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Hannelore Kraft und Armin LaschetSommerliche Werbetouren vor den Landtagswahlen

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Eine Flagge mit dem Landeswappen von Nordrhein-Westfalen

Düsseldorf – Die vielen Fotos! Wer auch immer momentan die Internetseite der NRW-Staatskanzlei betreut – er hat viel zu tun. Beinahe im Stunden-Rhythmus müssen neue Bildergalerien der Ministerpräsidentin hochgeladen werden: Hannelore Kraft mit einem Flüchtlingskind, Kraft brät ein Spiegelei auf einem Solarofen im Münsterland, Kraft im Gespräch mit einem Islamprofessor vor ehrwürdiger Uni-Kulisse. Und das ist nur die Auswahl eines Tages.

Mit Beginn der Sommerferien beginnt eigentlich auch am Düsseldorfer Rheinufer eine längere politische Pause. Wer jetzt noch einen Abgeordneten anruft, erreicht ihn bestenfalls am Pool.

Hannelore Kraft aber arbeitet offenbar gegen den Trend: Sie hat mit Ferienbeginn die Zahl ihrer öffentlichen Auftritte in NRW deutlich erhöht. Firmenbesuche, Gespräche von der Kita bis zur Hochschule – die Ministerpräsidentin zieht übers Land, und alle sollen es erfahren. Die vielen Termine mit Fotografen und Lokalreportern im Windschatten sind ein nicht zu übersehendes Zeichen: NRW wählt zwar erst im Mai 2017, doch die Sozialdemokratin Kraft und ihr CDU-Herausforderer Armin Laschet sind in den Vorwahlkampf übergegangen. Es ist ein politisches Herantasten mit unterschiedlichen Strategien.

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Sie räumen es nicht offen ein, doch für Kraft und ihre Berater gibt es mindestens drei unausgesprochene Gründe, die für den sommerlichen Besuchsmarathon sprechen. Einer ist die Kölner Silvesternacht.

Krafts verspäteter öffentlicher Auftritt nach den Vorfällen und die Diskussionen darüber, dass die Ministerpräsidentin erst vier Tage später erfahren haben will, was passiert ist, haben es Kritikern leicht gemacht, Krafts Regierungsengagement anzuzweifeln. Dagegen arbeitet man nun mit Bildern und einer Hoffnung: Wer könnte nach dieser Erfahrungsreise zu den Erfolgreichen im 18-Millionen-Einwohner-Land noch behaupten, die Ministerpräsidentin sei amtsmüde und kümmere sich nicht?

Über die politische Sommerpause verteilt, sagt ihr Sprecher Thomas Breustedt, werde es mehrere Besuchstouren geben. Von Vorwahlkampf könne aber keine Rede sein: „Es ist eine gute Zeit, um lang ausgesprochene Einladungen anzunehmen, die sonst kaum in den Terminkalender passen.“

Weder Kraft noch ihr Sprecher werden es zugeben, doch in den letzten Sommerferien vor der Wahl will die Sozialdemokratin einen konkreten Fehler der Vergangenheit vermeiden – die Funkloch-Falle. 2014, als bei einem Unwetter in Münster zwei Menschen ums Leben kamen, blieb Kraft, eigentlich Meisterin im politischen Vor-Ort-Besuch, stumm auf ihrem Urlaubshausboot in Brandenburg.

Als sie das später mit Funklöchern begründete, klang das nicht nur seltsam – das bis dahin perfekt gepflegte Bild der Landesmutter, die da ist, wenn es irgendwo zwischen Herne und Bad Honnef größere Nöte gibt, hing zum ersten Mal schief. Nun nutzt Kraft, die Gelegenheit, sich auch zur Urlaubszeit vorsorglich als interessierte Regierungschefin zu zeigen.

Dritter und letzter Grund für die Reiselust: Die 55-Jährige mag tatsächlich das, was andere Politiker als notwendiges Übel betreiben – Wahlkampf. Sie beherrscht es wie wenige ihrer Kollegen vor dem Supermarkt, im Einkaufscenter Politik zu erklären. Es ist in Zeiten schlechterer Umfragewerte für ihre Partei eine Beruhigungspille: „Wir können Wahlkampf“, beschwört sie die Stärke ihrer nicht mehr ganz so starken NRW-SPD.

Während Kraft auf ihrer Tour Amtsbonus und Bekanntheit nutzen kann, um ihre Außenwirkung aufzupolieren, verfolgt Laschet eine andere Taktik. Er sucht momentan weniger die Bürgernähe, stattdessen will er seine Partei, die oft an ihm zweifelte und einige Entscheider hinter sich versammeln

Der 55 Jahre alte Aachener, der es in seiner Zeit als NRW-Integrationsminister unter CDU-Regierungschef Jürgen Rüttgers geschafft hat, sich als Experte für Zuwanderungsfragen zu etablieren, umwirbt seit Monaten wichtige Entscheider der NRW-Wirtschaft, lädt zur Industriegipfeln und verspricht dort als erste Amtshandlung die von Unternehmern bemäkelten rot-grünen Umweltgesetze zurückzunehmen. Die Strategie: Wer bei den gut verdienenden Machern ankommt, wirkt vielleicht selbst ein wenig wie einer.

Da Hannelore Kraft nicht gerade als Darling der Industrie- und Handelskammern gilt, ist es reizvoll die Lücke zu füllen. Erst recht für einen CDU-Mann. Laschet setzt darauf, mit diesem wirtschaftsnahen Kurs auch die brummeligen Westfalen in seinem Landesverband überzeugen zu können, für die der liberale Rheinländer zu oft wie ein verkleideter Grüner klingt.

Teil zwei von Laschets Vorwahl-Strategie spielt in Berliner TV-Studios. In den dutzendfachen Flüchtlingsdebatten half dem stellvertretende Bundesvorsitzenden sein Ruf als Integrationsexperte der Rüttgers-Jahre: Laschet wurde auf den Sesseln von Anne Will bis Sandra Maischberger zum zentralen Erklärer der Merkelschen Zuwanderungs-Politik. Seine Berater hoffen, dass ihm die mit jedem Talkshow-Auftritt wachsende Bekanntheit im Wahlkampf hilft.

Was Laschet und Kraft jedoch bei aller unterschiedlicher Strategie teilen: Nach aktuellen Umfragen haben ihre jeweiligen Wunschkonstellationen, rot-grün oder schwarz-gelb keine Mehrheit. Nicht ausgeschlossen also, dass sie im Mai 2017 über eine große Koalition verhandeln müssen.

Kalkulierte Ehe-Krise

Ein weiteres Indiz, dass sich NRW  langsam Richtung Wahlkampf bewegt, lässt sich beinahe täglich innerhalb der rot-grünen Koalition finden: Regelmäßig  mühen sich die Partner, ihre politischen Unterschiede zu betonen und bei noch so kleinen Themen „auf Distanz“ zu gehen. Zuletzt bemäkelte etwa Sven Lehmann, Chef der NRW-Grünen, das von Kraft verkündete Schulsanierungs-Paket sei mit seiner Partei nicht abgesprochen gewesen. 

Der große Skandal blieb trotzdem aus: Ja, es gehe vor allem um Schulen,  sagte Lehmann, man werde aber auch die Schwimmbäder und Sportplätze nicht vergessen. Da sei die SPD etwas voreilig gewesen.

Den entsprechenden Zeitungsartikel  mit dem Titel „Chef der NRW-Grünen geht auf Distanz zur SPD“ verteilte Lehmann kräftig über die sozialen Netzwerke – die kalkulierte Ehekrise ist in vollem Gange. (kla)

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