Abo

Serap Güler„Hier für die Todesstrafe in der Türkei zu plädieren, ist undemokratisch“

Lesezeit 5 Minuten
SerapGüler

Integrations-Staatssekretärin Serap Güler erhält die Ernennungsurkunde von Ministerpräsident Armin Laschet (beide CDU). 

Köln – Frau Güler, Minister und Staatssekretäre mit Migrationsgeschichte sind ja noch immer etwas Besonderes. Dann aber wieder „nur“ für Integration zuständig zu sein: Bedient das nicht das übliche Klischee?

Serap Güler: Für mich ist das kein Klischee. Ich habe im Landtag Integrationspolitik gemacht, vorher im Integrationsministerium gearbeitet und mich auch im Rahmen meines Studiums mit dem Thema beschäftigt. Wenn Lehrer sich für Schulpolitik interessieren, ist das ja auch normal.

Was werden Sie anders machen als „biodeutsche“ Politiker? Was bringen Sie mit, was die nicht haben?

Alles zum Thema Armin Laschet

Das Amt kann natürlich völlig unabhängig von der eigenen Herkunft gut ausgefüllt werden. Unser Minister hat im Übrigen auch eine Einwanderungsgeschichte. Seine Familie kommt aus Schlesien. Menschen wie ich können aber eine Brückenfunktion einnehmen. Wir haben einen anderen Blickwinkel.

Was ist das für ein Blickwinkel?

Wir kennen beide Bevölkerungsgruppen aus eigenem, ganz persönlichem Erleben. Wir haben Verständnis für beide Seiten. Zum Beispiel beim Thema Diskriminierungserfahrung. Nicht alles, was manche als Diskriminierung werten, ist eine solche. Es gibt Menschen, die fühlen sich in ihrer Opferrolle wohl, denn für das eigene Scheitern sind dann immer andere verantwortlich. Aber wenn jemand Özdemir heißt und deshalb keine Wohnung bekommt, dann hat das etwas mit Diskriminierung zu tun. Oder wenn Kinder mit Migrationsgeschichte bei gleichen Schulleistungen nur selten eine Gymnasialempfehlung erhalten.

Als erstes haben Sie sich jetzt dafür eingesetzt, den Modellversuch über anonymisierte Bewerbungen zu kassieren, der dazu dienen sollte, die Chancen von Migranten auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Wie passt das zusammen? Ihnen hat die Migrationsgeschichte vielleicht sogar geholfen. Gehen Sie davon aus, dass das bei anderen auch so ist?

Die Aussetzung des Modellversuchs steht im Koalitionsvertrag. Ich möchte nicht, dass Menschen ihren Namen, ihre Herkunft, ihr Geschlecht verstecken müssen, um im Öffentlichen Dienst – denn darum geht es – zu einem Bewerbungsgespräch für eine Ausbildung eingeladen zu werden. Was die freie Wirtschaft macht, ist zunächst einmal deren Verantwortung. Unser Auftrag aber ist es doch gerade, mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu integrieren. Und dann soll er oder sie das leugnen? In Nordrhein-Westfalen haben fast 25 Prozent der Menschen einen solchen Hintergrund.

Wieviel Spielraum haben Sie als Integrationsstaatssekretärin?

Ich möchte eigene Akzente setzen in Absprache mit dem Minister. Wir ziehen da an einem Strang.

Welche Akzente?

Wir möchten eine Integrationsoffensive 2030 starten. Integration soll auf vier Säulen ruhen: Spracherwerb, Integration durch Bildung, durch Arbeit und durch Wertevermittlung. Das ist mir sehr wichtig. Ich habe kein Problem damit, dass junge Leute bei Auftritten türkischer Politiker türkische Fahnen schwenken, weil sie stolz auf die Heimat ihrer Vorfahren sind – auch, wenn ich das politisch nicht nachvollziehen kann. Womit ich aber ein Problem habe ist, wenn sich diese Menschen nicht als Deutsche fühlen, obwohl sie hier in dritter/vierter Generation leben. Wir müssen an deren Demokratieverständnis arbeiten. Wir müssen stärker in der Schule vermitteln, dass man in Deutschland frei seine Meinung kundtun kann und dass es dagegen alles andere als demokratisch ist, für die Todesstrafe in der Türkei zu plädieren.

Wie gefährlich für die Integration ist diese Erdogan-Euphorie bei einem Teil der Türkeistämmigen und der Hass gegenüber den Gegnern?

Das steht der Integration stark im Weg, weil sich diese Menschen Erdogan zugehörig fühlen. Diese Leute sind hier nie angekommen. Niemand soll seine türkische Herkunft leugnen. Aber es gibt junge Leute, die alles Deutsche ablehnen. Die glauben, dass Deutschland nicht gerecht ist zu ihrer Türkei, weil ihnen das aus der Türkei so eingeredet wird. Ursache ist auch ein Gefühl fehlender Anerkennung, was jetzt von türkischer Seite nachgeholt wird. Die deutsche Politik jedenfalls hat es zumindest bisher rhetorisch versäumt, ihnen zu sagen, ihr gehört zu uns. Da brauchen wir dringend einen Stimmungswechsel, vor allem durch Bildung und bessere Integration in den Arbeitsmarkt. Das gilt auch für die vielen Flüchtlinge. Für bessere Integration müssen wir auch enger mit den Eltern zusammenarbeiten. Für die Flüchtlinge müssen wir mehr Unternehmer finden, die sich engagieren. Integration sollte als Dienstleistung verankert werden.

Wo ist Integration am wenigsten gelungen?

Im religiösen Bereich. Der größte Moscheeverband, die Ditib, hat sich dabei nicht hervorgetan. Wenn sie wie am Wochenende in Deutschland zu Demokratiewachen aufruft, dann betreibt sie türkische Politik. Was hat das mit Deutschland zu tun?

Sie haben gesagt, die Ditib muss sich entscheiden. Will sie ein religiöser Verband sein, der sich um die religiösen Belange kümmert? Dann kann sie eine wichtige Rolle spielen. Wenn sie türkische Politik macht, hat sie sich als Partner des Staates disqualifiziert. Im Beirat für den islamischen Religionsunterricht würde sie aber weiter großen Einfluss haben?

Das Beiratsmodell läuft 2019 aus. Es war nicht zufriedenstellend. Wir wollen das islamische Zentrum in Münster stärker einbeziehen, was die Ausrichtung des Religionsunterrichts angeht. Die bilden ja auch die Lehrer aus.

Also ist die Ditib raus?

Ich sehe die Ditib eher noch beratend, nicht mehr bestimmend in dem Gremium. Man muss aber gerechterweise auch sagen, dass die Ditib-Gemeinden in den zurückliegenden Jahren viele religiöse Bedürfnisse der Muslime befriedigt haben. Und wir brauchen die Moscheegemeinden als Akteure. An der Basis der Ditib brodelt es ja auch, da gibt es jüngere Leute, die sich dem Kurs der Zentrale in Köln verweigern.

In der CDU tauchen zunehmend Türkeistämmige auf, die gleichzeitig islamistischen oder nationalistischen türkischen Gruppen nahestehen. Gibt es so etwas wie eine Gefahr der Unterwanderung?

Das Problem hat nicht nur die CDU. Es ist sehr schwer, das nachzuweisen. Bei den nationalistischen grauen Wölfen gibt es keine Mitgliedschaften, womit sie jemandem eine Zugehörigkeit nachweisen könnten, und jedes Parteimitglied einer Gesinnungsprüfung zu unterziehen, ist auch nicht der richtige Ansatz. Da müssen die Parteien wachsam sein.

KStA abonnieren