ErmittlungenAttentäter Amri war länger in NRW als vermutet

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Karlsruhe/Emmerich – Wo war Anis Amri vor dem Attentat? Wo und wie konnte sich der IS-Anhänger so radikalisieren, dass er am 19. Dezember zwölf Menschen umbringen und mehr als 50 verletzen konnte?

Früh hatte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) nach der Bluttat am Berliner Breitscheidplatz mit dem Finger Richtung Hauptstadt gezeigt. „Er hat seit Februar 2016 seinen Lebensmittelpunkt in Berlin gesucht“, sagte Jäger. Amri sei in Nordrhein-Westfalen „nur noch für einen sehr kurzen Zeitpunkt“ angetroffen worden, so der Minister in einer Pressekonferenz am 21. Dezember – zwei Stunden bevor öffentlich nach Amri gefahndet wurde.

Dass das so nicht stimmt, und Amri in Wahrheit 2016 selbst nach Informationen der Behörden in mehreren Monaten überwiegend in NRW war und, eingebettet im Netzwerk des radikalen Predigers Abu Walaa, zwischen mehr als einem Dutzend Moscheen im Ruhrgebiet pendelte, musste Jägers Haus schon im Januar 2017 einräumen. Ermittlungen haben nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ inzwischen aber auch Hinweise erbracht, dass der Terrorist in den Monaten vor dem Anschlag in Berlin erneut nach Nordrhein-Westfalen zurückgekehrt war.

Als Vorbeter in Ditib-Moschee?

Bisher hatten die NRW-Behörden stets gesagt, dass es keinen Hinweis auf einen Aufenthalt Amris in ihrem Bundesland nach dem 18. August gebe. Auch wenn der Tunesier sich vermehrt in Berlin aufgehalten hat, zeichnen Befragungen des Staatsschutzes am Niederrhein inzwischen ein differenzierteres Bild, wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Ermittlerkreisen erfuhr. Eine V-Person der Sicherheitsbehörden gab an, dass Amri auch die Alsalam Moschee in Kleve sowie die Ditib Moschee Ulu Camii in Emmerich besucht habe.

Zwei Zeugen aus der Gemeinde der Emmericher Moschee hätten diese Informationen nicht nur bestätigt, sondern präzisiert: Ein Vorstandsmitglied der Ditib-Moschee sagte der Polizei demnach, dass Amri noch in den drei bis vier Monaten vor der Tat zwischen acht- und zehnmal in der Moschee gewesen sei. Bei einem Besuch habe der Tunesier sogar als Vorbeter fungiert. Der 15-jährige Sohn des Zeugen gab demnach ebenfalls an, dass er Amri dort gesehen habe. Allerdings lagen die Besuche nach seiner Erinnerung zeitlich noch näher am Anschlagsdatum.

Während sich die zuständige Polizei Krefeld nicht zu den Informationen äußern möchte, bestätigt Ditib-Vorstand Büllent Arslan die bisher nicht bekannten Moschee-Besuche am Niederrhein: „Wir waren geschockt, als wir nach dem Anschlag in der Gemeinde davon erfuhren. Ein angeblicher Muslim mit so einer schlimmen Tat – und dann war der auch noch bei uns!“

In Flüchtlingsunterkunft gelebt

An genaue Daten, wann Amri zu den gut besuchten Freitagsgebeten gekommen sei, könne er sich nicht erinnern, so Arslan. „Unsere Moschee ist offen für jeden. Aber Vorbeter war er bestimmt nicht. Das ist bei uns nicht so einfach möglich.“ Amri hatte in einer knapp zwei Kilometer entfernten Flüchtlingsunterkunft an der Emmericher Tackenweide monatelang gelebt. Erst zwei Wochen vor dem Anschlag war er an der dortigen Adresse wegen längerer Abwesenheit „von Amts wegen“ abgemeldet worden, wie es hieß – allerdings erst nachdem Landeskriminalamt und NRW-Innenministerium dem Vernehmen nach über Wochen Druck auf die Kommunalbehörden im Kreis Kleve gemacht hatten.

Abmeldung erwünscht

Der für Amri zuständige Sachbearbeiter in der Kreisverwaltung jedenfalls hatte sich gegen diesen Schritt lange verwahrt, weil ihm die zuständige Staatsschutzstelle zuvor eingebläut hatte, die Abmeldung auf keinen Fall zu vollziehen, um Amri nicht möglicherweise Verdacht schöpfen zu lassen. In Kreisen der Ausländerbehörden wundert man sich noch heute, warum Ministerium und das Landeskriminalamt in Düsseldorf den gemeldeten Amri wenige Wochen vor dem Attentat dann unbedingt loswerden wollten, mit Aufforderungen wie, dies sei „ausdrücklich erwünscht“.

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