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Theater BonnJetzt regiert der Wettbewerb

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Am Anfang steht die Kränkung. Mit nur 18 Stimmen Mehrheit vertreibt das Parlament Bonn aus dem Glanzlicht der Weltöffentlichkeit. Die Bonner Bürger können es einfach nicht fassen. Doch wie sie sich hier, zum Anfang von Volker Löschs Inszenierung "Bonnopoly", in beiger Hässlichkeit in einer holzvertäfelten Wirtsstube lümmeln, erscheinen sie schon als Figuren aus ferner Vergangenheit.

Zwei Figuren erheben das Wort: der polternde Ruckherzog und der dynamisch federnde Schröderblair: Schluss mit dem Sozialgekuschel, jetzt regieren Wettbewerb und Unternehmergeist. Was Großes muss her, ein Weltkonferenzzentrum. Schnell hat sich auch ein Investor mit klingenden Namen gefunden, Herr Man-Ki Kim von der SMI Hyundai. Wie ein Heilsbringer wird der Mann aus Südkorea begrüßt, vor allem von der ehrgeizigen Oberbürgermeisterin.

Bärbel Diekmann mag für den Bärendienst, den sie ihren Bürgern erwiesen hat, straffrei ausgegangen sein, schließlich war sie klug genug, ihren Namen aus dem Schriftverkehr ums World Conference Center Bonn herauszuhalten. Auch auf der Bühne der Kammerspiele Bad Godesberg wird er nicht erwähnt. Dafür setzt ihr Laura Sundermann ein böse karikierendes Denkmal als größenwahnsinnige Gschaftlhuberin.

Die Blendkraft solchen Ehrgeizes kann kaum zu überschätzen sein. Wie sonst lässt sich erklären, dass hier sämtliche Warnsignale übersehen wurden? Dass der Investor selbst kein Geld hatte und auch keine Verbindung zu dem Autokonzern, dessen Namen er sich teilte? Das "SMI" vor dem "Hyundai" steht übrigens für Tochter, Frau und den Bauunternehmer selbst: Susi, Mimi & I.

Das Stück zum Skandal, möchte man meinen, schreibt sich fast von selbst. Tatsächlich aber sind die Vorgänge von maximaler Undurchsichtigkeit, ja, selbst wenn man sich die vom "Bonner General-Anzeiger" eigens zur Aufführung zusammengestellte Dokumentation durchliest, hat man doch kaum an der Oberfläche dieser Gemengelage aus Gier, Gewissenlosigkeit und schier unglaublicher Naivität gekratzt.

Trotzdem hat Ulf Schmidt dem Aktenwust einen spielbaren, erhellenden und auch sehr komischen Text abgetrotzt. Spätestens jedoch, wenn das Ensemble in goldenen Badeanzügen durch den Schlamm schlittert, der für das noch flüssige Betonfundament des Weltkonferenzzentrums steht, drängt sich der Vergleich zu Elfriede Jelineks "Ein Sturz" auf. Die Nobelpreisträgerin hatte hierin den Einsturz des Kölner Stadtarchivs verarbeitet, und Karin Beier hatte sich in ähnlich direkte Opposition zur Stadtführung begeben wie hier Volker Lösch. Der hält sich allerdings eher an die Klarheit des Kabaretts, statt der Wucht der künstlerischen Erschütterung zu vertrauen. Sprich: "Bonnopoly" erscheint zuerst etwas dünn, wenn auch sehr unterhaltsam: "Es heißt UN-Stadt, nicht Unstadt", klärt Sundermann auf.

Doch nach der Pause ist das Schlammbecken beiseite geräumt, obwohl es ja erst jetzt so richtig ans Ausbaden geht. Laura Sundermanns Oberbürgermeisterin hat sich aus der Verantwortung verabschiedet, jetzt predigt Daniel Breitfelder als ihr Narrenkappen tragender Nachfolger das Hohelied des Neoliberalismus gegen den Chor der Bürger. Breitfelder zitiert und parodiert Jürgen Nimptsch mit ebensolcher Spielwut - das Publikum windet sich vor Vergnügen. Noch beeindruckender sind aber die Bonner Bürger, die nun, als Opfer der Sparwut des OB, die Bühne betreten: Studentinnen, deren Mietshaus einer Shopping Mall Platz machen soll, Seniorinnen, die ihre Miete nicht mehr aufbringen können, seit die Stadt ihre Wohnungen zum Vorzugspreis an eine Aktiengesellschaft verscherbelt hat, Aktivistinnen, die um den Erhalt örtlicher Schwimmbäder und Bibliotheken kämpfen. So weitet Lösch den WCCB-Skandal zur Grundsatzkritik an Stadträten und Bürgermeistern aus, die glauben, ihre Gemeinden wie eine Aktiengesellschaft führen zu müssen, sich in Public-private-Partnerships von der Freien Wirtschaft übervorteilen lassen und auf der Jagd nach der Schwarzen Null und großen Leuchtturmprojekten die Bedürfnisse ihrer Bürger übersehen - zumindest derer, die selbst bedürftig sind und damit nicht ins Bild vom Bürger als Leistungsträger einer Firma passen.

Das Bonner Theater gehört selbst zu den Opfern der kommunalen Sparwut, aber Lösch vermeidet jegliche Larmoyanz und stellt sich ganz in den Dienst der Sache. Es war wohl bitternötig. Das Publikum feierte diesen Paukenschlag zum Saisonauftakt mit Jubelchören. Dazwischen auch ein paar bedröppelte Gesichter. "Bonnopoly. Das WCCB, die Stadt und ihr Ausverkauf", Kammerspiele Bad Godesberg, 14., 23., 24., 29. 9.; 1., 7., 11., 15., 28. 10.; 3 Stunden.

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