete sich nicht auf Verkaufszahlen oder Preisverleihungen, sondern auf die Sache selbst: Inmitten von Gesten ironischer Distanzierung glaubte Kurt Cobain an die emanzipatorische Kraft der Rockmusik.

War er also nur ein wandelnder Anachronismus im karierten Flanellhemd? Schließlich haben Nirvana ja auch nicht gerade die Musik neu erfunden, sondern die Pionierleistungen von Black Sabbath, den Stooges und den Pixies auf erstaunliche Weise miteinander verbunden und in den Mainstream überführt. Doch den Rockstar Kurt Cobain unterschied von seinen Vorgängern, was auch den Schriftsteller David Foster Wallace von den Autoren der Postmoderne trennte: Er füllte eine etablierte, aber hohle Form mit hohen ethischen Forderungen – und wandte diese unerbittlich gegen die eigene Person.

Innere Widersprüche

Wenn verzerrte Gitarren von Freiheit künden, dann muss diese Freiheit für alle gelten, dann geht es letztlich um eine gerechtere Welt. Und in dieser Welt muss sich auch der Rockstar gerechter verhalten, kann nicht länger, wie einst bei Led Zeppelin und Konsorten, privat die Sau rauslassen. Aber wie wird man ein Rockstar, ohne seine Macht zu missbrauchen, junge Mädchen zu schänden und sich über den Rest der gewöhnlichen Welt zu erheben? Geht das überhaupt?

Cobains größte Angst war, als „faker“ zu gelten, als bloßer Poseur. Das zumindest konnte ihm nach seinem Suizid niemand mehr vorwerfen. Aber nein, solche inneren Widersprüche sind allein noch kein Grund, zur Schrotflinte zu greifen. Cobain litt, ebenso wie David Foster Wallace, der sich im Alter von 46 Jahren erhängte, an Depressionen, er starb an einer Krankheit. Aber einen 50-jährigen Kurt Cobain kann man sich eben auch nicht vorstellen, und wenn, dann bestenfalls als jemanden, der sich völlig ins Private zurückgezogen hat. Die inneren Widersprüche seiner Rolle als erster, letzter Rockstar sind nicht aufzulösen.

Zur Person

Kurt Cobain wurde am 20. Februar 1967 im US-Bundesstaat Washington geboren. Mit seinem Freund Krist Novoselic gründete er Nirvana. „Nevermind“, das zweite Album der Band, wurde ein riesiger Erfolg – bis heute verkaufte es sich weltweit rund 30 Millionen Mal. 1992 heiratete Cobain Courtney Love, im selben Jahr wurde ihre Tochter Frances Bean geboren. Cobain litt unter Depressionen. Er erschoss sich am 5. April 1994. (ksta)

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