SalzburgWohl temperierter Peitschenschwung

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Mit der zweiten Opernpremiere der Salzburger Festspiele ist nun auch das große Festspielhaus in Betrieb. Dabei hätte Dmitri Schostakowitschs gewalttätige Oper "Lady Macbeth von Mzensk" mit ihren großen Chorszenen auch sehr gut in die archaische Optik der Felsenreitschule gepasst. Auf die 30 Meter breite Bühne des großen Festspielhauses hat Harald B. Thor eine rohe Betonlandschaft gewuchtet: Eine imposante Häuserfront, die an bröckelnde Reste konstruktivistischer Sowjet-Architektur erinnert, mit dunklen Fenstern und Treppenaufgängen. Vor diesem massiven Hintergrund fahren nach Bedarf von den Seiten das Schlafzimmer der Titelheldin und das zugemüllte Büro ihres verhassten Gatten Sinowi herein. Nicht weniger als 20 Tonnen Stahl wurden in diesem spektakulärem Bühnenbild verbaut, das unzählige Möglichkeiten der Bespielung bietet und eine der Hauptattraktionen des Abends bleibt, der in der Summe zwar beeindruckt, aber letztlich doch seltsam kalt lässt.

Obwohl Regisseur Andreas Kriegenburg auf Hyperrealismus setzt und alle Brutalitäten des Stücks wie Vergewaltigung, Mord und Folter ungeschönt ausstellt und choreografiert. Aber er findet nicht recht eine Haltung, geschweige denn eine heilsame Distanz zu Schostakowitschs drastischer Anklage der tristen Verhältnisse im vorrevolutionären Russland. Vor einigen Jahren holte sein Kollege Dmitri Tcherniakov an der Rheinoper das Geschehen in die Gegenwart der Putin-Zeit und erreichte mit extremer Stilisierung und der Weigerung, die berüchtigten Sex-Szenen auszubuchstabieren, eine ungleich schärfere, aktuellere Deutung als sie Kriegenburg nun gelingt.

Kriegenburg arbeitet handwerklich sauber, aber er findet keine Alternative zu braver Karikatur und expressionistischer Überzeichnung. Und die Schlussszene, wenn Titelheldin Katerina und ihre erotische Konkurrentin Sonetka laut Libretto ertrinken sollen und hier plötzlich zwei plumpe Puppen am Strick baumeln, wirkt dann doch arg ungeschickt. Trotz aufwendigster Inszenierung, trotz peitschenschwingenden Peinigern, rohem Fußvolk, korrupter Polizei und rammelndem Chor bleibt das Geschehen allzu wohl temperiert und weiß wenig von der vulgären Grimasse und der krähenden Parodie der Musik.

Vielleicht liegt die Entschärfung auch daran, dass Nina Stemme in der mörderischen Rolle der Katerina ziemlich brav ausstaffiert wurde und Kriegenburg sie nicht zu jener animalischen Triebhaftigkeit überreden konnte, die diese starke und zugleich gebrochene Figur unbedingt braucht. Man glaubt Stemme das Fieber nicht, den Sog der sexuellen Abhängigkeit und das bedenkenlose Kippen in die Kriminalität.

Möglicherweise ist die Sängerin, die bislang eine Bilderbuchkarriere hinlegte, aber auch zu sehr mit den technischen Hürden ihre Rolle beschäftigt, mit der sie hörbar Probleme hat. Stemmes leuchtkräftiger Sopran klingt in der Mittellage ungewohnt matt, zu breit geführt und spricht in der Höhe nur mit Druck an, leise Töne brechen ihr sogar weg. Ungleich müheloser klingt Brandon Jovanovichs strahlender Spinto-Tenor in der Rolle ihres verkommenen Liebhabers Sergej, großartig auch Dmitry Ulyanov als Schwiegervater Boris Ismailow, der gesamte Rest des riesigen Ensembles ist famos und fürwahr festspielwürdig besetzt.

Womit wir bei der hinreißenden musikalischen Seite des Abends wären, dessen Trumpfkarte Mariss Jansons am Pult der Wiener Philharmoniker ist. Der 74-Jährige ist ein seltener Gast im Orchestergraben, in Salzburg hat man ihm offenbar seine hohen Anforderungen in puncto Probenzeit ermöglicht, und das Ergebnis ist in der Tat bezwingend. Was Kriegenburgs bemühter Arbeit auf der Bühne fehlt, löst Jansons mit den unglaublich klangsinnlichen, zugleich kontrolliert und entfesselt spielenden Philharmonikern ein: Die eisige Kälte der Parodie, die melancholische Süße der Passagen, die an Gustav Mahler erinnern, der höhnische, entmenschlichte Sadismus der Gewaltausbrüche. So wird der Abend dann doch noch zum umjubelten Triumph.

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