Kastanien in NRWDie bedrohten Baumriesen

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Erkrankte Bäume im Park der Abtei Brauweiler mussten im Frühjahr bereits gefällt werden.

Erkrankte Bäume im Park der Abtei Brauweiler mussten im Frühjahr bereits gefällt werden.

Bonn – Rosskastanien schmücken die berühmtesten Alleen im Land – die Poppelsdorfer Allee oder die Allee von Schloss Heltorf in Düsseldorf. Seit Jahren setzt die Miniermotte den beliebten Bäumen zu. Doch inzwischen ist sie nicht mehr der einzige Feind: In Nordrhein-Westfalen werden in etlichen Städten „blutende Rosskastanien“ beobachtet, wie die Landwirtschaftskammer berichtet. Wie viele Kastanien es in zwei Jahrzehnten noch geben wird, weiß niemand. Ganz schlimm hat es Krefeld getroffen, dort mussten schon 454 erkrankte Kastanien gefällt werden – jede siebte in der Stadt. In Duisburg wurden bereits 170 rotblühende Bäume gefällt, auch an der Abtei in Pulheim-Brauweiler bluten die Kastanien – dort musste im Frühjahr rund ein Dutzend fallen.

Der Baumgutachter und -experte des Naturschutzbundes Rhein-Erft Bernhard Arnold erläutert: „Die Zahl der blutenden Kastanien – nach Infektion mit Bakterien – ist in den letzten Jahren dramatisch gestiegen.“ Von den Bakterien der Spezies Pseudomonas syringae bekommen die Bäume Nekrosen. Die Rinde stirbt erst kleinflächig, später großflächig ab, und es wird ein dunkler Saft abgesondert – das Blut. Dadurch wird der Transport des Wassers, der Bau- und Brennstoffe unterbunden – die Kastanie stirbt. Das Bakterium mit dem sperrigen Namen wurde 2007 erstmals im Westen Deutschlands am Niederrhein festgestellt und ist inzwischen auch im Rheinland anzutreffen. „Es gibt Bäume, die kümmern über Jahre vor sich hin, andere sterben schnell“, so Arnold. Vor allem im Rhein-Erft-Kreis sind viele Kastanien betroffen.

In sind im Prinzip alle Kastanien mehr oder weniger von der Miniermotte befallen, wie Joachim Bauer vom Städtischen Grünflächenamt bestätigt. Die Bäume würden durch den Befall zwar geschwächt, hätten aber in der Regel genug Energie gespeichert, wenn die Motten den Blätterfraß vollendet haben. Erste Fälle des in der Regel gefährlicheren Bakterienbefalles wurden auch in Köln schon beobachtet, einige erkrankte Bäume mussten gefällt werden.

Seit einem Vierteljahrhundert breitet sich die Rosskastanien-Miniermotte vom Balkan nach Norden und Westen aus. Die Miniermotte, Cameraria ohridella, ist ein etwa fünf Millimeter kleiner Schmetterling, der zur Familie der Blatttütenmotten gehört. Die kupferfarbenen Vorderflügel tragen weiße, außen schwarze Streifen. (bce, pro)

Ortswechsel nach Bonn: Eingerollt und braun liegen Blätter auf der Wiese an der Poppelsdorfer Allee im Herzen von Bonn und kündigen den Herbst an – doch es ist erst Juli.

Auch fast alle noch grünen Kastanienblätter an den Bäumen sind mit braunen Stellen versehen. Die Miniermotte hat sich längst in ihrer zweiten Generation in diesem Jahr durch die Blätter gefressen. Seit 1992 sind die Kastanien an der Poppelsdorfer Allee von dem Schädling befallen – wie inzwischen fast alle Rosskastanien in Köln (siehe: „In Köln ...“) und viele ihrer Artgenossen im Rheinland auch.

Bisher haben sich die Bäume gehalten, auch wenn sie gefährdet sind. Jürgen Wissmann vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in Bonn versucht dennoch, Hysterie zu vermeiden: „Das läuft jetzt schon seit über 20 Jahren – und dafür sehen die Bäume noch gut aus.“ Die Stämme würden nicht angegriffen, einzig die Blätter seien zerfressen – „das ist eine ästhetische Beeinträchtigung“. Aber es handelt sich nicht nur um eine optische Frage – ohne Blätter können die Bäume ihren Job als Klimafaktor nicht mehr leisten.

Die fingernagellange Motte, die Kastanien plagt, stammt aus dem Balkan und befällt vor allem die weißblütigen Rosskastanien, bei den rotblütigen sterben die Larven aus noch unbekanntem Grund ab. Auch Berg- und Spitzahorn befällt die Motte. Zu ihren natürlichen Feinden zählt die Schlupfwespe.

Wenn sich die Raupe durch das Blatt gefressen hat, verpuppt sie sich und mutiert zur Motte. Den Winter übersteht sie im Puppenstadium im vertrockneten Laub. Deswegen gibt es Anstrengungen, das Laub einzusammeln. Doch die verpuppten Motten sind hartnäckig – sie überleben extreme Kälte und Hitze. Nur Laub-Verbrennen hilft wirklich.

Jürgen Wissmann gibt zu, dass die Motte dauerhaft zu einer Schwächung der Bäume führt, die ja auf die Photosynthese durch ihre Blätter angewiesen sind. Man habe auch schon beobachtet, dass die Früchte kleiner werden.

Immerhin – einen Feind hat die Miniermotte: die Meise. „Man hat schon ganze Schwärme von Blau- und Kohlmeisen gesehen, die sich über die Motten und die Raupen hermachen“, erzählt Wissmann. Je mehr Stadtbewohner Vögeln Schutz gewähren, Nistkästen aufhängen und im Winter füttern, desto weniger Miniermotten – und desto größer die Chance auf Kastanienalleen auch noch in 20 Jahren.

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