VerschlusssacheInterne Polizeiakte enthüllt Millionengeschäfte der Familien-Clans

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Eine zersplitterte Fensterscheibe in Duisburg-Marxloh, das als No-Go-Area in Verruf geraten ist

Eine zersplitterte Fensterscheibe in Duisburg-Marxloh, das als No-Go-Area in Verruf geraten ist

Düsseldorf/Duisburg – Die interne Polizeiakte über die Millionengeschäfte krimineller libanesischer Familienclans in den Duisburger Stadtteilen Marxloh, Hochfeld und Laar stammt aus dem Juli 2015, an ihrer Brisanz hat sich bis heute nichts geändert. „Gegenüber dieser Lagedarstellung liegen aktuell keine essenziell neuen Erkenntnisse zum Kriminalitätsgeschehen, zu Phänomen und Arbeitsweisen sowie Täterstrukturen vor“, heißt es in einer Verschlusssache des Duisburger Polizeipräsidiums vom 17. November 2016, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt.

Die Lage in Duisburg

Gibt es in Marxloh rechtsfreie Räume, No-Go-Areas, in die die Polizei sich nicht mehr hinein traut? Duisburgs Polizeipräsidentin Elke Bartels hat dem zuletzt im Silvester-Untersuchungsausschuss des Landtags vehement widersprochen. Der interne Bericht kommt aber zumindest zu der Erkenntnis, dass Anwohner durch die Präsenz „einzelner Bevölkerungsgruppen“, durch „bedrohliches Auftreten und Belästigungen eingeschüchtert“ werden und aus Angst vor Repressalien die „Straftaten dieser Gruppierungen“ nicht anzeigen. Die Straßenbahnlinien 901 und 903, die durch Marxloh fahren, würden vor allem in den Abend- und Nachtstunden als Angstraum wahrgenommen. Selbst Polizeibeamten und städtischen Bediensteten schlage „hier eine hohe Aggressivität, Respektlosigkeit und Gewalt entgegen“.

Doch wer sind diese Gruppierungen? Die Polizei spricht von 61 Familienstrukturen mit knapp 1600 Personen, sogenannte Mardin-Kurden, die zwischen 1975 und 1990 während des Bürgerkriegs im Libanon nach Deutschland kamen, nach der Einreise offenbar ihre türkischen Reisedokumente vernichteten und sich als libanesische Bürgerkriegsflüchtlinge ausgaben.

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Warum es ihnen in dem Ende der 1990er Jahre von der Stahlkrise geschüttelten Duisburg gelang, in den Stadtteilen Hochfeld und Rheinhausen im großen Stil für wenig Geld Immobilien zu kaufen, sie inklusive der Nebenkosten voll zu finanzieren, ist der Polizei bis heute ein Rätsel. „Trotz intensiver Finanzermittlungen wurden die Finanzquellen nicht aufgespürt“, heißt es in dem Bericht. „Der Wert der Wohnungen beträgt heute mehrere Millionen Euro.“ Streng patriarchalisch organisiert und völlig abgeschottet, konnten diese von der Polizei als „Schein-Libanesen“ bezeichneten Familien ihre Macht auch durch den zurückgehenden Einfluss der Rockerszene um die „Hell’s Angels“ ausbauen.

Die Liste der Straftaten

Es gibt nahezu keinen Kriminalitätsbereich, der den „Schein-Libanesen“ nicht zur Last gelegt wird und für die einzelne Mitglieder in wenigen Fällen auch schon verurteilt werden konnten: Es begann zur Jahrtausendwende mit organisierten Ladendiebstählen und gewerbsmäßiger Hehlerei, heute agieren die Clans im internationalen Handel mit Heroin und Kokain, beherrschten zeitweise den Marihuana-Handel in Hochfeld. Hinzu kommen Schutzgelderpressung, internationale Kfz-Verschiebung, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung bulgarischer Prostituierter. Einer der Clan-Führer, der in den Medien als „Pate von Rheinhausen“ bezeichnet wurde, bedrohte vor drei Jahren sogar einen Polizisten, weil „der verkehrsrechtliche Maßnahmen gegen ihn getroffen hatte“, heißt es in dem Polizeipapier. Er heuerte drei Mittäter an, um die Dienststelle des Beamten zu observieren. Diese Aktion ging einem Mittäter zu weit. Als er sich weigerte, hetzte der „Pate von Rheinhausen“ ihn durch Hochfeld. Der Mann konnte sich in ein Taxi retten und vertraute sich in Todesangst der Polizei an, sagte als Kronzeuge vor Gericht aus. Seit Januar 2015 sitzt der Clan-Boss im Gefängnis – verurteilt zu sieben Jahren. Er hatte laut Polizei seinen Gegnern zum Beispiel die Hände zertrümmert oder sie „durch Schussabgaben gefügig gemacht“.

Immerhin: Das harte Durchgreifen der Polizei trägt Früchte: Die Zahl der Straftaten ist in Marxloh und Laar im Vergleich zu 2015 um 28 Prozent zurückgegangen. Seit August 2015 wird die Polizei durch zusätzliche Kräfte der Bereitschaftspolizei unterstützt.

Neue Erkenntnisse, nach denen die libanesischen Großfamilien sich mit Roma-Clans in Marxloh zusammengetan haben sollen, kann die Polizei nicht bestätigen. Ein Bezirksbeamter hatte das laut „Rheinische Post“ behauptet. „Die Roma begehen Diebstähle, die Libanesen fungieren als Hehler.“ Dies seien persönliche Mutmaßungen. In dem internen Polizeipapier vom 16. November heißt es allerdings auch: „Eine punktuelle, einzelfallbezogene Kooperation von Straftätern dieser Gruppierungen ist nicht ausgeschlossen, auch wenn dazu derzeit keine belastbaren Erkenntnisse vorliegen.“

Die Dortmunder Nordstadt

Man wolle die Probleme nicht schönreden, sagt Detlef Rath, Leiter der Polizeiwache in der Dortmunder Nordstadt. „Unser Kernproblem ist die Zuwanderung aus Südosteuropa.“ Hinzu komme der Drogenhandel, der vor allem von Schwarzafrikanern betrieben werde. „Aber wir haben die Lage im Griff.“ Seit 2013 seien 500 000 Euro Bargeld aus Drogengeschäften sichergestellt worden. Die Nordstadt jedoch als No-Go-Area zu bezeichnen, verzerre das Bild. „Dieser Teil des Themas wird von außen nach Dortmund reingetragen.“ Durch den zusätzlichen Einsatz von Bereitschaftspolizisten seit Mitte 2015 werde sich die Zahl der Taschendiebstähle 2016 um 30 Prozent, die der Raubdelikte um 40 Prozent verringern. Lediglich bei den Widerstandshandlungen gebe es ein Plus von 28 Prozent. Die Nordstadt war Anfang Oktober erneut in den Fokus geraten, nachdem 100 Menschen einen Streifenwagen umringt hatten.

Familienclans in Essen

Erst Ende Oktober hat die Polizei in Essen eine Großrazzia gegen die libanesischen Familienclans durchgezogen. Essen ist eine Hochburg der „Mhallami-Kurden“, die wie in Duisburg aus der Türkei stammen, in den 1980er Jahren nach Deutschland kamen und mit rund 6000 Personen in engen Familienstrukturen leben. „60 Prozent haben sich zu einer Familien-Union zusammengeschlossen. Das sind unsere Ansprechpartner“, sagt Thomas Rüth, Sozialarbeiter bei der Arbeiterwohlfahrt in Altenessen. Eine kriminelle Minderheit dürfe nicht die Oberhand gewinnen. „Wir haben schon zwei Generationen an diese Clans verloren.“ Die Liste der Straftaten liest sich wie in Duisburg: Drogenhandel, Prostitution, Hehlerei, Schutzgelderpressung, Autoschieberei und Sozialhilfebetrug. Das sei unstrittig, sagt Rüth. Aber auch in Altenessen sei man es leid, als No-Go-Area bezeichnet zu werden. „Das schürt nur Ängste.“

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