Von „Cöln“ nach Ascona – und zurück

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Start zum Ballonwettflug in Köln 1908, dem Jahr der Romanhandlung

Start zum Ballonwettflug in Köln 1908, dem Jahr der Romanhandlung

Köln im Jahr 1908: Das ist – der TimeRide mit der VR-Brille auf dem Alter Markt führt es eindrucksvoll vor – eine pulsierende Metropole im Aufbruch in die Moderne: Eisen- und Straßenbahnen, ein erhöhtes Lebenstempo, Lärm, ein regsames Kunst- und Kulturleben – klar, dass so eine Welt einen frisch angekommenen jungen Mann vom Lande in die Wirrnisse der Überforderung stürzen muss.

So widerfährt es denn auch dem Kunstschmied Heinrich Karthaus – der Hauptfigur in Hajo Steinerts neuem Roman „Blumenspiel“ –, der sich aus Engelskirchen zu Fuß in die Domstadt begibt, um dort Arbeit zu finden. Als „Zimmerherr“ kommt er bei der schon länger in „Cöln“ lebenden Engelskirchnerin Else Römer in deren Wohnung an der Teutoburger Straße 7 unter.

Ein kurzer Blick ins Telefonbuch belehrt den Leser: Dort wohnt heute niemand anderes als der Autor – bei der Beschreibung des Wohnumfelds konnte Steinert sich also weithin an eine vorfindliche Erfahrungsrealität halten – abgesehen von jenen Anpassungsleistungen, die der historische Abstand mit den Zäsuren von Kriegszerstörung, Wiederaufbau und fortschreitender Modernisierung notwendig machte.

Dass der Verfasser, der seinen Roman an diesem Mittwoch im Literaturhaus vorstellt, mit diesem Abstand – und das heißt vor allem: mit dem Verhältnis von Identität und Differenz – hintergründig zu spielen weiß, ist nicht der geringste Reiz der Produktion. Ein Köln-Roman also ist „Blumenspiel“ – welcher Titel sich zunächst auf die historisch authentischen, von dem Juristen und Schriftsteller Johannes Fastenrath initiierten „Kölner Blumenspiele“ bezieht, einen Literaturwettbewerb im alten Gürzenich. Überhaupt hat Steinert das geschichtliche Umfeld, in das er seine fiktive Handlung hineinbaut, penibel recherchiert. Auch wer sich mit dem Köln der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gut auskennt, wird ihm so leicht keine Fehler nachweisen können. Selbst den „Lärmschutzverband“, an dessen Sitzungen Karthaus teilnimmt, hat es gegeben.

Nun sorgt historisches Flair allein noch nicht für einen (guten) Roman – er braucht auch eine Handlung. Das ist in diesem Fall eine Liebesgeschichte: Karthaus verliebt sich unsterblich – nein, nicht in Else Römer, obwohl diese das erkennbar gerne hätte –, sondern in die schöne Näherin Hedwig Maria Groll.

Ihr hat es das Buch auch zu verdanken, dass sein zweiter Teil nicht mehr in Köln spielt, sondern – im schweizerischen Ascona, genauer: auf dem Monte Verità oberhalb der Stadt am Lago Maggiore. Dort hat sich, auch das ist authentisch, eine zivilisationskritische Lebensreform-Kommune etabliert, die auf naive Großstädter wie Hedwig Groll eine magische Anziehungskraft ausübt. Dahin macht sie sich – mit Karthaus im Schlepptau – im Jahre 1909 auf.

Fällt der Roman dadurch auseinander? Nein, denn Steinert hat beide Teile motivisch miteinander verknüpft. Auf dem Monte Verità finden ebenfalls Blumenspiele statt, wenn auch andere als in Köln. Mit köstlichen ironischen Farben schildert Steinert das Hippietum avant la lettre, die faktische Unlebbarkeit eines Lebensentwurfs, der es bei Licht besehen nur einigen windigen Gurus ermöglicht, sich als erotische Platzhirsche zu etablieren. Hedwig kommt dort ihrem Heinrich schnell abhanden, der darob so desillusioniert wie erleichtert den Rückweg nach Köln antritt – wo doch noch ein Happy End mit Else Römer auf ihn wartet.

Tatsächlich hat Steinert es verstanden, in diesem historischen Roman indirekt Probleme zu platzieren und zu diskutieren, die auch noch die unseren sind: das Verhältnis von Bindung und Freiheit, von Anpassung und Widerstand, von Utopie und Realität. Und manchmal wird einem bei der Lektüre regelrecht unwohl. Bald, sagt Heinrichs Vater, „gebe es keine Vögel mehr, keinen Wald, keine Wiesen, mit seinen Motoren, Straßen und Schienen treibe das neue Jahrhundert alles Lebendige fort“.

Nun, das 20. Jahrhundert haben die Vögel offenkundig überstanden; ob sie auch das 21. überstehen, ist, wie wir alle wissen, die große Frage.

Hajo Steinert liest aus „Blumenspiel“ (Penguin, 285 S., 20 Euro) an diesem Mittwoch, 19.30 Uhr, im Kölner Literaturhaus. Markus Schwering moderiert die Veranstaltung.

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