Youtuber trifft MinisterpräsidentErreicht die Politik die Jugend noch, Herr Laschet?

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Köln – Das Studio von Dominik Porschen befindet sich bei der Filmproduktionsgesellschaft Broadview TV in der Kölner Südstadt. Dort bespricht der Youtuber regelmäßig Filmneuheiten, die auf seinem Kanal „Filmlounge“ veröffentlicht werden. An diesem Tag geht es nicht ums Thema Kino, sondern um Politik. Der 32-Jährige will mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) darüber diskutieren, ob die Politik die Jugend noch erreicht. Haben Youtuber mehr Einfluss auf die Netzgemeinde als die Profis in der Politik? Das Thema könnte für die Parteien zu einer Schicksalsfrage werden.

Die Begegnung von Dominik Porschen und Armin Laschet wurde vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ initiiert.

Armin Laschet ist seit 2017 Ministerpräsident von NRW. Der 58-Jährige aus Aachen steht an der Spitze der Regierung von CDU und FDP in Düsseldorf. Neben Pressemitteilungen nutzt Laschet regelmäßig auch den Kurznachrichtendienst Twitter, um Standpunkte zu verbreiten. Bevor er Ministerpräsident wurde, hat er dort bisweilen auch den Sonntags-Tatort kommentiert.

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Dominik Porschen wurde 1987 in Köln geboren und hat nach dem Abitur Medienökonomie auf Diplom studiert. Seit 2015 betreibt der 32-Jährige den Youtube-Kanal „Filmlounge“ mit mehr als 120.000 Abonnenten. Außerdem moderiert Porschen internationale Filmpremieren und ist mit einem Solo-Programm auf Tour.Die Begegnung von Dominik Porschen und Armin Laschet wurde vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ initiiert.

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Chefredakteur Carsten Fiedler (rechts) mit Armin Laschet (2.v.r.), Dominik Porschen (2.v.l.) und NRW-Korrespondent Gerhard Voogt.

Hier dokumentieren wir Auszüge aus dem rund 30-minütigen Gespräch:

Dominik Porschen: Wie hat Kommunikation die Gesellschaft in den letzten 30 Jahren verändert?

Armin Laschet: Die Digitalisierung verändert die Gesellschaft gigantisch – aber auch die Lebensformen verändern sich. Werden Partnerschaften stabiler, wenn sie durch Tinder gewonnen werden? Ich bin mir nicht sicher, dass sie schlechter werden als früher.

Aber am Ende trifft man in der Realität sich ja doch auf einen Kaffee….

Ja. Aber früher hat man Menschen vielleicht durch einen Zufall kennengelernt, jetzt macht man es gesteuerter. Millionen Menschen lernen sich so kennen. (…)

Müssen wir nicht so digital sein wie die Schweden?

Wir müssen technologisch mit den Besten mithalten können. Aber wir müssen bei der Digitalisierung auch unser Menschen- und Gesellschaftsbild mit einbringen. Ein Social Scoring wie in China lehnen wir ab. Dort wird das gesamte menschliche Leben beobachtet und dann durch Algorithmen berechnet, wohin Du reisen darfst und ob Dein Kind in die Schule darf. Das ist nicht unser Gesellschaftsmodell. Wir müssen das Europäische, Freiheitliche auch in der digitalen Welt erhalten. Aber das geht nur, wenn wir technologisch mitreden können und bei der künstlichen Intelligenz genauso gut sind.

Aber ging es nicht zu langsam voran?

Es wäre falsch zu sagen wir erfinden jetzt das neue Google. In der Plattformökonomie ist das Silicon Valley vorne. Aber wir haben riesige Chancen in der Verbindung zur Industrie. Was im Silicon Valley stattfindet produziert gar nichts. In der Kombination gibt es viele Geschäftsfelder, zum Beispiel in der Logistik, wo wir weiter sind als die USA.

Der Fall „Rezo“

Der Fall „Rezo“ hat die CDU erschüttert. Der Youtuber hatte die Union wegen der Urheberrechtsreform scharf kritisiert und einen Massenprotest in den sozialen Netzwerken ausgelöst. „Die Internet-Gemeinde hält Youtuber für viel glaubwürdiger als zum Beispiel EU-Politiker, die sich seit Jahren mit einer Materie beschäftigen“, sagt der Kölner Politik-Professor Thomas Jäger. „Diese Entwicklung droht den Parteien zum Verhängnis zu werden. Die alten Kommunikationskanäle sind längst tot.“

Aber wir haben leider immer noch miserable Funknetze, nicht nur im ländlichen Raum. Auch auf Autobahnen brechen Handynetze weg. Das ist für ein Industrieland nicht akzeptabel.

Wurden in der r Debatte über die Urheberrechtsreform Fehler gemacht?

Dass man Leistungsschutzrechte einführt, habe ich für richtig gehalten. (…) Man darf den Kindern und Jugendlichen nicht polemisch einreden, das Internet ist zu Ende und es gibt kein Youtube mehr oder Ähnliches. Die Freiheit im Internet muss bleiben. Aber man muss auch die, die was Kreatives erfinden, schützen.

Die Generation hat sich nicht gehört und missverstanden gefühlt. Deswegen haben die Leute auch gegen ihre Partei getwittert. War das Problem hausgemacht?

Ja gut, das war nicht optimal.(…) Dass der Hasthtag „Nie wieder CDU“ hieß war eine nette Idee. Ich weiß nicht, ob man vorher CDU gewählt hat und jetzt nicht mehr. Und das war ja sehr verkürzend, denn natürlich hat die SPD ja auch mitgestimmt. Das war eine breite parteiübergreifende Mehrheit. Ich bin froh, dass wir die deutsche Umsetzung jetzt ruhiger, langsamer und im Dialog mit allen machen.

Wurde aus den Fehlern gelernt?

Generell können alle im Umgang mit neuen Medien besser werden. Man erreicht die jungen Leute nicht mehr mit Pressemitteilungen. Ich selbst versuche es bei Twitter oder Instagram. Aber das ist noch nicht optimal. Man muss es vor allem selbst machen.

Neue Herausforderungen

In sozialen Netzwerken kann auch vermeintlich Abseitiges oder unspektakuläre Ereignisse auf ein großes Echo stoßen und sich wie ein Lauffeuer verbreiten. „Im positiven wie im negativen Sinn“, sagt der Sascha Michel, Medienlinguist an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Andererseits könnten Themen, die man für wichtig hält, kaum Reaktionen auslösen: „Diese geringe Planbarkeit und Vorhersagbarkeit stellt die etablierten Parteien vor neue Herausforderungen.“ 

Das von jemandem machen zu lassen, ist nicht authentisch. Alles ,was ich schreibe mache ich selbst und gehe auch in die Diskussion, wenn jemand kritische anfragt. Man muss sich die Freiräume schaffen, um das tun zu können. (…)

Oder macht man die Fehler im Umgang mit den Klimademos immer noch?

Es geht um viele Interessen. Wir wollen die Klimaschutzziele von Paris erreichen. Das wird eine riesige Kraftanstrengung. Wir steigen jetzt aus der Kohle aus, das ist ein Umbruch in der Energiepolitik, wie wir ihn seit hundert Jahren nicht gehabt haben. Und gleichzeitig steigen wir aus der Kernkraft aus. Trotzdem brauchen wir Energie. Auch für das Internet, für mobile Kommunikation und für Elektromobilität - diese Zusammenhänge muss man den jungen Leuten erklären.

Das Thema Klimaschutz ist ja schon Ende der 70er Jahre aufgetaucht. Aber passiert ist lange nichts. Und trotz der aktuellen Debatte soll ein jetzt in NRW ein neues Kohlekraftwerk eröffnet werden, während die Windkrafträder still stehen. Wie will man das den Leuten ernsthaft erklären?

Es stimmt. Das Thema liegt seit 30 Jahren auf dem Tisch. Aber da muss ich auch der Umweltbewegung mal sagen: Die ganzen 80er und 90 Jahre waren vom Kampf gegen die Atomkraft geprägt, nicht gegen die Kohlenstoffdioxid-Reduzierung. (…) Mit dem Ergebnis, das Deutschland aussteigt, fast als einziges Land in der Welt. Frankreichs Präsident Macron erklärt sich auf jeder Konferenz zum Klimakönig, weil er 70 Prozent Kernkraft hat.

Soziale Netzwerke vernachlässigt

SPD und CDU haben die Kommunikation über die sozialen Netzwerke offenbar zu lange vernachlässigt. „Ihre geringen Akzeptanzwerte bei den jungen Leuten stehen in einem direkten Zusammenhang dazu“, sagt Stefan Stieglitz, Professor für Sozial Media an der Uni Duisburg-Essen. Hassreden und gezielte Falschinformationen hätten eine neue Diskussionskultur entstehen lassen. „Viele junge Leute sind aber von dem oft undifferenzierten Geschrei auch genervt. Politiker, die ihre Argumente vernünftig darlegen haben durchaus eine Chance, bei den Digital Natives durchzudringen.“  

Selbst in Schweden, dem Land aus dem Greta stammt, gibt es Kernkraft. Die Politik, auch die Union, hat das Thema lange nicht prioritär behandelt. Aber auch die Umweltbewegung hat falsche Schwerpunkte gesetzt. Man hätte aus Klimagesichtspunkten erst aus der Kohle aussteigen müssen und dann aus der Atomkraft.

Sind Sie den Freitagsdemonstranten dafür dankbar, dass der Klimaschutz in den Fokus gerückt ist?

Dass jetzt alle darüber reden, ist schon ein Erfolg. Ich bin froh, dass sie sich überhaupt engagieren. Es gab ja eine Zeit, wo man dachte, die Jugend interessiert die Politik nicht mehr.

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Ich selbst habe mich mit 17, 18 für Entwicklungsgerechtigkeit zwischen Nord und Süd engagiert. So bin ich zur Politik gekommen. Ich hoffe, dass manche von denjenigen, die jetzt aktiv sind, selbst irgendwann auch in die Parlamente einziehen.

Beim den erneuerbaren Energien sind viele Jobs verloren gegangen, während die Kohle subventioniert wurde. ..

Das stimmt nicht. Die erneuerbaren Energien werden seit rund 20 Jahren durch die EEG-Umlage mit Milliardenbeträgen subventioniert. Dass die Solarbranche in Deutschland zusammengebrochen ist, lag daran, dass die Anlagen in China billiger produziert werden konnten.

Wie kann man die unterschiedlichen Positionen miteinander versöhnen?

Wir haben im Westen besonders die jungen Leute, die mehr Klimaschutz einfordern, und im Osten eine Partei, die bestreitet, dass es einen Klimawandel gibt. Dies zusammen zu führen, ist eine extrem schwierige Aufgabe.

Ist das Fliegen immer noch zu billig?

Das Hauptargument für die Menschen ist nicht der Preis, sondern die Geschwindigkeit. Zwischen Köln und Frankfurt fliegt heute keiner mehr, weil mal in 57 Minuten mit dem Zug da ist.

Digitalisierung verstärkt Effekt

Das Phänomen, dass es einen Riss zwischen den Generationen gibt, die jeweils andere Kommunikationsmittel bevorzugen, ist nicht neu. „Die Digitalisierung scheint diesen Effekt aber zu verstärken“, sagt der Kölner Sprachwissenschafts-Professor Aria Adli. Allerdings leben wir in einer Gesellschaft, die immer älter wird. „Deswegen wird es Leute, die durch das Fernstehen informieren, noch lange geben. CDU und SPD sollten aber viel stärker auch über die sozialen Medien kommunizieren, um die jüngere Generation zu erreichen. Sonst regelt der Meinungsmarkt sich selbst“, so Adli.

Wir wollen jetzt die Strecke zwischen Dortmund und Berlin ausbauen. Aber da rechne ich schon mit Protesten gegen die Bahntrasse.

Ist es klug von der Union, sich in Thüringen eher von den Linken abzugrenzen als von der AfD?

Da haben wir eine glasklare Abgrenzung. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak schon gesagt, dass der Vorschlag zur Aufnahme von Gesprächen „irre“ sei. Es würde die DNA der Union verändern wenn man mit der AfD sprechen würde.

Wie hat sich die Kommunikation in der Politik verändert?

Die Radikalität kommt eher von außen, die Gesellschaft ist aggressiver. Das Internet hat auch den Hetzern ein Forum gegeben, das die Gesellschaft vergiften kann (…) Wir müssen auch in Zeiten der neuen Medien zu einer vernünftigen Streitkultur zurückkehren. Da ist die Stimmung in Köln vorbildlich, wo man sich in der Unterschiedlichkeit respektiert und nicht abfällig über andere Hautfarben, Lebensformen und Religionen redet.

Mehr Köln für Deutschland?

Ja, was die Stimmung angeht. Das Chaos brauchen wir nicht.

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