NRW-KriminalstatistikManipulieren Polizeibehörden die Aufklärungsquote?

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Wie viele Einbrüche wurden wirklich aufgeklärt? Die Statistik könnte manipuliert sein.

Wie viele Einbrüche wurden wirklich aufgeklärt? Die Statistik könnte manipuliert sein.

Düsseldorf – Der Vorwurf wiegt schwer: Viele Polizeibehörden manipulieren angeblich die Aufklärungsquoten bei Wohnungseinbrüchen.

Mit dieser Einschätzung brachte der Mülheimer Kriminologe Frank Kawelovski Brisanz in die Sitzung des Innenausschusses des Landtags am Donnerstag.

Dort sollte es im Austausch mit Experten eigentlich um ein von der CDU vorgeschlagenes Maßnahmenpaket zur Eindämmung der steigenden Einbruchszahlen gehen.

Alles zum Thema Joachim Stamp

Tatverdächtigen weitere Delikte in die Schuhe geschoben?

Mit seiner Stellungnahme – Ergebnis mehrerer Untersuchungen – lenkte der frühere Kriminalhauptkommissar Kawelovski den Blick auf ein anderes Problem: Polizeibeamte hätten manchen Tatverdächtigen, die auf frischer Tat ertappt wurden, bis zu 30 weitere Delikte in die Schuhe geschoben und die Fälle als geklärt in die Bilanz einfließen lassen.

Klare Beweise seien sie allerdings schuldig geblieben, teilweise habe es nur vage Vermutungen für ihre Schuld gegeben. Die Konsequenz: ein Zerrbild für die Kriminalitätsstatistik.

Innenminister Ralf Jäger weist Vorwürfe zurück

Innenminister Ralf Jäger wies die Vorwürfe zurück: Die Kriminalitätsstatistik werde nach bundesweit einheitlichen Regeln erstellt und sei bewährt.

Die Zahl der Wohnungseinbrüche in NRW ist 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 18,1 Prozent gestiegen und bewegt sich mit 62 362 Fällen auf Rekordniveau.

Die Aufklärungsquote liegt bei 13,8 Prozent, in Köln sind es sogar nur 7,8 Prozent. Jäger kündigte an, den vorgetragenen Hinweisen auf Manipulation nachgehen zu wollen.

Diese seien teils sogar erlaubt, erläuterte dagegen Kawelovski. In der Frage, wie man die Aufklärungsquote nach oben bringen kann, hätten die Beamten „große Kreativität“ gezeigt.

Oft reichten ähnliche Tatmuster oder Tatserien im Umfeld, um mehrere Fälle einem Verdächtigen zuzuschreiben. „Wenn ein Name da steht, ist die Versuchung groß, daraus einen geklärten Fall zu machen“, erklärte der Wissenschaftler, das seien „Verzweiflungstaten“ überlasteter Beamter.

Denen wolle er aber auf keinen Fall absprechen, dass sie einen guten und engagierten Job machten. Aber: „Mit diesen Verzerrungen entwerten wir unser Lagebild.“ Das Täterbild sei nicht realistisch.

„Steigender Aufklärungsdruck“

Kawelovski hatte für seine Untersuchungen vor einigen Jahren die Ermittlungsergebnisse der Polizeibezirke Mülheim, Oberhausen und Wesel analysiert.

In Mülheim habe er 30 als geklärt abgeschlossene Fälle entdeckt, in denen die Namen der Tatverdächtigen „frei erfunden worden waren“. Als Motiv vermutete er den steigenden Aufklärungsdruck.

Rückendeckung erhielt der Wissenschaftler von Gina Rosa Wollinger, die eine Studie des renommierten Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen von 3000 Ermittlungsakten vorstellte: Geschönte Aufklärungsquoten fliegen danach spätestens in der Justiz auf.

„Es handelt sich eher um eine Tatverdächtigenquote als um eine Aufklärungsquote“, sagte sie.

Die Staatsanwaltschaften stellten einen Großteil der übergebenen Strafverfahren ein, weil der Tatverdacht nicht hinreichend begründet sei. Das führe dazu, dass nur etwa 2,6 Prozent aller Einbrüche mit einer Verurteilung der Täter geahndet würden.

Opposition reagierte mit Empörung

Die Opposition reagierte mit Empörung auf die Ergebnisse des 18-seitigen Gutachtens. „Bei den Täterstrukturen werden Spekulationen zu Fakten stilisiert“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionschef Joachim Stamp.

Der von den Polizeidienststellen empfundene Druck durch das Ministerium, „Aufklärungszahlen zu schönen, ist unverantwortlich und bedarf der Aufarbeitung“.

Theo Kruse, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, wirft Jäger gezielte Täuschung der Öffentlichkeit vor. „Der Innenminister untergräbt mit seiner PR-Politik das Vertrauen der Bürger in die Polizei.“

Wie Jäger wies auch Joachim Eschermann, Leitender Kriminaldirektor beim Landeskriminalamt, die Vorwürfe eines frisierten Zahlenwerks zurück.

Er verwies auf ein eigenes Forschungsprojekt, das das LKA wegen der steigenden Zahlen bei Wohnungseinbrüchen vor zwei Jahren gestartet hatte. Die Auswertung von rund 10 000 staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten habe seiner Behörde keine Hinweise auf Manipulation geliefert.

Vielmehr sei Polizeiarbeit erfolgreicher geworden: „Die Aufklärungsquote zeigt, dass wir mit den Maßnahmen, die wir treffen, besser an die Tatverdächtigen herankommen.“ Er widersprach dem Eindruck, es werde nur ein Bruchteil der Täter ermittelt: „Dem ist nicht so.“

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sprach von „dramatischen Einzelfällen“, die Kawelovski aufgetan habe.

Von flächendeckender und systematischer Manipulation, um den Innenminister gut dastehen zu lassen, könne aber keinesfalls die Rede sein, sagte BDK-Landessprecher Oliver Huth. Fälle, die bei der Polizei als geklärt gelten, sind es bei der Justiz noch lange nicht.

Grund dafür seien die unterschiedlichen Rechtsrahmen, die die Politik selbst geschaffen habe, so Huth. „Wir brauchen für die Statistiken schon lange einen klaren roten Faden. Solange es den nicht gibt, bekommt die Politik genau das, was sie erfragt.“

Beute im Wert von 180 Millionen Euro

Die Tatverdächtigen, die in NRW im Jahr 2015 in Wohnungen eingebrochen sind, waren mehrheitlich männlich: Lediglich 17,5 Prozent waren Frauen. Das durchschnittliche Alter der deutschen Tatverdächtigen lag bei 30,5 Jahren, der nicht-deutschen waren knapp zwei Jahre jünger.

Fast die Hälfte der Tatverdächtigen waren Ausländer (48,5 Prozent). Die häufigsten Nationalitäten, die die Polizei ermitteln konnte waren: Serbien, Rumänien, Türkei, Albanien und Polen.

Insgesamt machten Einbrecher im vergangenen Jahr Beute in Höhe von mehr als 180 Millionen Euro, im Schnitt lag ein Schaden bei 5100 Euro. Doch die Bandbreite ist groß: So gab es 1600 Fälle mit einem Schaden von 15 Euro und fast 400 Fälle, bei denen Beute von mehr als 50000 Euro gemacht wurde. Die meisten Schäden beliefen sich hingegen auf 500 bis 2500 Euro.

Mit einem Einbruchradar informiert die Polizei mittlerweile jede Woche online über die aktuellen Aktionsgebiete der Einbrecher. So sind in der Woche vom 17. bis 23. Oktober 48 Einbrüche in Köln und Leverkusen vollendet worden, 32 Mal blieb es bei einem Versuch. (jwa)

www.polizei.nrw.de/koeln

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