WDRMassive Proteste gegen Reformpläne für Funkhaus Europa

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Der Kölner Musiker Gentleman unterstützt den Protest.

Der Kölner Musiker Gentleman unterstützt den Protest.

Köln – Funkhaus Europa hat es in der öffentlichen Wahrnehmung oft schwer. Sich neben den großen WDR-Wellen zu behaupten, ist für das internationale, mehrsprachige Hörfunkprogramm nicht leicht. Doch wie groß die Zahl der Fans ist, die ein Angebot abseits des Mainstreams schätzen, zeigt sich nun, da eine Reform des Senders für Aufregung sorgt.

„WDR kills the Radio DJ – Stoppt die Funkhaus Europa Reform!“ heißt eine Online-Petition, die bis Montagabend mehr als 6000 Menschen unterzeichnet hatten. Da war sie gerade einmal drei Tage online. Die Verfasser werfen Intendant Tom Buhrow, Hörfunkdirektorin Valerie Weber und Wellenchef Thomas Reinke vor, Funkhaus Europa zur Mainstream-Welle umbauen zu wollen. Konkret sollen 17 Musikformate ersatzlos gestrichen werden, wie die Verfasser schreiben. Darunter Formate von DJs wie Gilles Peterson und langjährige Autorensendungen wie „Indigo“ mit Anna-Bianca Krause, die „Jazzanova Radio Show“ und „5 Planeten“ mit Francis Gay.

Funkhaus Europa

Vorläufer von Funkhaus Europa waren die sogenannten „Gastarbeiterprogramme“ der 60er Jahre. In seiner heutigen Form gibt es die Welle seit August 1998. Sie wird von WDR und Radio Bremen betrieben. Seit Januar 2009 ist Funkhaus Europa darüber hinaus in Berlin und Teilen Brandenburgs auf den Frequenzen des zum Jahresende 2008 eingestellten Radio Multikulti (rbb) zu hören.

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Mainstream macht sich immer breiter

Stattdessen solle Musik in „einer geregelten Rotation“ gespielt werden, wie Mitarbeiter berichten. Schon seit Anfang 2015 gebe es zudem die Anordnung von oben, fast die Hälfte der Musikauswahl mit aktuellen Chartsongs zu bestücken. Das habe schon jetzt zu massiven Protesten der Hörer geführt.

Überhaupt mache sich der Mainstream in den Hörfunkwellen der ARD immer breiter. Die Flächen für „Alternative Music“ gingen hingegen zurück. „Dabei ist die Musikauswahl unser Alleinstellungsmerkmal“, erzählt ein Mitarbeiter. Durch die geplanten Änderungen würde das Programm ärmer. „Es wird verstümmelt.“

Lesen Sie auf der nächsten Seite, Reaktionen auf die drohende Mainstream-Welle.

Auch die Verfasser der Petition sprechen von einem „beispiellosen Kahlschlag“, der schockiere, wütend mache und Fragen aufwerfe. „Eine der letzten Oasen für kreatives Radio wird abgewickelt. Ein einzigartiges Musikprogramm wird eingeebnet – eine Bankrotterklärung für die Verantwortlichen im WDR.“

Ähnlich fallen die Kommentare der Unterzeichner aus. „Funkhaus Europa ist der einzige Sender von dem man Neues aus der globalen Musikwelt abseits des Mainstreams erfährt“, heißt es da zum Beispiel. Auch viele prominente Künstler unterstützen den Protest. So veröffentlichte der Kölner Musiker Patrice auf seiner Facebook-Seite einen langen Text, verbunden mit der Aufforderung, die Petition zu unterzeichnen. Der WDR wolle das Beste von Funkhaus Europa abschaffen, heißt es darin. „Das ist nicht im Sinne der Menschen, die öffentliches Radio durch die dafür erhobenen Gebühren finanzieren. Es ist nicht im Sinne von echter und ehrlicher Musik, der nach und nach jegliche Plattform genommen wird. Es ist weder im Sinne von guten Nachwuchskünstlern, die keine Mainstream-Mucke machen wollen, noch in dem von einem Deutschland, das Vielfalt will.“ Wer versuche, innovative Musik zu machen, brauche nämlich leidenschaftliche Radio-DJs mit Mut und Neugier, die ihr Medium als Bewegungsmelder für Innovation und Kreativität verstehen.

Reduzierung der Vielfältigkeit droht

Auch Gentleman äußerte sich am Montag via Facebook: „Funkhaus Europa ist einer der letzten Radiosender, fernab vom Mainstream, die noch Musik mit Ecken und Kanten spielen.“ Es drohe eine eine weitere Reduzierung der Vielfältigkeit. Bis nach Südamerika hat es der Protest schon geschafft. Der brasilianische Rapper Emicidia teilte die Petition auf Twitter und Facebook.

Doch nicht nur die Musikexperten bei Funkhaus Europa fürchten um die Zukunft des Senders. Auch die Mitarbeiter der fremdsprachigen Sendungen sind in Aufregung. Bisher sendet Funkhaus Europa ab 18 Uhr hintereinander jeweils einstündige Formate in Sprachen wie Türkisch, Italienisch, Spanisch oder Polnisch. Bald sollen diese um die Hälfte auf 30 Minuten gekürzt werden.

Zudem werden sie nach den Plänen der Leitung künftig vorproduziert und um 18 Uhr zunächst parallel als Stream ins Netz gestellt. Später am Abend sollen sie dann auch im Radio gesendet werden. Anders als in den bisherigen Livesendungen fielen so die Möglichkeiten, auf aktuelle Ereignisse zu reagieren oder mit den Zuhörern etwa in Call-in-Sendungen zu kommunizieren, weg. Auch aktuelle Nachrichten wären dann nicht mehr möglich. „Wir sind alle sehr besorgt“, sagt ein Mitarbeiter. Zudem habe sie bisher niemand darüber informiert, wann die Reformen in Kraft treten sollen. Dies sei besonders für freie Mitarbeiter ein großes Problem.

Die Pläne werden zurzeit in den Gremien des WDR beraten. An diesem Dienstag stellt Hörfunkdirektorin Valerie Weber sie dem Programmausschuss des Rundfunkrats vor. „Während dieses Prozesses äußern wir uns grundsätzlich nicht zu Details“, teilte der WDR am Montag auf Anfrage mit. „Funkhaus Europa ist auf Grundlage des WDR-Gesetzes ein Hörfunkprogramm, das sich vor allem Themen des interkulturellen Zusammenlebens widmet. Darauf beruhen auch unsere Ausbaupläne“, so eine Sprecherin. „Was wir bestätigen können, ist: Wir bauen alle muttersprachlichen Angebote im Digitalen aus und erweitern im Radio um eine tägliche arabischsprachige Sendung.“ Funkhaus Europa werde seine Alleinstellungsmerkmale nicht verlieren: „Ganz im Gegenteil: Wir entwickeln es weiter im Kontext der gesellschaftliche Veränderungen.“

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