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MauerbauWo Ost und West sich berührten

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Ein Katzensprung: Die engste Stelle der DDR befand sich in Klein-Glienicke. (Bild: Stiftung Berliner Mauer)

Ein Katzensprung: Die engste Stelle der DDR befand sich in Klein-Glienicke. (Bild: Stiftung Berliner Mauer)

Klein-Glienicke, eine beschauliche Ansammlung von Häuschen an der berüchtigten Glienicker Brücke, war früher nur wenigen bekannt. Abgesehen von ein paar Schweizerhäusern, die im späten 18. Jahrhundert errichtet worden waren, und einem florierenden Gartenlokal, welches um die Jahrhundertwende zu den größten Europas gezählt hatte, gab es im 500-Seelendorf nicht viel zu sehen. Auch vom zweiten Weltkrieg blieb Klein-Glienicke bis zuletzt beinahe vollständig verschont.

Dann kam die Mauer. Bedingt durch alte Verwaltungsgrenzen zählte Klein-Glienicke zu der DDR, mit dessen Staatsgebiet das Dorf nur über eine kleine Brücke verbunden war. Auf allen anderen Seiten lag die neu-gegründete Bundesrepublik Deutschland.

Auf einmal war Klein-Glienecke bedeutsam geworden – insbesondere für die ostdeutsche Staatssicherheit. Umgehend erkannte die Regierung, dass Republikflucht aus Klein-Glienicke ein Leichtes sein würde. Zuerst wurden Stacheldrahtzäune gebaut, dann eine Mauer, zuletzt in den 80er Jahren noch ein Todesstreifen. Die alltägliche Absurdität der Mauer war dabei kaum zu übertreffen.

So berichten zum Beispiel Zeitzeugen in der Ausstellung Hinter der Mauer in der Orangerie des Glienicker Schlosses, wie sie ein deutsch-deutsches Begräbnis erlebten: Eine Klein-Glienicker Familie, die in den Westen geflohen war, hatte nur die Großmutter zurückgelassen. Als diese 1962 verstarb, mussten die Angehörigen im Westen durch den Stacheldraht hindurch und unter Polizeischutz zusehen, wie sich Familie und Freunde im Osten zur Beerdigung versammelten.

Auch als die Mauer erbaut worden war, kam es zu Zusammentreffen zwischen Ost und West. Als Jugendliche aus Klein-Glienicke eines Abends an der Mauer vorbei nach Hause gingen, saßen Westdeutsche Jugendliche auf dem Bauwerk. Sie kamen ins Gespräch, die Klein-Glienicker holten noch ein paar Bierflaschen und warfen sie ihren westdeutschen Nachbarn zu. Die luden sie schließlich ein, doch auf die andere Seite zu kommen. Die Antwort? „Nein, danke, die Luft ist uns zu bleigetränkt.“

Der verzweifelte Sprung vom Balkon

Trotz der Gefahr wagten viele den Versuch, über die Grenze nach Westberlin zu entkommen. Nur ein Jahr nach dem Mauerbau warf eine Frau vom Balkon ihrer Klein-Glienicker Freundin aus ihr Kind über den Stacheldraht und sprang selbst hinterher – in ein Sprungtuch der westdeutschen Feuerwehr, die bereit stand. Familien kletterten auf Leitern über die Mauer und gruben Tunnel – in Klein-Glienicke fand die letzte erfolgreiche Tunneflucht der DDR statt.

Mehr als zwanzig Jahre nach der Wende ist von alldem nichts mehr zu sehen. Abgesehen von zwei einsamen Straßenlaternen, die nicht einmal mehr ans Netz angeschlossen sind, ist von der Grenze nichts geblieben. Sogar die meisten Schweizer Häuser und das Gartenlokal sind verschwunden. Wenn sich Besucher in das Dorf verirren, dann kommen sie nicht mit Fluchtabsichten, sondern vom Wannseebad oder aus dem Schlosspark. In Klein-Glienicke ist wieder Ruhe eingekehrt.

Die Ausstellung „Hinter der Mauer - Glienicke, Ort der deutschen Teilung“ läuft noch bis zum 3. Oktober 2011 in der Orangerie des Schlosses Glienicke, Königsstraße 36, 14109 Berlin. Öffnungszeiten sind von Dienstag bis Sonntag 10 Uhr bis 18 Uhr, montags bleibt die Ausstellung geschlossen. Der Eintritt kostet 8 Euro pro Person, ermäßigt 5 Euro. Weitere Informationen: www.hinter-der-mauer.de.

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