Nach BundestagswahlNRW-Parteichef Groschek kündigt Großinventur bei SPD an

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Will gründlich aufräumen: Michael Groschek (60), neuer Parteichef der SPD in Nordrhein-Westfalen und ehemaliger Verkehrsminister beim Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“

Will gründlich aufräumen: Michael Groschek (60), neuer Parteichef der SPD in Nordrhein-Westfalen und ehemaliger Verkehrsminister beim Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“

Herr Groschek, die herbe Pleite bei der Landtagswahl liegt acht Wochen zurück – wo steht die SPD heute?

Die SPD ist eine Baustelle, die wir gründlich aufräumen werden. Unsere Mitglieder wollen jetzt aber kein Selbsthilfeseminar, sondern eine gute Vorbereitung auf den Bundestagswahlkampf.

Welche Fortschritte macht die Aufarbeitung der Wahlpleite?

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Die politische Großinventur beginnt direkt nach der Bundestagswahl. Da wird nichts unter den Teppich gekehrt. Wir müssen uns fragen, ob Anspruch und Wirklichkeit in der NRW-SPD noch identisch sind. Das Ziel ist, mit unserer Organisation auf die Höhe der Zeit zu kommen.

Was heißt das?

Die Grundstruktur unserer Ortsvereine spiegelt die Gesellschaft wider, wie sie vor 150 Jahren war. Heute sind digitale Strukturen und Beteiligungsmöglichen mindestens genauso wichtig, gerade für die vielen neuen Mitglieder, die zu uns kommen.

Verteilt die SPD künftig I-Pads statt Parteibücher?

Ein „Volkstablet“ der SPD wäre vielleicht nicht die dümmste Idee (lacht). Im Ernst: Wir haben mit unserer Kommunikation im Wahlkampf nicht alle erreicht, die wir erreichen wollten. Da müssen wir besser werden.

Sie wollen den Bergmannsgruß „Glückauf“ abschaffen. Was bringt es, die SPD-Folklore über Bord zu werfen?

Folklore ist ein wunderbarer Teil unserer eigenen Kultur. Wir sind zu Recht stolz auf unsere Geschichte. Folklore darf aber nicht zum Selbstzweck werden. Es ist eher peinlich, wenn wir von Dortmund als Herzkammer der SPD reden und gleichzeitig wissen, dass in keinem der Wahlkreise mehr als 40 Prozent geholt wurden. Da müssen wir genau hinschauen. Wir lassen uns auch nicht auf eine reine Großstadtpartei reduzieren. Die SPD kann auch auf dem Land punkten – sie ist die wahre Heimatpartei, nicht die CDU. Menschen haben das Bedürfnis nach sozialer Geborgenheit. Da sind wir glaubwürdiger als andere.

Sie sind als Ex-Minister auch für das Wahldebakel mitverantwortlich.

Niemand – auch ich nicht – hat ernsthaft daran geglaubt, dass Armin Laschet Hannelore Kraft schlagen kann. Das war eine Fehleinschätzung. Es war ein weiterer Irrtum zu glauben, Bundesthemen seien eine Belastung für die Landtagswahl. Außerdem haben wir der Schlusslichtkampagne der Union keine eigene Erfolgsgeschichte entgegengesetzt, obwohl wir sie hätten erzählen können. Und in der Schulpolitik etwa haben wir unsere eigene Position zu wenig deutlich gemacht.

Haben die Grünen in der Schulpolitik die Karre vor die Wand gefahren?

Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht. Bei der Inklusion fühlten sich viele der Betroffenen durch die handwerkliche Umsetzung überfordert. Das müssen wir anerkennen. Darüber hinaus war die Arbeitsteilung zwischen SPD und Grünen nicht überall stimmig. Dazu kommt: Die SPD muss auch als Regierungspartei immer als „rot pur“ erkennbar bleiben.

Warum gab es nach der Wahlniederlage keinen Mitgliederentscheid über den SPD-Vorsitz?

Die Situation hat schnelle Entscheidungen erfordert. Denn unmittelbar nach der Wahl begann ein Tontaubenschießen, bei dem potenzielle Kandidaten beschädigt wurden. Meine Entscheidung,den Vorsitz zu übernehmen, hing maßgeblich damit zusammen, dass mich mehrere große Unterbezirke darum gebeten haben und nicht zuletzt unser Parteivorsitzender Martin Schulz. Außerdem: 86 Prozent Zustimmung auf dem Parteitag zu erzielen, war sicherlich kein Misstrauensvotum.

Hannelore Kraft ist nicht zum Parteitag nach der Wahlniederlage gekommen.

Ich fand es sehr konsequent, dass sie am Wahlabend klipp und klar die Konsequenzen gezogen hat. Das verdient Respekt. Die Entscheidung von Hannelore Kraft, nicht zum Parteitag zu kommen, war eine sehr persönliche. Wir werden noch Gelegenheit finden, sie würdevoll zu verabschieden. Die SPD hat einen hohen moralischen Anspruch an die Gesellschaft. Dieser gilt auch für uns selbst im Umgang miteinander. Wir müssen uns darauf besinnen, dass zwischen „Hosianna“ und „Kreuzigt ihn“ immer mehr als ein Atemzug liegen muss.

War es ein Fehler von Hannelore Kraft, trotz aller Pannen an Ralf Jäger als ihrem Innenminister festzuhalten?

Wir hatten in der Innenpolitik eine Serie von sehr einschneidenden Ereignissen. Jetzt Ralf Jäger zum Hauptschuldigen der Wahlniederlage zu machen, halte ich für unangemessen.

Während der Koalitionsverhandlungen von CDU und FDP war vor der SPD wenig zu hören.

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Das sehe ich anders. Wir haben klar herausgearbeitet, dass der Koalitionsvertragan vielen Stellen völlig unverbindlich ist. Die CDU hat sich von der FDP inhaltlich regelrecht entkernen lassen. Bildung, Familie und Wirtschaft: Früher waren das mal Kernthemen der Union – jetzt machen das die Liberalen. Wir werden darauf achten, dass das Credo „Privat vor Staat“ jetzt nicht zum Maßstab in die Bildungspolitik wird. Die Bildungsmaut, die Schwarz-Gelb für Nicht-EU-Ausländer einführt, ist falsch und schadet dem Wirtschaftsstandort NRW.

Wie kann die SPD bei der Bundestagswahl das Ruder rumreißen?

Wir werden massiv über Rente und Altersarmut diskutieren. Auch bei den Vorschlägen zu Steuern und Abgaben gibt es deutliche Gegensätze zur Union. Wir wollen eine Reichensteuer für alle mit einem Jahreseinkommen von mehr als 250.000 Euro einführen. Sehr große Vermögen, die vererbt werden, müssen höher besteuert werden. Der dritte Bereich ist ein klassisches SPD-Thema, für das Martin Schulz steht wie kein anderer: Europa und Frieden. Wir wollen – im Gegensatz zu Frau Merkel – die Aufrüstungsspirale von Donald Trump nicht mitmachen.

Was lernt Kanzlerkandidat Schulz aus Fehlern der NRW-SPD?

Wir werden den Haustürwahlkampf und die gezielte Ansprache verstärken. Außerdem müssen wir unsere Digitalstrategie verbessern. Die FDP-Kampagne im Landtagswahlkampf war gelungen, das muss man neidlos anerkennen. Sie hat stark personalisiert und neue Maßstäbe gesetzt, was die Ästhetik und Bildsprache angeht.

Sehen wir Martin Schulz demnächst im Unterhemd vor dem Spiegel?

Natürlich nicht. Das ist auch nicht der Punkt. Aber wir müssen uns von der reinen Verliebtheit in dicke Programme lösen, ohne dabei unsere Inhalte und Werte aufzugeben. Fakt ist: Wir befinden uns in einem großen Transformationsprozess, bei dem nach und nach unser tradiertes Denken in Schriftsprache abgelöst wird durch das Denken in Bildsprache. Die FDP hat das perfektioniert, auch weil ihre Bilder einen Bezug zur Lebenswirklichkeit ihrer Zielgruppe hatten. Das kann auch bei Schulz funktionieren, wenn wir uns auf seine Stärken fokussieren. Denn nicht das Alter ist entscheidend, sondern die Glaubwürdigkeit bei der Umsetzung der Themen. Schauen Sie sich Typen wie Bernie Sanders in den USA oder Jeremy Corbyn in Großbritannien an. Das sind auch keine jungen Kerle mehr, aber sie können junge Zuhörer begeistern und zum Wählen mobilisieren.

Wer kann 2022 bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen Spitzenkandidat für die Sozialdemokraten werden?

Wir holen die Erfolgreichen in unsere Mitte. Das können Landespolitiker, aber auch Bürgermeister oder Landräte sein. Akut werden wir keinen Nachfolger für Armin Laschet ausrufen müssen – knappe Mehrheiten sind meist die stabilsten.

Sie sind bis 2018 als SPD-Chef gewählt – ist dann Schluss?

Wir wollen jetzt den Übergang gestalten. Für mich ist aber der Parteitag im Jahr 2018 nicht automatisch eine Deadline. Wichtig ist die erfolgreiche Gestaltung der Kommunalwahl 2020. Da müssen wir zeigen, dass wir nicht nur eine Volkspartei, sondern auch eine Erfolgspartei sind.

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