Sabine Voggenreiter„Gemütlichkeit ist kein Schimpfwort mehr“

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Sabine Voggenreiter leitet mit ihrer 1989 in Köln gegründeten Agentur das Passagen-Festival für Innenarchitektur.

Sabine Voggenreiter leitet mit ihrer 1989 in Köln gegründeten Agentur das Passagen-Festival für Innenarchitektur.

Frau Voggenreiter, kommenden Montag beginnen in Köln die Möbelmesse imm und die Passagen. Da gibt es sicherlich auch wieder Stände, an denen die Möbel eher Skulpturen gleichen. Welchen Zweck hat diese Form der Haute Couture?

SABINE VOGGENREITER: Passagen und Messe sind Inszenierungen, da werden Möbel schon mal sehr einfallsreich arrangiert. Dass sie tatsächlich Skulpturen gleichen, ist aber die Ausnahme. Bei jungen Designern gibt es natürlich eine Tendenz, etwas freier mit den Formen umzugehen.

Einerseits soll jedes Produkt etwas Einzigartiges sein, andererseits muss es in Serienproduktion gehen. Wie leben Designer mit diesem Widerspruch?

VOGGENREITER: Ich sehe da gar keinen Widerspruch. Im Gegenteil: Wenn etwas gut gestaltet ist, dann muss es ein Massenprodukt werden. Ein gutes Designstück verbessert den Alltag, und da möchte man natürlich, dass möglichst viele daran teilhaben. Das ist weiterhin der Anspruch von gutem Design. Und je größer die Auflage eines Möbelstücks ist, desto günstiger kann es verkauft werden.

Jede neue Mode kurbelt den Absatz an. Wie wechselhaft ist die Möbelbranche?

VOGGENREITER: Anspruchsvolles Design braucht einen langen Vorlauf. Es dauert mitunter Jahre, bis ein neues Produkt marktreif ist. Trotzdem werden natürlich immer neue Möbel aufgelegt, weil sich Geschmack und gesellschaftliches Umfeld ständig ändern. Ich persönlich kenne kaum Leute, die sklavisch mit der Mode gehen und sich in einem Stil einrichten. Sondern die kombinieren Altes mit Neuem. Ein aktueller Trend ist vielleicht, dass hochwertige Böden und Wandmaterialien immer wichtiger werden. Wenn ich da die richtigen Dinge wähle, brauche ich kaum noch Möbel.

Aber kauft man Möbel nicht eher, um es sich schön gemütlich zu machen. Ist Gemütlichkeit für Sie eine ästhetische Kategorie oder eher ein Schreckensbild aus den Zeiten des Gelsenkirchener Barocks?

VOGGENREITER: Ich empfinde „Gemütlichkeit“ nicht als Schimpfwort. Gemütlich muss ja nicht heißen, dass alles schön bauschig und plüschig ist. Und natürlich ist Gemütlichkeit eine Qualität des Wohnens. Ich kann mir nicht aussuchen, wie meine Stadt, wie die Straße vor meiner Haustür aussieht. Aber wie ich mich einrichte, kann ich selbst entscheiden.

Gerade was ihre Stadt angeht, würde sich viele Kölner mehr Schönheit in den Straßen wünschen. Haben Sie Anregungen aus der Perspektive des Designs?

VOGGENREITER: Nun, ich bin komplett dagegen, Bauten von Stararchitekten über der Stadt abzuwerfen. Das hat man ja auch in Köln einige Male versucht – zum Glück ohne Erfolg. Auch halte ich nichts davon, ganze Jahrzehnte unter den Abrisshammer zu stellen. Stadtplanung sollte langsam vor sich gehen und das Bestehende – am besten unter Beteiligung der Bürger – behutsam ergänzen.

Anfang des Jahrhunderts war mit dem öffentlichen Design die Hoffnung auf die Demokratisierung des Schönen verbunden. Jeder sollte in den Genuss des Schönen kommen können.

VOGGENREITER: Ich glaube, wir sind heute näher an einem demokratischen Design als jemals zuvor. Es gibt ja die Möglichkeit, sich zu beteiligen. Wenn ich will, kann ich mich im Größeren und Kleineren bei der Verschönerung meiner Stadt engagieren. Das große Leitbild, die Utopie früherer Zeiten gibt es zum Glück nicht mehr.

Zurück zum käuflichen Design. Soll die Gestaltung in unserer Wegwerfgesellschaft vor allem Lust auf Neues wecken oder Dinge schaffen, die überdauern?

VOGGENREITER: Bei Möbeln orientiert man sich eher an bleibenden Werten. Das sind ja keine gewöhnlichen Konsumgüter. Natürlich gibt es auch Wegwerfmöbel, die nach einer Saison kaputt sind. Aber so was kommt mir nicht ins Haus. In der Regel rechnet sich billig auf Dauer auch nicht.

Was halten Sie von Anti-Design-Bewegungen, die sich gegen die Durchgestaltung des Alltags wehren, indem sie Abgelegtes und Hässliches zitieren und vom Dachboden holen?

VOGGENREITER: Da bin ich sehr dafür. Da sieht man, dass sich die Dinge ändern. Und wenn es nur um den Recycling-Gedanken geht.

Ich kann mich an Zeiten in meiner Kindheit erinnern, da durfte man in manchen Häusern nur an hohen Feiertagen ins Wohnzimmer. Gibt es so etwas heute noch?

VOGGENREITER: Ich frage mich eher: Gibt es überhaupt noch Wohnzimmer? Die früher sorgfältig getrennten Wohnbereiche gehen immer mehr ineinander über. Bei mir zum Beispiel ist der weitaus größte Raum die Küche, und es gibt ja sogar Leute, die im Bad wohnen. Es werden zwar immer noch viele Häuser im alten Stil gebaut – gerade, wenn sie von der Stange sind –, aber es geht eindeutig in die andere Richtung. Das klassische Wohnzimmer mit Schrankwand stirbt langsam aus.

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