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Fall Jens SöringDeutscher im US-Gefängnis: Doppelmörder oder Justizirrtum?

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Jens Söring vor Gericht in den späten 1980er-Jahren

Jens Söring vor Gericht in den späten 1980er-Jahren

Köln – Wie viele Briefe in den vergangenen Wochen ihren Weg von Deutschland nach Virginia gefunden haben – Bernadette Faber weiß es nicht. „Es mögen tausende sein.“ Seit November läuft die mittlerweile achte Briefwelle des „Freundeskreises Jens Söring“, dessen Mitglied sie ist. Das Ende der Aktion ist offen, das Ziel indes glasklar: Den in den USA inhaftierten deutschen Staatsbürger Jens Söring endlich freizubekommen. Seit mehr als 30 Jahren sitzt Söring in amerikanischen Gefängnissen – verurteilt zu zweimal lebenslänglich wegen Doppelmords. Am 30. März 1985 soll der damals 18-jährige Diplomatensohn im Städtchen Bedford County in Virginia die Eltern seiner damaligen Freundin Elizabeth mit Dutzenden Messerstichen ermordet haben.

Doch inzwischen gibt es berechtigte Zweifel an Sörings Schuld. Nicht seine, sondern die DNA zweier bislang unbekannter Männer wurde 1985 am Tatort gefunden. Das ergab im August 2016 eine Untersuchung des gerichtsmedizinischen Instituts von Virginia. Anfang Dezember 2016 fand in Richmond vor dem „Parole Board“, dem Bewährungsausschuss, eine Anhörung statt, in der die neuen Untersuchungsergebnisse präsentiert wurden und Söring dringlich um „Entlassung auf Bewährung“ bat. Es war sein nunmehr zwölfter Antrag seit 2003.

Dokumentarfilm „Das Versprechen“

Bundestagspräsident Norbert Lammert und 97 Bundestagsabgeordnete schickten zeitgleich zwei Schreiben an den Gouverneur von Virginia, Terence R. McAuliffe, in denen sie „ihre Sorge um die fortgesetzte Inhaftierung von Jens Söring“ zum Ausdruck brachten und die jüngsten Ermittlungsergebnisse ansprachen. Diese stärkten „die Glaubwürdigkeit von Jens Sörings Unschuldsbeteuerung“. Die Politiker verwiesen zudem auf den Dokumentarfilm „Das Versprechen“ von Marcus Vetter und Karin Steinberger, der im Herbst 2016 in die Kinos kam und zahlreiche Fehler bei den Ermittlungen aufdeckt. Seitdem seien viele Menschen in Deutschland in Sorge, dass hier ein Fehlurteil vorliege, so die Politiker. Man vertraue „auf eine faire und unvoreingenommene Neubewertung des Falls“.

Chuck Read, einer der damaligen Ermittler, hat sich inzwischen ebenfalls in die auch in den USA lebhaft geführte Debatte um Sörings mögliche Unschuld eingemischt. Er habe von Anfang Zweifel an der Täterschaft dieses „18 Jahre alten Kids“ gehabt, gab er in einem Interview für den Nachrichtenkanal NBC zu. Heute sei er davon überzeugt, dass Söring in der fraglichen Nacht gar nicht am Tatort gewesen sei.

Verändert hat all das gar nichts. Häftling 1161655 sitzt nach wie vor im „Buckingham Correctional Center“ von Dillwyn in Virginia.

Der Student lernt die zwei Jahre ältere Elizabeth Haysom im Herbst 1984 an der Universität von Virginia kennen. Die beiden werden schnell ein Paar. Nur wenige Monate später werden Elizabeths Eltern in ihrem Haus in Bedford County bestialisch ermordet. Die Täter haben Derek und Nancy Haysom mit mehr als 40 Messerstichen niedergemetzelt, ihre Köpfe sind fast vom Rumpf abgetrennt. Ein Schock sei der Anblick des Tatorts gewesen, erinnert sich Ermittler Reid. „Es war einfach abscheulich. Hier hatte offensichtlich jemand aus Hass gehandelt.“

Der Verdacht fällt schnell auf das junge Paar. Ein Jahr später werden Jens und Elizabeth nach einer abenteuerlichen Flucht über Thailand und Europa in London verhaftet. Beide gestehen die Morde zunächst, ziehen ihre Geständnisse jedoch bald zurück. Die junge Frau bekennt sich im August 1987 vor einem US-Gericht lediglich schuldig, ihren Freund zum Mord an ihren Eltern angestiftet zu haben. Sie wird zu einer Freiheitsstrafe von 90 Jahren verurteilt.

„Ich musste sie beschützen“

Auch Söring widerruft sein Geständnis. Er habe Elizabeth, die ihm die Tat noch in der fraglichen Nacht gestanden habe, vor der sicheren Todesstrafe bewahren wollen, erklärt er später wieder und wieder. „Ich musste sie beschützen. Ich dachte, ich sei ein Held und ein ganz toller Kerl.“ Zudem habe er geglaubt, der Diplomatenstatus seines Vaters, der zu dem Zeitpunkt Vizekonsul in Detroit war, schütze ihn. Er habe allenfalls mit einer fünf- bis zehnjährigen Jugendstrafe in Deutschland gerechnet. Ein folgenschwerer Irrtum. Fünf Jahre nach dem Doppelmord wird der inzwischen 24-Jährige nach jahrelangen juristischen Hickhack an die USA ausgeliefert und 1990 zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Eine Haftüberstellung nach Deutschland wird 2010 im letzten Moment abgelehnt.

Seitdem kämpft Söring, begleitet von einem stetig größer werdenden Kreis von Freunden und Unterstützern, gegen ein unerbittliches Rechtssystem, das auch nach 30 Jahren kein Pardon kennt. Einer von ihnen ist der Kölner Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich. „Nach meiner festen Überzeugung sollten die Verantwortlichen in den USA von ihren rechtsstaatlichen Möglichkeiten Gebrauch machen und Herrn Söring begnadigen“, sagt er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Auch Christoph Strässer, bis 2016 Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, steht auf Sörings Seite. Der Mann habe eine zweite Chance verdient, egal, ob er schuldig sei oder nicht. Wie Mützenich hat auch Strässer den Brief an Gouverneur McAuliffe unterzeichnet und sieht angesichts der neuen Beweislage erstmals einen kleinen Hoffnungsschimmer. „Wir bleiben dran. Jetzt erst recht.“

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