Dicke Luft und keine LösungFahrverbote für Diesel werden immer wahrscheinlicher

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Köln – Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) denkt laut über flächendeckende Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge nach. Freiwillig macht er das nicht. Der Bayrische Verwaltungsgerichtshof hat die Stadt und den Freistaat nach einer Klage der Deutschen Umwelthilfe dazu verdonnert. Wie so viele deutsche Großstädte, in denen wegen hoher Luftbelastung durch das giftige Gas Stickstoffdioxid Fahrverbote für Diesel drohen, wollte auch München auf Zeit spielen. Doch daraus wird nichts. Bis zum 29. Juni muss die bayrische Landeshauptstadt aktuelle Daten zur Luftbelastung vorlegen. Auch in Stuttgart müssen Autofahrer mit Einschränkungen rechnen. Dort entscheidet das Verwaltungsgericht am 19. Juli über eine Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen das Land Baden-Württemberg. Die Umwelthilfe will ein komplettes Dieselfahrverbot erreichen, das ab 1. Januar 2018 gelten soll. Was bedeutet das für die Städte in NRW? Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen – alle wollen Fahrverbote möglichst vermeiden.

16 Großstädte sind betroffen. In NRW sind das Köln, Düsseldorf, Bonn, Aachen, Essen und Gelsenkirchen. Hinzu kommen Limburg, Wiesbaden, Mainz, Frankfurt, Offenbach, Darmstadt, Reutlingen, Stuttgart, München und Berlin.

Die Umwelthilfe will erreichen, dass der Grenzwert für Stickstoffdioxid eingehalten werden. Sie dürfen den Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft nicht überschreiten. Weil das in nahezu allen Großstädten nicht gelingt, hat die EU-Kommission am Beispiel Stuttgart gegen Deutschland geklagt.

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Schutz des Lebens geht vor

Bisher hat die Umwelthilfe alle Verfahren gewonnen: in Düsseldorf, Limburg, Wiesbaden, Offenbach, Darmstadt, Reutlingen und München. Die anderen sind noch offen. Vor allem das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom September 2016 dürfte weitreichende Folgen haben. Erstmals hat ein Gericht den Schutz des Lebens höher bewertet als wirtschaftliche oder finanzielle Interessen. Es kam zu dem Ergebnis, dass Fahrverbote für Diesel so schnell wie möglich auszusprechen sind. Die rechtlichen Möglichkeiten dazu seien bereits jetzt vorhanden. Das Anbringen des Einfahrtverbotszeichen mit dem Zusatz „Gilt für Diesel“ reiche völlig aus. NRW hat das Urteil vom Grundsatz her anerkannt.

Das liegt an einem Streit über die Zuständigkeiten. Das Land NRW vertritt die Auffassung, dass die Städte keine rechtliche Grundlage haben, ein generelles Fahrverbot für Diesel auszusprechen. Dazu bräuchte es eine bundesweite Regelung. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sieht das anders. Er ist der Meinung, die Kommunen könnten schon jetzt Dieselfahrzeuge aussperren. Diese Frage muss jetzt vom Bundesverwaltungsgericht entschieden werden.

Es gibt noch keinen Termin. Alle Beteiligten rechnen aber damit, dass eine Entscheidung im Herbst fallen könnte.

Umwelthilfe sieht blaue Plaketten kritisch

Wenn das Bundesverwaltungsgericht keine bundesweite Regel vorschlägt, will die Umwelthilfe ein Komplett-Fahrverbot durchsetzen. „Darüber gibt es keine rechtlichen Zweifel, ist aber schon urig, weil es auch Elektro- und besonders schadstoffarme Autos träfe“, sagt Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. „Das wäre unverhältnismäßig ist. Aber dann gibt es keinen anderen Weg. Wir wollen die Verkehre erhalten, die sauber sind.“

Eine Möglichkeit ist die Erweiterung der bestehenden Umweltzone durch die Einführung einer blauen Plakette für besonders schadstoffarme Diesel, die beispielsweise die Euro 6-Norm erfüllen. Die Umwelthilfe sieht auch das kritisch. Die meisten Fahrzeuge mit der Euro 6-Norm hielten die Grenzwerte auch nicht ein.

Die Klage ist bis zu Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ausgesetzt. Der Luftreinhalteplan in der ersten Fortschreibung trat am 1. April 2012 in Kraft. Die Stadt geht davon aus, dass die Grenzwerte für Stickstoffdioxid erst nach 2020 eingehalten werden können. Hotspots sind der Überschreitungen sind der Clevische Ring in Mülheim und die Turiner Straße. Die Stadt will Fahrverbote vermeiden, setzt wie am Clevischen Ring auf umweltfreundliche Ampelschaltungen, um die Grenzwerte nicht mehr zu reißen. Sehr wahrscheinlich ist das aber nicht.

Urteil könnte Großstädte zwingen

Die Modernisierung der Busflotte durch Umstellung auf Elektrobusse. Das ist bei den Kölner Verkehrs-Betrieben auf der Linie 133 schon der Fall. Die Einführung einer blauen Plakette sei sinnvoll, um besonders emissionsarme Diesel von einem Fahrverbot zu verschonen. Die Anforderungen an private Kleinfeuerungsanlagen sollten erhöht werden. Die Taxiflotte könne auf alternative Antrieb (Gas, Benzin, Hybrid, Elektro) umgestellt, der Fuß- und Radverkehr durch das Ausweisen von verkehrsberuhigten Bereichen gefördert werden.

Auch wenn die Stadt das immer wieder verneint, ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts könnte sie wie alle anderen Großstädte dazu zwingen. Das hat auch der in Kürze ausscheidende NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) immer wieder betont.

Die Umwelthilfe empfiehlt, „auf den Kauf eines neuen Diesel zu verzichten, ihn notfalls ein Jahr zu verschieben oder auf andere Antriebsarten umzusteigen“, sagt Jürgen Resch. „Wir sind aber sicher. Wenn die Fahrverbote und die blaue Plakette kommen, werden die Hersteller sofort reagieren und alle Euro 5- und Euro 6-Fahrzeuge, die die Werte nicht einhalten, ganz schnell nachrüsten. Und zwar kostenfrei.“ Das sei bei der Einführung des Partikelfilters auch so gewesen.

10.610 Todesopfer durch Stickstoffdioxid

Die Belastung der Luft in Nordrhein-Westfalen mit Stickstoffdioxiden ist unverändert hoch. Die Messungen zur Luftqualität im Jahr 2016 haben ergeben, dass an 60 von 127 Messstellen der EU-Grenzwert nicht eingehalten wird. Im Vergleich zu 2015 haben sich die Werte sogar leicht verschlechtert.

Spitzenreiter bleibt der Clevische Ring in Köln-Mülheim mit 63 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Hier wurde der Grenzwert von 40 Mikrogramm neunmal gerissen. Auf den Plätzen folgen die Euskirchener Straße in Düren (61 Mikrogramm), die Corneliusstraße in Düsseldorf (58 Mikrogramm) und die Merowingerstraße in Düsseldorf (56 Mikrogramm). Insgesamt wurden in 32 Städten die Werte nicht eingehalten, das ist eine mehr als im Vorjahr. 10 610 Todesfälle pro Jahr sind nach Angaben der Umwelthilfe auf die hohe Belastung mit Stickstoffdioxiden zurückzuführen. 2016 kamen in Deutschland 3300 Menschen durch Verkehrsunfälle ums Leben.

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