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SinnfrageMüssen Kinder nerven, Frau Saalfrank?

Lesezeit 4 Minuten

Köln – Frau Saalfrank, Ihr neues Buch heißt: „Das Ende der Erziehung“ – sogar den „Stillen Stuhl“ lehnen Sie ab! Was hat Ihren Sinneswandel ausgelöst?

KATIA SAALFRANK Diese Methode beschreibt für mich genau die Mechanismen von Erziehung: Macht, Anpassung und Gehorsam. Eltern übertreten so die persönlichen Grenzen der Kinder. Die Botschaft ist: Ich will, dass du meine Grenze respektierst; deine hat jedoch keine Bedeutung für mich. Das ist destruktiv und belastet die Beziehung. Deshalb habe ich mich schon nach kurzer Zeit, also vor Jahren, davon verabschiedet. Ein Sinneswandel ist es deshalb nicht.

Hinter Erziehung, kritisieren Sie, stecke die alte Vorstellung, dass ein Kind erst zum Mensch zurechtgebogen werden müsse. Aber gewisse Dinge müssen Kinder doch lernen?

Privat Katharina Saalfrank wurde 1971 in Bad Kreuznach geboren. Sie ist verheiratet und hat vier Söhne. Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin. Karriere Saalfrank ist Diplom-Pädagogin und Musiktherapeutin. 2004 trat sie bei RTL erstmals als „Super Nanny“ auf. Das Format wurde immer wieder heftig dafür kritisiert, Familien und Kinder vorzuführen. Ende 2011 wurde die Sendung eingestellt, wohl auch, weil Saalfrank, unzufrieden über deren Ausrichtung, ausstieg. Aktuell Gerade erschien Saalfranks Buch „Du bist o.k., so wie Du bist. Das Ende der Erziehung“ (Kiwi-Verlag, 288 Seiten, 18,99 Euro).

SAALFRANK Natürlich. Es geht nicht darum, dass Kinder nichts lernen sollen – die Frage ist nur, wie.

Wie viel Disziplin muss denn sein?

SAALFRANK Dass Kinder die Spielregeln der Gesellschaft kennenlernen, ist notwendig; die Frage ist nur, in welcher Weise: Dürfen sie selbstbestimmt im Dialog mit Erwachsenen Erfahrungen machen oder werden sie durch Machtanwendung zur Anpassung gezwungen? Für mich geht es eher um Selbstdisziplin – Kinder sind selbst sehr unglücklich, wenn sie nicht gehorchen und nicht erfüllen können, was Eltern von ihnen verlangen. Oft sind aber unsere Erwartungen falsch und unsere Anforderungen zu hoch.

Sie fordern, dass auf die Emanzipation der Frau die des Kindes folgen müsse. Sind Kinder damit nicht überfordert?

SAALFRANK Wir Eltern sollten Kinder begleiten. Aus meiner Sicht sind dazu nur drei Dinge wichtig: Das ist zum einen, dass Eltern Verantwortung für die Qualität der Beziehung übernehmen – oft schieben wir sie den Kindern zu, nach dem Motto: Du bist selbst schuld! Das zweite ist, dass wir uns selbst klar werden müssen, was wir wollen und was nicht. Und das dritte ist, dass ich das dem Kind in einem gleichwertigen Dialog vermittle. Kinder sind es wert, gehört zu werden. Das überfordert nur uns Erwachsene oft. Gleichwertig heißt aber nicht gleichberechtigt, und Dialog meint nicht endloses Diskutieren, sondern nur: erst einmal ernst nehmen.

Sie kritisieren, dass Kinder in Entwicklungsschemata gepresst werden, funktionieren sollen. Müssen Kinder in Wahrheit nerven?

SAALFRANK Ich finde die Frage schräg, denn sie macht das Bild deutlich, das wir von Kindern haben: Kinder nerven vor allem und das wollen wir abstellen. Dabei sind die Signale von Kindern immer wertvoll und geben uns Hinweise auf das, was Kinder denken und fühlen. Ja, Beziehung ist auch mal anstrengend, ob mit großen oder kleinen Menschen. In einer guten Beziehung profitieren jedoch beide davon: Eltern und Kinder. Erziehung ist durch die Machtkämpfe, die entstehen, übrigens nicht weniger anstrengend.

Sie schreiben, Sie hätten sich, wie viele Mütter vorgenommen, selbst alles anders zu machen als Ihre Eltern. Was hat Sie denn gestört?

SAALFRANK Wir hatten viele Machtkämpfe und ich wollte nicht gehauen werden. Oft geht es bei Erziehung ganz schnell gar nicht mehr um die Sache. Eltern sagen dann nicht, dass sie etwas ärgert, sondern denken sich eine Maßnahme aus, die das Kind auch ärgert. Ab da geht es nur noch darum, Punkte zu sammeln. Dabei liebt man sich doch und möchte als Familie eigentlich eine gute Zeit miteinander haben.

Wie ist heute das Verhältnis zu Ihren Eltern?

SAALFRANK Wir setzen uns auseinander, aber ganz positiv. Eine Beziehung ist ja nie fertig.

Das Gespräch führte Silke Offergeld

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