MotivationAufstehen und weitermachen

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„Konzentriert euch auf das, was da ist, nicht auf das, was fehlt.“ Boris Grundl vor Schülern des Kölner Schiller-Gymnasiums. Der Motivationstrainer ist querschnittsgelähmt und hat es bis an die Spitze der deutschen Management-Berater geschafft. (Bilder: Stefan Worring)

„Konzentriert euch auf das, was da ist, nicht auf das, was fehlt.“ Boris Grundl vor Schülern des Kölner Schiller-Gymnasiums. Der Motivationstrainer ist querschnittsgelähmt und hat es bis an die Spitze der deutschen Management-Berater geschafft. (Bilder: Stefan Worring)

Es ist ein täglicher Kraftakt. Schon die Fahrt vom Hotel hierher war einer. Nicht bloß mal eben reinklettern und später wieder raus aus dem Taxi. Boris Grundl (45) wuchtet die Teile seines Rollstuhls auf den Bürgersteig. Ein paar Handgriffe, dann kann es losgehen. Nun noch den ganzen Mann auf die Sitzfläche bugsieren. Es dauert, es ist mühsam: Boris Grundl ist querschnittsgelähmt, aber er will sich nicht helfen lassen. Er schafft das. „Aufstehen und weitermachen“, sagt Grundl und beißt die Zähne zusammen.

Der Zugang zum Bühnenaufgang im Vortragssaal ist nicht gerade das, was man barrierefrei nennen würde. Grundl kommentiert das nicht. An diesem Vormittag wird er vor knapp 500 Kölner Gymnasiasten über innere Stärke und Selbstbewusstsein sprechen. 500 Jugendliche irgendwo in der Selbstfindungsphase zwischen Lernen und Beruf. Die Losung lautet: „Steh auf! Und werde der Beste, der du sein kannst.“ Es sind die Thesen eines unverbesserlichen Optimisten, von einem, der es geschafft hat, sich selber neu zu definieren. Trotz des eigenen Handicaps, oder sogar gerade deswegen. Für die Arbeit mit Schülern nimmt Grundl kein Honorar. Wenn man die Gabe hat, Menschen auf ihre Möglichkeiten hinzubewegen, findet er, dann hat man auch einen sozialen Auftrag.

Grundl reist von Vortrag zu Vortrag

Menschen bewegen, das ist sein Business. Am selben Abend ist Grundl Gastredner bei einem Top-Kunden-Event des Telekom-Konzerns in Bonn. Stylisches Hotel, stylisches Auditorium mit Zuhörernaus den europäischen Führungsetagen, Macher allesamt. Box-Champion Wladimir Klitschko wird per Videobeamer zugeschaltet. Noch so einer, der sich durchgeboxt hat an die Spitze.

Es ist eine anstrengende Woche für einen, der sich kaum bewegen kann. Noch im selben Monat ist er bei Siemens in Luzern, bei Eon in Hannover und der Deutschen Bank in Essen. Mehr als hundert solcher Auftritte vor großem Publikum absolviert Grundl im Kalenderjahr. Das schlaucht, sagt er, und sehnt sich nach Hause in den Schwarzwald, wo die Idee von der Führungskräfte-Akademie ihren Anfang nahm. „Steh auf!“, mag er an solchen Tagen zu sich selber sagen. Und lass dich nicht hängen.

Beim Sprung in die Lagune den hals gebrochen

Tausendmal schon hat er jenen Tag verflucht, an dem es passiert ist. Da ist Boris Grundl Mitte zwanzig, hoffnungsvoller Tennisprofi , unterwegs am anderen Ende der Welt. Mit einem Freund verbringt er ein paar freie Tage in Mexiko: Eine Lagune mitten im Dschungel. Einheimische Indios machen es vor, die Männer stürzen sich von einer Klippe kopfüber einen Wasserfall hinab ins türkisblaue Wasser. Dieser Ausflug ins Paradies geht nicht gut aus. Der Aufprall ist hart, zu hart: Boris Grundl bricht sich den Hals. 90 Prozent seines Körpers werden ihm nicht mehr gehorchen.

Sport, Karriere, Zukunft – alles scheint zu Ende. Stattdessen acht Monate Klinik, Operationen, Reha, Rollstuhl, Pflegestufe 3, Sozialhilfe – der absolute Tiefpunkt.„Ich hatte Selbstzweifel, Existenzängste, das volle Programm.“ Dann ein Hoffnungsschimmer: Den rechten Daumen kann er zuerst wieder bewegen. Grundl nimmt sein Schicksal trotzig in die Hand – und kämpft. „Eine Krise ist nichts anderes als der Zwang, sich zu verändern“, weiß Grundl heute. Also beginnt er, sich auf die zehn Prozent seines Körpers zu konzentrieren, die er bewegen kann, und trainiert wie ein Besessener. Eine geschlagene halbe Stunde braucht er, um ein simples Paar Socken anzuziehen. Aussichtslos, könnte man meinen, aber Grundl gibt nicht auf. Als erster Student im Rollstuhl macht er ein Diplom an der Kölner Sporthochschule. Kurze Zeit später fängt er im Vertrieb eines Medizintechnikherstellers an. Ausgerechnet ein Vertreter-Job, aber das Leben geht weiter: Drei Jahre nach dem Unfall in Mexiko wird seine Tochter geboren. Grundl macht in jener Zeit beruflich Karriere und steigt bis zum Marketing- und Vertriebsdirektor in einem Großkonzern auf.

Trotz Behinderung wird Grundl Leistungssportler

Auch den Sport entdeckt er wieder. Grundl spielt mit seiner Lähmung Rugby. Nicht nur zum Zeitvertreib, er wird Leistungssportler, Nationalspieler und tritt mit seinem Team bei den Paralympics in Sydney an. Längst hat der Mann im Rollstuhl mehr als bloß eine Ahnung davon, was in ihm steckt – und er weiß auch, wohin sich Menschen generell entwickeln können. Boris Grundl hat sich schließlich selbst neu erfinden müssen. Eine bittere Erkenntnis: „Der Mensch lernt nur, wenn er Scheiße frisst, sonst reift er nicht.“ Grundl zeigt einbreites Grinsen. Der Satz stammt diesmal nicht von ihm selbst, er zitiert den deutschen Songschreiber Xavier Naidoo.

Später macht Grundl sich selbstständig und findet sich unversehens wieder auf demundurchschaubaren Markt vonTrainern, Beratern und Coaches. Aber Grundl hat ein klar definiertes Ziel: „Ich will Leute zu sich selbst führen.“ Bald gilt er als Führungsexperte, schreibt erfolgreich Bücher, ist einer der gefragtesten Managementtrainer im Land und seine Kunden heißen Deutsche Bank, Daimler-Benz, SAP und IBM.

"Diktatur der Gutmenschen"

Die Chefs solcher Firmen verschont Grundl nicht vor unbequemen Wahrheiten. Es gibt eine Sorte Führungsspezies im Lande, fasst Grundl in seinem neuesten Buch zusammen, die verdanke ihre vermeintliche Stärke eigentlich nur dem Umstand, dass sie andere klein und abhängig hält. „Diktatur der Gutmenschen“ nennt Grundl dieses Phänomen. Leute, die es vordergründig gut mit uns meinen, aber eigentlich nicht zulassen wollen, dass wir Verantwortung übernehmen und uns weiterentwickeln. Es sind nicht nur Unternehmer, die unter diese Kategorie falsch verstandener Führungskraft fallen, nein, auch Eltern, Lehrer, Erzieher und – natürlich auch Politiker sind dabei. „Nicht jeder hat den Obama-Faktor“, sagt Grundl, der sich selbst als Alphatier bezeichnet. Aber wer alle Macht und Entscheidung bei sich konzentriere, ohne die anderen mitzunehmen, der kultiviere das Mittelmaß.

Typisch deutsch sei das, analysiert der Mann mit dem sicheren Gespür für zutiefst Menschliches: Das ewige Zweifeln, das Perfekt- sein-Wollen, das Schlaumeiern und Herumjammern, das ihm so auf die Nerven geht. „Manchmal fehlt uns wohl einfach der Glaube an uns selbst. Daran, dass wir wirklich stark sind“, mutmaßt Grundl. Und die Freude am Erfolg.

Später wird er seinen Körper auf ein Handbike hieven und zur Trainingstour aufbrechen: Fitness stärken, Sauerstoff tanken, bloß nicht nachlassen. Es ist ein Kraftakt. Aber ein guter Tag.

Zur Person

Der Menschentwickler

Boris Grundl, Jahrhang 1965, ist Management-Trainer, Autor und Inhaber der Grundl Leadership-Akademie. Bei seiner Arbeit hat er sich auf „systematische Menschenentwicklung“ spezialisiert. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Mit seiner Familie lebt er in Trossingen am Rande des Schwarzwaldes.

Das Buch Boris Grundl: „Diktatur der Gutmenschen“, Econ Verlag, 263 Seiten, 19,95 Euro.

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