Fall Anis AmriInternes LKA-Schreiben erhöht Druck auf Innenminister Jäger

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NRW-Innenminister Ralf Jäger muss am Mittwoch vor dem Ausschuss zum Fall Amri aussagen.

Düsseldorf – Er hat im Internetchat zunächst von einer Schwester gesprochen, die er heiraten wolle. Dann, als der Chatpartner nicht sofort verstand, den Begriff „Dougma“ verwendet. Im Hintergrund des Gespräches waren Schüsse und Funksprüche zu hören. Die Ermittler des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes (LKA), die die Telekommunikationsdaten von Anis Amri Anfang 2016 auswerteten, waren sich sicher, dass die verklausulierten Formulierungen des Tunesiers die Metaphern für einen Selbstmordanschlag waren. Die Chatpartner, bei denen der 25-Jährige seine Tat am 2. Februar 2016 ankündigte, seien wohl Tunesier gewesen, die sich in Libyen der Terrormiliz des Islamischen Staates angeschlossen hatten, heißt es in einem internen LKA-Papier, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt.

Das Schreiben zeigt, dass die nach dem Terrorakt vom NRW-Innenminister Ralf Jäger geäußerte Einschätzung, die Sicherheitsbehörden seien bis an die „Grenze des Rechtsstaats" gegangen, zumindest von einigen LKA-Beamten nicht geteilt wurde. Im Februar 2016 hatte die Sicherheitskonferenz NRW geprüft, ob man Amri gemäß Paragraf 58a des Aufenthaltsgesetzes, der die sofortige Abschiebung eines Ausländers erlaubt, wenn besondere Gefahr von ihm ausgeht, nach Tunesien abschieben könne.

Weil keine „gerichtsverwertbaren Tatsachen" gegen ihn vorgelegen hätten, sei dies nicht möglich gewesen, stützte ein Mitarbeiter des Ministeriums bei einer Sitzung des Landtag-Innenausschusses im Januar 2017 die Position des NRW-Innenmisters.

In den Unterlagen des Landeskriminalamtes vom März 2016 jedoch hört sich das anders an. Den Paragrafen 58a habe bisher zwar noch kein Bundesland angewendet, insofern sei NRW „hier Vorreiter“. Einer der Experten der Behörde jedoch sei dennoch „zuversichtlich“.

Denn zur Ankündigung eines Anschlages habe  sich Amri auch noch in einem arabischen Internet-Blog und auf anderen Seiten im Netz darüber informiert, wie er eine Bombe oder Handgranate bauen kann, heißt es in einem achtseitigen LKA-Vermerk. Er solle sich weiterhin konspirativ verhalten und sich an einen „Bruder“ wenden, hatten die IS-Kämpfer aus Libyen geraten. Die Ermittler befürchteten, dass der „noch nicht identifizierte Mittäter“ den Sprengstoff und sonstige Utensilien in Deutschland organisieren sollte.

„Kaum zu kalkulierendes Risiko“

Auch wenn es bisher noch keine Erkenntnisse gebe, dass Amri sich Sprengstoff oder andere Waffen besorgt habe: Den Fakt hinzugenommen, dass er sich mehrerer Identitäten bediene und zu zahlreichen islamistischen Gefährdern Kontakt habe, rechtfertige   eine auf Tatsachen basierende Prognose eines terroristischen Anschlages. Dieser jedoch sei, wenn er aus „einem spontanen Impuls heraus“ verübt werde, „auch durch engste polizeiliche Maßnahmen“ nur schwer zu verhindern und stelle ein „kaum zu kalkulierendes Risiko dar“.

„Aus den vorgenannten Gründen wird der Erlass einer Abschiebeanordnung im Sinne des Paragraphen 58a Aufenthaltsgesetz angeregt“, heißt es in dem Dokument, dass das LKA am 4. März an das NRW-Innenministerium übersandte. Die Fahnder wiesen zugleich daraufhin, dass der oft pendelnde Amri sich nach Erkenntnissen aus der Telefonüberwachung derzeit in der Hauptstadt aufhalte. „Insofern wäre es jedenfalls denkbar, dass eine Abschiebeanordnung durch den Innensenator in Berlin erlassen werden könnte.“ Sollte der Fall der Ministerentscheidung an Jägers Amtskollegen in der Hauptstadt – damals Frank Henkel (CDU) – übergeben werden? Und: Kam der Abschiebeplan dort überhaupt an? 

Ludger Harmeier, Sprecher des Landesinnenministeriums, sagte dazu auf Anfrage dieser Zeitung: „Der LKA-Vermerk ist nicht neu und enthält auch keine neuen Erkenntnisse. NRW hat auf Grund der damaligen Ermittlungen ein Verfahren nach § 89a beim Generalbundesanwalt angeregt. Dieser hat das Verfahren auf den Generalstaatsanwalt in Berlin übertragen. Die dort sechs Monate durchgeführten Observationen haben den Verdacht aus NRW nicht bestätigt. In vielen Besprechungen auf Landes- und Bundesebene wurde mehrfach geprüft, ob die Voraussetzungen des § 58a im Fall Amri vorlagen. Am Ende wurde eine Abschiebungsanordnung verworfen, weil die Voraussetzungen nicht erfüllt waren.“

Rückmeldung von Ministerium an das LKA

Ein Sprecher von Innenminister Ralf Jäger (SPD) korrigierte vor dessen Zeugenaussage am Mittwoch Informationen aus dem Landeskriminalamt NRW, wonach dieses nach Versand eines Entwurfs für die Abschiebungsanordnung Anfang März keine Rückmeldung aus dem Ministerium erhalten habe.

Das LKA hatte, wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtete, sogar noch in einem Vermerk vier Tage nach dem Anschlag im Dezember festgehalten, dass das „Ergebnis der Prüfung“ durch die Sicherheitskonferenz des Ministeriums im LKA „nicht bekannt“ sei. Auch LKA-Direktor Uwe Jacob äußerte sich in diese Richtung als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss,.

Das Ministerium teilt nun mit, dass dies „offensichtlich unzutreffend“ sei. „Am 31.03.2016 teilte ein Mitarbeiter aus dem Ministerium dem Landeskriminalamt mit, dass auf der Grundlage der Informationen, die der Sicherheitskonferenz vorlägen, keine Möglichkeit gesehen werde, gegen Amri vorzugehen.“ Es habe sich dabei um einen „telefonischen Austausch“ gehandelt, ergänzte der Sprecher. „Zudem belegt eine Email des Ministeriums an das Landeskriminalamt, dass auch in der Folgezeit thematisiert wurde, wie man Amri los werden könne und welche Hindernisse es dabei gibt.“

Die Aussage von LKA-Direktor Jacob vor dem Untersuchungsausschuss sei „missverständlich“ gewesen. Er habe diese „uns gegenüber bereits klargestellt“ ,so der Sprecher. Vom LKA war dazu am Dienstag keine Stellungnahme zu erhalten.

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