ChemtrailsSind Kondensstreifen von Supermächten versprühte Giftwolken?

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Verschwörungsgläubige behaupten, die Kondensstreifen am Himmel seien Chemtrails, also Giftwolken, die von Supermächten versprüht werden.

Köln – Dr. Michael Blume ist Religionswissenschaftler, Blogger und Autor (u.a. „Verschwörungsglauben“). Er hat an der Uni Köln gelehrt.

Herr Blume, ein Aprilscherz von wetteronline.de hat wieder Hunderte Chemtrail-Anhänger auf den Plan gerufen, die in den sozialen Medien spamartig über Weltverschwörungen am Himmel diskutieren. Was genau ist deren These?

Chemtrail-Gläubige sind davon überzeugt, dass die Regierungen der Welt unter dem Einfluss von Superverschwörern Chemikalien auf Mensch und Natur niederrieseln lassen. Es ist also eine wirklich klassische Wahrnehmung von „Wir hier unten, Ihr da oben“.

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Pardon, wer oder was sind Superverschwörer?

Anhänger von Verschwörungstheorien jeglicher Couleur glauben, dass das Weltgeschehen von bösen Mächten bestimmt wird –  Teufel etwa, Freimaurer oder Illuminaten, Außerirdische, der Vatikan oder bei Antisemiten auch häufig Juden. Diese Superverschwörer werden dann für alle Übel verantwortlich gemacht.

Im Fall der Chemtrail-Anhänger für konkret welches Übel?

Chemtrail-Gläubige vertreten nicht eine These, sondern mehrere und behaupten, dass die Abgasfahnen der Jets  in Wirklichkeit Gift-Wolken seien, die Flugzeuge im Auftrag von Staaten versprühen, um – je nach Ausrichtung –  das Klima oder Wetter zu beeinflussen, die Geburtenraten herunterzudrücken, Krankheiten hervorzurufen, natürliches Saatgut gegenüber Genprodukten unbrauchbar zu machen,  Tiere und Menschen zu vergiften oder ruhigzustellen. Fotos von Kondensstreifen am Himmel, die durch den steigenden Flugverkehr tatsächlich zugenommen haben, werden dann als vermeintliche Augenzeugenbeweise getauscht und kommentiert, so dass die Chemtrail-Gläubigen ihre Mythen gegenseitig bestätigen.

Um damit eine einfache Erklärung für diffizile Phänomene wie Alzheimer, Insektensterben, Klimawandel zu haben? Anders gefragt: Warum ist gerade diese Verschwörungstheorie so beliebt?

Wir haben es hier, wie bei allen Verschwörungstheorien, mit einem religionspsychologischen Phänomen zu tun: Der Glaube an genannte böse Mächte, die das Weltgeschehen bestimmen und Grund allen Übels sind. Deswegen spreche ich auch lieber von Verschwörungsmythen als von -theorien, denn letztere wären ja überprüfbar. Die meisten Verschwörungsgläubigen wollen aber nichts überprüfen, sondern sind fest davon überzeugt, die Superverschwörer identifiziert zu haben. Chemtrails sind besonders  starke Verschwörungsmythen, da sie unbewusst an religiöse Rituale anschließen. Denken wir an die Sterndeuter von Bethlehem oder römischen Auguren, die die Himmels- und Vogelflugzeichen für das Reich deuteten.

Der Charme von Verschwörungstheorien bestünde darin, dass sie versprechen, die Welt zu erklären, ohne einfach nur etabliertes Wissen nachzubeten, hat mal ein Kritiker gesagt. Was steckt hinter den Behauptungen der Verschwörer?

Verschwörungsmythen entstehen aus dem Gefühl heraus, dass etwas mit der Welt und der Menschheit nicht stimmt. Es ist natürlich möglich, aber sehr anstrengend, sich dazu wissenschaftlich zu informieren. Sehr viel einfacher und zunächst auch spannender ist es, eine Gruppe von Superverschwörern verantwortlich zu machen –  und zack! – alles ist vermeintlich erklärt. Wenn ich morgens Kopfschmerzen habe, brauche ich nicht mehr meinen Lebensstil zu hinterfragen, sondern kann Chemtrails dafür verantwortlich machen. Im Internet werde ich blitzschnell andere Verschwörungsgläubige finden, die mir bestätigen, dass ich damit besonders schlau und aufgeklärt bin – und im Gegensatz zur dummen Mehrheit die Zeichen am Himmel richtig deuten kann. Das fühlt sich doch viel besser an, als die Ermahnung der Ärztin, ich möge weniger Alkohol trinken und mehr schlafen.

Wer sind die Urheber des Chem-trail-Mythos – Alkoholiker? Spaß beiseite, wem haben wir  die vermeintliche Theorie zu verdanken?

Schon in den 90er Jahren verbreiteten sich überwiegend anonyme Beobachtungen und Mutmaßungen über  Contrails, also Kondensstreifen am Himmel, im Internet. Daraus entstanden immer spezialisiertere Foren und Webseiten. Die Chemtrail-Verschwörungsmythen wurden also nicht von einer bestimmten Gruppe ins Leben gerufen, sondern haben sich als Flüstergeschichten im Internet entwickelt – und wurden dann schnell immer populärer.

Stichwort postfaktische Ära – Haben Verschwörungstheorien in den vergangenen Jahren zugenommen?

Verschwörungsglauben gibt es so lange, wie es den modernen Menschen gibt. Er ist schlicht eine Variante von Religiosität: In den Weltreligionen glauben die Menschen an die Weltherrschaft einer guten Macht, im Verschwörungsglauben an die  einer bösen. In Krisenzeiten und vor allem mit der Einführung neuer Medien wird die Glaubwürdigkeit der Weltreligionen erschüttert – damit nimmt auch der Verschwörungsglauben zu.

Sind Krisen also der Nährboden von Verschwörungstheorien?

Krisen, aber auch gesellschaftliche und technische Umbrüche. Bestes Beispiel dafür ist der Hexenglauben, dem heute noch jährlich Tausende Menschen in  Afrika und Papua-Neuguinea  zum Opfer fallen. Im christlichen Europa war der Hexenglauben bereits überwunden, doch mit heftigen Missernten, der Erfindung des Buchdrucks und den Erschütterungen der Kirchen durch die Reformation kehrte er mächtig zurück. Der „Hexenhammer“ von 1486 war kein Werk des finsteren Mittelalters, sondern einer der ersten Buchdruck-Bestseller –  und die meisten vermeintlichen Hexen wurden in der frühen Neuzeit bis ins 17. Jahrhundert verfolgt.

Sie haben die Einführung neuer Medien genannt – kann man das Internet als Motor der Verschwörungstheorien bezeichnen?

So wie der Buchdruck ab dem 15. Jahrhundert Hexenglauben und Antisemitismus  neu befeuert hat, bewirken die digitalen Medien,  aber auch die Globalisierung, heute ein neues Aufblühen von Verschwörungsmythen. Zum Einen  wird es leichter denn je, sie  zu publizieren und damit öffentlich zugänglich zu machen. Zum anderen können sich Verschwörungsgläubige heute mit drei Klicks zu Online-Foren, Facebook-Gruppen und Blogs zusammenschließen und sich dort gegenseitig bestätigen. Auch auf den Fanseiten von Büchern, Comics und Filmen wie „Matrix“ und „Akte X“ finden sich Verschwörungsinteressierte sehr schnell, um sich dann gegenseitig zum Verschwörungsglauben zu bekehren.

Der Chemtrail-Mythos ist, wie viele andere Verschwörungstheorien, also wissenschaftlicher Nonsens.

Die beschuldigten Organisationen, zum Beispiel  das deutsche Umweltbundesamt, Forschungsinstitute und Fluggesellschaften haben wieder und wieder glaubwürdig klargestellt, dass sie keine entsprechenden Programme verfolgen. Und Forscher haben mit Hilfe allerhand chemischer Untersuchungen  keine der behaupteten Stoffkonzentrationen gefunden. Schließlich müssten Abertausende Piloten, Wissenschaftler, Politiker, Firmen und Behörden beteiligt sein –  oder schweigen. Die Chemtrail-These ist also wissenschaftlich schlichtweg nicht haltbar. Deshalb verwenden Chemtrail-Gläubige jede Widerlegung als einen weiteren Beweis dafür, wie raffiniert und weitgespannt die Verschwörung tatsächlich sei.

Ist es möglich, Verschwörungstheorien zu entzaubern,  mittels Aufklärung zum Beispiel?

Sämtliche Untersuchungen zeigen, dass wissenschaftliche Studien und rationale Argumente eingefleischte Verschwörungsgläubige gar nicht mehr erreichen. Sie fühlen sich damit vielmehr darin bestätigt, dass eine riesige Superverschwörung ihre „Wahrheit“ unterdrücken möchte. Aufklärung und wissenschaftliche Bildung  sind aber nicht völlig wirkungslos. Sie können weitere Menschen davor bewahren, den Verschwörungs-gläubigen auf den Leim zu gehen.

Sind Verschwörungstheorien nicht  auch zutiefst menschlich?

Letztlich erinnert uns der Verschwörungsglauben daran, dass wir Menschen nicht nur rational und materialistisch sind. Wir hungern nach Sinn, Bedeutung und Gemeinschaft. Wenn wir all das nicht mehr in einem Glauben an gute Mächte finden, steigt die Gefahr, dass wir in den Glauben an superböse Mächte abrutschen –  und uns dabei selbst für besonders klug und aufgeklärt halten.

Kondensstreifen: Entstehung und Ausformungen

Die weißen Streifen am Horizont bestehen aus Wassertröpfchen, die aus den Abgasen der Triebwerke kondensieren, denn in feuchter Luft können die  Abgase nicht verdunsten. Durch  Höhenwind und Feuchtigkeit verfransen die Spuren manchmal zu breiten Teppichen. Der zunehmende Flugverkehr sorgt für  mehr Kondensstreifen. Sie halten sich länger am Himmel als früher, weil Flugzeuge heute höher fliegen und ihre Motoren mehr Wasserdampf abgeben. Wetterexperimente: Geimpfte Wolken  und Geo Engineering Tatsächlich gibt es Methoden, das Wetter zu manipulieren: Manchmal werden Wolken geimpft, also von Jets mit Metallsalzen beschossen, um sie vor einem Großereignis (z.B.   Olympische Spiele) früher abregnen zu lassen. Manche Flugzeughersteller berieseln ihre Flieger in der Luft, um deren  Verhalten unter Vereisung zu studieren. Experten sind sich jedoch einig: All diese Techniken sind nicht für großflächige Manipulation geeignet – und auch die Methoden des  „Geo-Engineering“  (zum Beispiel  den Klimawandel mittels Schwefeldunst  zu bremsen) sind reine Gedankenspiele. Für eine systematische Vergiftung der Luft  gibt es nicht einen  Beleg. (kro)

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