lit.Cologne 2012„Prost! Auf einen schönen Abend“

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Zu Wasser und zu Lande: Eine unterhaltsame, anregende und spannende lit.Colotne 2012 nähert sich dem Ende. (Bild: Worring)

Zu Wasser und zu Lande: Eine unterhaltsame, anregende und spannende lit.Colotne 2012 nähert sich dem Ende. (Bild: Worring)

Jetzt trinken wir erst mal einen!“ sagt Moderatorin Gisela Steinhauer und holt eine Flasche Grauburgunder aus ihrer leuchtend roten Handtasche. Gerade hat Daniel Glattauer, der Frauenversteher unter den deutschsprachigen Autoren,auf dem Podium Platz genommen, da sieht er sich schon fürsorglich betreut. Steinhauer nämlich hatte erfahren, dass der Autor vor seinen Abendterminen zur Beruhigung erst einmal eine Schluck trinken müsse – und danach zur Entspannung noch einen. „Prost! Auf einen schönen Abend!“

Den Autoren macht es das Kölner Literaturfestival schon so angenehm wie möglich. Da ist mehr drin als eine Flasche Wein auf Kosten des Hauses. Die Gäste übernachten im Hotel im Wasserturm, das zu den „Small Leading Hotels of the World“ gehört. Zudem steht ein Limousinen-Service zur Verfügung: Freie Fahrt für freie Künstler. Und schließlich finden die Mitstreiter nach ihren Veranstaltungen Zuflucht im Schokoladenmuseum, wo Kost und Gesellschaft gewährleistet sind. Das ist ein klarer Vorteil zu jenen Tournee-Abenden, an denen sie nach vollbrachter Lesung in verwaisten Fußgängerzonen nach Einkehrmöglichkeiten fahnden.

Mit Blick auf den Rhein bei Nacht lässt es sich offenbar besonders entspannt plaudern. Sebastian Fitzek, Psychothriller-Autor mit dem Hang zum hohen Blutverlust, schiebt noch zu später Stunde einen Kinderwagen durchs Gedränge des Festival-Cafés. Die ehemaligen „Schauspiel Köln“-Kollegen Gerd Köster und Martin Reinke begrüßen sich wie alte Kameraden, während Cordula Stratmann und Claudia Michelsen die Arme ausbreiten, einen Moment in dieser Position verharren und dann einander in dieselben fallen.

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Veranstalter Werner Köhler hat seit dem Frühstück nichts mehr gegessen und muss jetzt – es ist 22.40 Uhr – sofort etwas zu sich nehmen, um ein Umkippen zu verhindern. Sein Kollege Rainer Osnowski ist froh, dass kein Journalist in der Nähe ist, und erzählt vom Innenleben des FC. Edmund Labonté, der Dritte im Bunde der lit.Cologne-Macher, tippt dem Übersetzer Bernhard Robben auf die linke Schulter und taucht rechts von ihm auf. Robben bekennt, dass ihm auf seiner Veranstaltung doch tatsächlich „für einen Moment“ die Stimme weggeblieben sei. Solche Themen.

Frank Schätzing ist auch kurz nach 23 Uhr noch nicht über den Eingangsbereich des Cafés hinausgekommen. Er gibt jedem bereitwillig Auskunft, wie denn seine Krimi-Show in der Lanxess-Arena verlaufen sei. Zu dem Zeitpunkt schwingt sich Leonie von Kleist schon auf ihr Fahrrad. Während die Assistentin von Elke Heidenreich losprescht, ruft sie noch in die Nacht: „Ja, die Elke tritt auf wie geplant!“ Aber warum ist diese Bestätigung des Prokofjew-Programms der Rede wert? Wir sagen nur: die Affäre Lagerfeld! Der Auftritt des Modemachers und Bücherfreundes war die Top-Attraktion des Festivals – nimmt man allein die Nachfrage zum Maßstab. „Innerhalb von eineinhalb Stunden waren alle Karten weg“, sagt Köhler. „Das ging so schnell, wie es eben technisch braucht, um die Karte an einen Kunden zu geben. Mit Lagerfeld hätten wir auch die Lanxess-Arena füllen können.“

Doch dann das: Wenige Stunden vor Beginn der Veranstaltung erklärte Lagerfeld, er wolle nicht mit Moderatorin Elke Heidenreich in der Kölner Oper auftreten. Beleidigt war der Stil-Meister, weil Heidenreich in einem Magazin-Artikel auf sein Alter angespielt hatte. Durchaus freundlich und werbend. Im nachfolgenden Tohuwabohu verlor auch manches Medium den Überblick – der Berichterstatter der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ meinte noch zwei Tage später melden zu können, Lagerfeld sei nicht aufgetreten. Ist er aber.

Roger Willemsen sprang nämlich kurzfristig ein für Heidenreich, um den Abend zu retten. Dem Publikum zuliebe. Die Zusage gab er, so ist zu hören, auch im Wohlgefühl eines gerade genossenen Mittagsmahls. Auf der Bühne war Willemsen dann topfit. „Lagerfeld antwortet ja meistens sehr kurz“, sagt Köhler, der den Abend betreute. „Auch deshalb: Riesenrespekt vor der Leistung von Roger, der ohne Vorbereitung immer noch eine gute Frage parat hatte.“ Willemsen ist seit langem eine Art Ehrenspielführer des Festivals. Schon vor Jahren ist ihm ein Trikot mit dem Aufdruck „Litwilli“ überreicht worden. In den nächsten Tagen hatte er noch weitere Auftritte zu absolvieren. Einen davon mit Senta Berger. Die gehört zur Schar der schönen Stimmen, die der Literatur-Vermittlung dienen. Wie auch Maria Schrader, Matthias Brandt oder „Tatort“-Staatsanwältin Mechthild Großmann – die muss nur ein kellertiefes „Guten Abend“ sagen, um einen Beifallssturm in der Kulturkirche zu entfachen.

Senta Berger warb diesmal für die Russin Nina Berberova. Nie gehört? Das geht den meisten so. Willemsen hatte den Abend gestrickt, wie er für das Festival typisch ist. Schon einmal in der jüngeren Vergangenheit, als es um Richard Yates ging, hatte Willemsen deutlich gemacht, dass nicht nur die Perlen der Gegenwart entdeckt werden müssen. Jetzt also Berberova – eine Autorin, von der kein Buch auf Deutsch lieferbar ist. Mutiger kann ein Festival eigentlich nicht sein.

Aber geht da überhaupt einer hin? Doch, doch. Ausverkauft ist das Schauspielhaus seit langem. Das ist eine Frage des Vertrauens und eine des Festival-Fiebers: Dabeisein ist alles – auch wenn es um Literatur geht, die kaum einer kennt. Das Publikum nimmt es sogar hin, dass Willemsen ihm unterstellt, es tendiere zur Trägheit einesOblomow, einer Romanfigur von Iwan Alexandrowitsch Gontscharow. Senta Berger guckt ihren Nachbarn auf der Bühne erstaunt an, und aus dem Parkett raunt es Hohoho. „Ich wollte doch nur mal sehen“, rettet sich der Schnellsprecher, „ob Sie noch wach sind!“ Gleich sind wieder alle Freunde.

Es gibt nicht wenige, die ihr Publikum umgarnen. Stéphane Hessel, der Résistance-Kämpfer und KZ-Überlebende, ist darin ein Virtuose. Der 94-jährige charmiert, dass es eine Freude ist, und ruft ein ums andere Mal: „Empört euch!“ Und Tomas Tranströmer, der aktuelle Literatur-Nobelpreisträger, lässt sich sogar im Rollstuhl nach Köln transportieren, um hier zu Gast zu sein. Und nur hier. Auch der Booker-Preisträger Julian Barnes wollte seinen ausgezeichneten Roman „Vom Ende einer Geschichte“ nur in Köln vorstellen.

Ein Netzhautriss, am Tag vor der Zugfahrt von London nach Köln, kam dazwischen.

Eine Sonderrolle gönnte sich Christian Kracht. Eine Mimose, die im Reich der Natur auch unter dem Namen „Schamhafte Sinnpflanze“ firmiert. Ein einsamer Literaturkritiker, dem der„Spiegel“ ein Forum für einen Generalangriff geboten hatte, ist dem Autor der Anlass, sich ins Schneckenhaus zurückzuziehen. Aber nicht ganz. Die Fühler lässt er draußen.

Dass Kracht nicht der Rassist und Rechtsaußen ist, für den man ihn nach Lektüre des Artikels hätte halten können, ist mittlerweile oftbestätigt worden. Doch das besänftigt Kracht nicht. Er spielt nicht mehr mit. Nicht in Köln. Fotos lehnt er ab, was ja noch zu verkraften wäre. Aber auch Fragen zum Werk lässt er nicht zu. Dabei ist das doch das Mindeste bei der lit.Cologne. Denn nur einen Text vorzulesen – das hätte allenfalls noch in Deutsch-Neuguinea für Aufsehen gesorgt, jener längst überwundenen Kolonie, in der Kracht sein „Imperium“ errichtet.

„Am Abend vor einem Publikum zu bestehen ist Stress“, bekennt Daniel Glattauer, als die MS Rheinenergie auf ihrer Kreuzfahrt endlich Kurs auf Rodenkirchen nimmt. Schriftsteller müssten heutzutage halbe Entertainer sein, meint er, müssten andauernd Antwort geben. „Das Reden über Bücher nimmt immer mehr Zeit in Anspruch. Der kreative Part ist kürzer als der repräsentative.“ Aber was soll man machen? „Möchten Sie noch ein Glas Wein?“, fragt die Moderatorin. „Ja“, sagt Glattauer.

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