Germanwings-AbsturzLubitz' Eltern wollen weitere Ermittlungen erzwingen

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Grabstein Frankreich Germanwings

Inmitten von Blumen steht in Le Vernet in den französischen Alpen eine Gedenkstele – unweit der Absturzstelle.

Köln – „Ich hoffe.“ Das sind die letzten Worte des Germanwings-Piloten Andreas Lubitz, ehe der 27-Jährige am 24. März 2015 den Sinkflug von Flug 4U9525 einleitet. Elf Minuten später, um 9.41 Uhr, zerschellt der mit 150 Menschen besetzte Airbus an einem abgelegenen Felsmassiv in den südfranzösischen Alpen. Weder die 144 Passagiere noch die sechs Besatzungsmitglieder überleben das bislang größte Unglück in der Geschichte der zivilen Luftfahrt in Deutschland.

Auch zwei Jahre später bleiben viele Fragen zu den genauen Umständen der Katastrophe sowie zu der moralischen und juristischen Verantwortung für den Absturz offen. Fragen, die sich nicht nur Hunderte Hinterbliebene der 149 Absturzopfer stellen. Fragen, die auch Günter und Ulrike Lubitz umtreiben, die Eltern eben jenes Mannes, der nach bisherigen Erkenntnissen am 24. März 2015 für ein paar Minuten allein im Cockpit des Maschine saß und eine tödliche Entscheidung traf.

Experte hält Vorsatz-These für nicht haltbar

Sie laden an diesem Freitag, dem zweiten Jahrestag des Absturzes, zu einer Pressekonferenz nach Berlin ein. Sie seien der festen Überzeugung, heißt es in der Einladung, dass ihr Sohn eben nicht der „dauerdepressive Copilot“ sei, als der er seit zwei Jahren dargestellt werde. Es gebe vielmehr „bis heute viele bei der Aufklärung der Ursachen vernachlässigte Aspekte“.

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Im Juli 2016 beauftragte die Familie daher den Luftfahrtexperten Tim van Beveren mit weiteren Untersuchungen, um Belege für eine möglicherweise andere Absturzursache zu finden. Van Beverens Fazit nach acht Monaten Recherche: „Die These eines vorsätzlichen Massenmordes ist nicht haltbar.“ Es gebe „viele Dinge, die „absichtlich oder aber fahrlässig aus Inkompetenz heraus passend gemacht wurden“, sagt er in einem Gespräch mit der „Zeit“.

Der Vorstoß der Familie Lubitz befremdet nicht nur die Angehörigen der Opfer. Auch die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft zeigt sich überrascht. „An dem Umstand, dass wir von der alleinigen Verantwortung des Piloten für den Absturz ausgehen, hat sich nichts geändert“, erklärte Staatsanwalt Christoph Kumpa auf Anfrage.

Angehöriger: „Opulenter Grabstein war Schlag ins Gesicht“

Der Düsseldorfer Unternehmer Klaus Radner findet noch ganz andere Worte für das Vorgehen der Familie Lubitz. Der 62-Jährige verlor bei der Katastrophe seine Tochter Maria, eine bekannte Opernsängerin, und seinen 18 Monate alten Enkel. Auch der Lebensgefährte der Tochter starb bei dem Unglück. „Diese Menschen verleugnen die Wirklichkeit und wollen nicht wahrhaben, dass ihr Sohn ein Massenmörder ist.“

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Schon die Traueranzeige der Eltern und der opulente Grabstein für Andreas Lubitz seien ein Schlag ins Gesicht der Opferangehörigen gewesen. „Die erste Katastrophe für mich war der Tod meiner Kinder“, sagt Radner. „Die zweite, zu erfahren, dass ein Mensch daran schuld war. Die dritte Katastrophe war die Todesanzeige für Lubitz.“ Und jetzt also das. „Wie viel erträgt ein Mensch noch?“, frage er sich manchmal. Und: „Wie lange muss ich diese Provokationen noch aushalten?“

Auch zwei Jahre nach dem Absturz ist Radner in psychiatrischer Behandlung. Auf seinem Schreibtisch türmen sich Aktenordner und Untersuchungsberichte aus Frankreich und Deutschland. 14 Beweisanträge und rund 20 Strafanzeigen hat der Unternehmer bei der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft gestellt: gegen die Flugärzte der Lufthansa, gegen die behandelnden Ärzte des Piloten, gegen dessen Eltern und die Lebensgefährtin. „Sie alle haben gewusst, in welchem Zustand Lubitz war. Wieso hat keiner die Reißleine gezogen und gesagt: Flieg nicht?“

Co-Pilot gilt als einziger Schuldiger

Lubitz, seit 2014 im Einsatz für Germanwings und im Besitz eines bis August 2015 gültigen Tauglichkeitszeugnisses der Klasse 1, gilt nach jetzigem Erkenntnisstand als einziger Schuldiger an dieser beispiellosen Flugkatastrophe. Das Todesermittlungsverfahren ist inzwischen abgeschlossen, sämtliche Beweisanträge und Strafanzeigen der Opferfamilien wurden zurückgewiesen. Es gebe keine Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten einer noch lebenden Person, ließ Staatsanwalt Christoph Kumpa im Januar 2017 verlauten.

Lubitz steht schon früh in Verdacht, den Absturz der Maschine bewusst verursacht zu haben. Bereits am 25. März meldet die „New York Times“ unter Berufung auf französische Quellen, der Copilot habe den Kapitän aus dem Cockpit ausgesperrt und die Maschine absichtlich gegen einen Berg gesteuert. Einen Tag später lässt die Staatsanwaltschaft Düsseldorf Lubitz’ Elternhaus in Montabaur und seine Wohnung in Düsseldorf durchsuchen. Sie findet unter anderem eine Krankschreibung seiner Düsseldorfer Hausärztin Birgit R. bis einschließlich 30. März 2015 sowie Verpackungen von Psychopharmaka und Schlafmitteln.

Eine Mappe enthält Unterlagen von Besuchen bei mehreren Augenärzten und einem Psychiater. Daraus geht hervor, dass Lubitz seit Dezember 2014 unter massiven Seh- und Schlafstörungen leidet. Eine körperliche Ursache für seine Beschwerden lässt sich nicht finden. Die Ärzte vermuten daher eine psychosomatische Erkrankung.

Lubitz litt an schwerer Depression

Doch wie krank war der Pilot an diesem 24. März 2015 wirklich?

Unstrittig ist, dass Lubitz zwischen 2008 und 2009 an einer schweren Depression litt. Er musste deswegen seine Flugausbildung in den USA für mehrere Monate unterbrechen. Inzwischen gilt er zwar als geheilt, doch sein Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1 trägt seitdem einen Sondervermerk: Es wird nur dann um ein weiteres Jahr verlängert, wenn der Berufsanfänger psychisch gesund ist.

Es steht zu vermuten, dass Lubitz diese Bedingung Anfang 2015 nicht erfüllt: Allein zwischen dem 17. Februar und dem 18. März besucht er sechs verschiedene Ärzte, die ihm unter anderem Antidepressiva und angstlösende Medikamente wie Mirtazapin, Lorazepam und Escitalopram verschreiben.

„Drohende Psychose“ diagnostiziert Birgit R. am 10. März 2015 – und empfiehlt ihrem Patienten „dringend“ eine Psychotherapie. Noch am selben Tag stellt sie ihm eine Überweisung an eine Tagesklinik aus. Zwei Tage später schreibt sie ihn bis Ende des Monats krank. „Psychosomatischer Beschwerdekomplex: Somatoforme Störungen nicht näher bezeichnet“, steht auf der Krankschreibung, die Lubitz’ Arbeitgeber, die Lufthansa, nie erreichen wird: Die Ermittler finden sie zerrissen in seiner Wohnung. Elf Tage nach dem Arztbesuch ist Lubitz tot. Und mit ihm weitere 149 Menschen.

Vater will weitere Ermittlungen erzwingen

Nicht nur die französische Flugsicherheitsbehörde kommt in ihrem Abschlussbericht zu dem Schluss, dass Lubitz psychisch krank war. „Am Tag des Unfalls litt der Pilot an einer psychiatrischen Störung, die wahrscheinlich eine psychotisch depressive Episode war“, heißt es in dem mehr als 100 Seiten starken Untersuchungsbericht vom März 2016. Zu einer ähnlichen Einschätzung ist zuvor bereits die „Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung“ in Braunschweig gekommen, obwohl auch sie keine genaue Diagnose wagt. „Der Copilot litt zum Zeitpunkt des Unfalls an einer schweren psychischen Erkrankung.“

Günter Lubitz will jetzt weitere Ermittlungen erzwingen. Er ist nicht der Einzige, der auf neue Erkenntnisse hofft.

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