Schmerzensgeld„Bild“ soll Jörg Kachelmann weniger zahlen

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Jörg Kachelmann

  • Jörg Kachelmann wurde im März 2010 wegen eines Vergewaltigungsverdachts festgenommen.
  • Durch die Berichterstattung fühlte er sich von einigen Medien verunglimpft.

Köln – Es war die höchste Summe, die einem Prominenten von einem deutschen Gericht jemals als Entschädigung zugesprochen wurde. Das Kölner Landgericht hatte die „Bild“-Zeitung Ende September 2015 zu einer Entschädigung von 635.000 Euro verurteilt. Zahlbar an den ehemaligen ARD-Wetterexperten Jörg Kachelmann für insgesamt 38 schwerwiegende Persönlichkeitsverletzungen, die ihm in der Berichterstattung des Boulevard-Blatts (Print und Online) über sein damaliges Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung zugefügt worden sei. Kachelmann war im Mai 2011 freigesprochen worden. Dass Kachelmann eine Entschädigung zusteht, scheint unzweifelhaft, doch bei der Höhe wird er deutliche Abstriche machen müssen. Am Ende dürfte die Summe zwischen 395.000 und 415.000 Euro liegen.

Das hat das Oberlandesgericht Köln in der Berufungsverhandlung am Donnerstag angedeutet. Es war von beiden Seiten angestrengt worden. Das Gericht bestätigte die Auffassung der ersten Instanz, dass es keine „Bild“-Kampagne gegen den  Wetter-Experten gegeben habe. „Es gab eine Berichterstattungswelle, die vielleicht nicht beispiellos, aber sicherlich besonders bemerkenswert war“, sagte Richterin Margarete Reske. Dies habe Kachelmann später in seinem Buch geschildert: „Tage, an denen ich nicht in der Glotze war, waren gute Tage.“

Hohes Öffentlichkeitsinteresse

Es habe „Überschreitungen von »Bild« bei der Berichterstattung gegeben, deren Höhe hier zu bewerten ist“, so die Vorsitzende Richterin des 15. Zivilsenats weiter. Klar sei aber auch, dass der Prozess gegen Kachelmann ein hohes Öffentlichkeitsinteresse hervorgerufen und immer wieder neue Anlässe zur Berichterstattung gegeben habe. Mehrere Berichte, die von Kachelmanns Verteidiger wegen einer schwerwiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts angegriffen worden waren, seien aber als „harmlos“ einzustufen. Das gelte etwa für einen Beitrag über den Alltag hinter den Gefängnismauern der Justizvollzugsanstalt Mannheim, bei dem „viel Allgemeines“ geschrieben worden sei, etwa darüber, dass es eine Stunde Hofgang täglich, eine Knast-Bibliothek und das Recht auf Fernsehen gebe.

Dass die Abwägung zwischen den gegensätzlichen Grundrechtspositionen von Persönlichkeitsrecht und Pressefreiheit für Redaktionen im Fall Kachelmann besonders schwierig war, hatte bereits das Landgericht in seinem Urteil angedeutet.  Richterin Reske ging am Donnerstag noch einen Schritt weiter. Kachelmann sei nach seinem Freispruch „selbst an die Medien herangetreten und habe seine Sicht der Dinge kundgetan“.  Als Prominenter habe er die Chance genutzt. Sei das schon eine Art von Genugtuung oder doch nicht?

„Eine Frage der Würde“

Aus Sicht des 15. Zivilsenats war erforderlich, jeden einzelnen Beitrag in der „Bild“ daraufhin abzuklopfen, ob es sich dabei um den Tatbestand einer schwere Persönlichkeitsverletzung handelt. Genau das hat das Gericht getan. So sei der Tatbestand eindeutig erfüllt, wenn ein „Bild“-Fotograf aus der oberen Etage eines Hauses mit einem Teleobjektiv Fotos von Kachelmann beim Hofgang schießt, die unter der Schlagzeile „Kachelmann genießt die Sonne im Gefängnishof“ veröffentlicht wurden. Es sei „eine Frage der Würde, ob man ihn in dieser Situation zeigt oder nicht“, sagte die Richterin. „Er konnte sich ihr nicht entziehen, selbst wenn die Mithäftlinge ihn gewarnt hatten, dass Teile des Hofes einsehbar sind.“ Mit 25.000 Euro Entschädigung wurde allein dieser Fall taxiert.

Kachelmanns Anwalt Ralf Höcker, der seine ursprüngliche Schmerzensgeldforderung schon vor der Berufungsverhandlung von 2,25 Millionen auf 950.000 Euro reduziert hatte, will das Urteil abwarten, bevor er über weitere juristische Schritte nachdenkt. Die Höhe  sei von entscheidender Bedeutung. „Ein Betrag, den Springer aus der Portokasse bezahlt, verhindert nicht, dass so etwas noch mal passiert.“

Entscheidung in zwei Monaten

Claas-Hendrik Soehring, Leiter Medienrecht bei Springer sagte: „Es gab keine Kampagne gegen Jörg Kachelmann. Die von ihm geforderte Geldentschädigung war von Anfang an   absurd hoch. Wir freuen uns, dass auch das Oberlandesgericht dies erkennt und das Schmerzensgeld voraussichtlich nach unten korrigieren wird. Wahrheitsgemäße Berichterstattung über Gerichtsverfahren gegen bekannte Persönlichkeiten darf nicht durch Strafzahlungen verhindert werden.“ Das Gericht will am  23. Juni entscheiden.

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