Klagen für NachzugJustizkreise rätseln über gute Rechtskenntnisse von Flüchtlingen

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Viele Gerichte müssen sich mit Asylverfahren beschäftigen.

Viele Gerichte müssen sich mit Asylverfahren beschäftigen.

Köln – „Wir schaffen das“, hat Kanzlerin Angela Merkel vor einem Jahr als Motivationsformel in Bezug auf die Bewältigung des Flüchtlingsstroms gen Deutschland ausgegeben. Seither hagelt es Kritik, die Aussage ist längst Politikum und Wahlkampfthema. Doch während die Parteien sich an der Regierungschefin abarbeiten, stellen sich die Behörden den Aufgaben ohne großes Getöse.

So auch die Verwaltungsgerichte in NRW, an denen die Asylverfahren verhandelt werden. „Wir haben eine deutliche erhöhte Belastung“, sagt Rita Zimmermann-Rohde, Sprecherin des Kölner Verwaltungsgerichts. „Aber es wäre völlig falsch, von einer Ausnahmesituation zu sprechen. Es ist eine besondere Herausforderung.“

Seit der Öffnung der Grenzen im September 2015 verzeichnen die sieben NRW-Verwaltungsgerichte eine regelrechte Verfahrensflut. Waren es 2014 noch 15 535 Verfahren, sind es allein nach dem ersten Halbjahr 2016 bereits 23 476. Auch am Kölner Verwaltungsgericht bestätigt sich der Trend. Hier stieg die Zahl von 2438 im Jahr 2015 auf bislang 4084 Klagen in 2016. Bis Ende des Jahres werden es hochgerechnet um die 6300 Asylverfahren sein. Von 87 Richtern beschäftigten sich 76 mit diesen Verfahren.

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Die Mehrheit der Klagen wird von Syrern eingereicht. Bis zum Frühjahr dieses Jahres ging es zumeist um Untätigkeitsklagen. Die Flüchtlinge beschwerten sich darüber, dass das „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ (Bamf) ihre Asylanträge nicht schnell genug bearbeitete.

Bamf mit der Arbeit überlastet

Die Folge waren lange Schlangen vor beinahe allen Verwaltungsgerichten in NRW. „Das Bamf war zum einen mit der Arbeit überlastet“, sagt Zimmermann-Rohde. Ein anderer Grund für die Verzögerung sei die mangelnde Kommunikation zwischen den Kommunen und dem Bamf gewesen. Das Bundesamt habe man oft nicht gewusst, unter welcher Adresse man die Antragsteller überhaupt erreichen kann. „Aber hier einen Schuldigen zu suchen, bringt nichts. Wir müssen diese Aufgabe gemeinsam erledigen“, sagt Zimmermann-Rohde. Das ist offenbar gelungen. „Die Welle der Untätigkeitsklagen haben wir weitestgehend überstanden.“

Inzwischen berichten die Verwaltungsgerichte aber von einem neuen Phänomen. Hintergrund ist das vom Bundestag verabschiedete Asylpaket II: Darin wurde das Recht von Flüchtlingen mit „subsidiärem Schutz“ ausgesetzt, zwei Jahre lang Familienmitglieder nachholen zu dürfen. Seither beschäftigen sich die Richter mit „Verbesserungsklagen“. Immer mehr Syrer wollen sich vor Gericht den vollen Flüchtlingsstatus erstreiten, um Angehörige in die Bundesrepublik holen zu können. Laut Genfer Konvention bekommen diesen Schutz Menschen, deren Leben in ihrem Herkunftsland wegen Rasse, Religion oder politischer Überzeugung bedroht ist.

Wie kommen Flüchtlinge so schnell an die Informationen?

In Justizkreisen herrscht Verblüffung darüber, wie die Flüchtlinge so schnell an Informationen über ihre rechtlichen Möglichkeiten kommen. Klassischerweise klären Organisationen wie Pro Asyl und Amnesty International die Asylbewerber auf. Doch das reiche als Erklärung nicht aus, sagt Zimmermann-Rohde. „Das Internet spielt hier eine überragende Rolle. Die meisten Flüchtlinge besitzen Smartphones, vernetzen sich in Foren und tauschen Tipps aus. Die Dinge werden wahnsinnig schnell kommuniziert.“

Es sind freilich nicht nur Migranten aus Syrien und Irak, mit denen die Richter sich auseinandersetzen. In Sachen Asylverfahren gehörten bis vor zwei Jahren Anträge von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien zum Kerngeschäft des Kölner Verwaltungsgerichts. Mittlerweile wurden die Staaten des Westbalkans zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Dennoch versuchen viele Menschen aus der ehemaligen Krisenregion, ihre Abschiebung zu verhindern. „In den meisten Fällen werden uns ärztliche Atteste vorgelegt. Wir müssen dann beispielsweise prüfen, was es mit den Krankheiten auf sich hat und ob diese in den jeweiligen Ländern möglicherweise doch therapierbar sind“, so Zimmermann-Rohde.

Obwohl sich 22 von 25 Kammern des Kölner Verwaltungsgerichts mit Asylverfahren beschäftigen, bleibe noch ausreichend Zeit, auch die anderen Klagen zu erledigen. „Die Bürger müssen sich nicht sorgen“, versichert Zimmermann-Rohde. „Auch baurechtliche Streitigkeiten werden nach wie vor zeitnah bearbeitet.“

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