Abo

Interview mit Alexander Gerst„Jeder sollte die Erde von oben sehen“

Lesezeit 9 Minuten
Alexander Gerst

Alexander Gerst

Man muss nicht lange mit Alexander Gerst reden, um zu verstehen, warum er als elfter deutscher Astronaut ins All vorstoßen durfte.

Der 38-Jährige aus dem baden-württembergischen Künzelsau ist ein ruhender Pol inmitten aufgekratzter Journalisten, die ihn befragen wollen. Er nutzt seine liebenswerte Ausstrahlung, um glasklare Antworten zu geben. Großes Pathos liegt ihm nicht, der große Überblick dagegen schon. Schnell hat er sich den als Globus bedruckten Luftballon geschnappt, um anhand des aufblasbaren Modells die Dünne der Erdatmosphäre zu demonstrieren.

Das halbe Jahr, das er in 400 Kilometern Abstand zum Boden verbringen konnte, hat ihn gelehrt, wie winzig, verlassen und zerbrechlich wir unsere Bahnen um die Sonne ziehen.

Alexander Gerst, Sie haben immer wieder Bilder von Köln aus dem Weltall geschickt. Woher wussten Sie, wann der Dom in Sichtweite kam?

Wir haben den Bordcomputer so programmiert, dass er uns angezeigt hat, wenn ein von uns persönlich ausgesuchter Ort in Sicht kam. Dann muss man sich allerdings selbst orientieren. Bei Tag sind die Braunkohlefelder bei Garzweiler aus dem All gut sichtbar. Dann weiß man, wo Köln liegt. Manche kleine Orte, wie meine Geburtsstadt Künzelsau in Süddeutschland, sind nur schwer zu finden. Oft verliert man schon durch ein paar Wolken die Orientierung.

Wie oft hatten Sie Gelegenheit, am Fenster zu stehen?

Da gab es immer mal wieder fünf Minuten Gelegenheit zu. Wir haben die Erde insgesamt rund 2500 Mal umrundet. Die Bahn über der Erde war für die Heimatbeobachtung günstig, denn wir sind ziemlich oft über NRW hinweggeflogen. Ehrlicherweise muss ich aber sagen, dass wir noch häufiger über Hamburg waren als über Köln.

Haben Sie denn schon alle Fotos ausgewertet?

Nein. Ich habe vier Terabyte an Bildmaterial und konnte noch nicht aller Ordner sichten. Aber darauf freue ich mich. Bei vielen Bildern habe ich mir ja etwas gedacht. Vielleicht mache ich mal, wenn ich wieder Zeit habe, einen Bildband daraus.

Wie sehen die nächsten sechs Monate für Sie aus?

Alexander Gerst wurde am 3. Mai 1976 in Künzelsau in Baden-Württemberg geboren, ist promovierter Geologe, Geophysiker und Vulkanologe.

Bei einem Auswahlverfahren für Astronauten der europäischen Weltraumbehörde ESA konnte er sich gegen fast 8500 Mitbewerber durchsetzen.

Seit September 2009 trainierte Gerst für einen Aufenthalt in der Internationalen Raumstation (ISS) in Köln.

Am 28. Mai 2014 startete er schließlich in Baikonur mit einem Sojus-Flug zur ISS. Höhepunkt seines halbjährigen Aufenthalts im Orbit war ein sechseinviertelstündiger Außenbordeinsatz im Oktober. Am 10. November landete er schließlich wieder sicher in Kasachstan, mit der gleichen Sojus-Kapsel, die ihn ins All gebracht hatte.

Es gibt viel nachzuarbeiten. Es gibt interessante Experimente, bei denen ich das Versuchskaninchen bin, für die wir auch nach dem Flug noch Vergleichsdaten sammeln. Der Knochenschwund, der Raumfahrern im All widerfährt, ist mit einer akuten Osteoporose vergleichbar. Wir haben in der Schwerelosigkeit nach und nach herausgefunden, mit welchem Training man das vermeiden kann. Es gibt zum Beispiel Hinweise darauf, dass man den Knochenschwund im All dadurch bremsen kann, indem man weniger Salz isst. Von solchen Untersuchungen können Patienten auf der Erde direkt profitieren.

Und wann beginnt wieder der normale Alltag?

Was ist das? Mein Alltag hat sich schon immer permanent verändert, das wird auch in den nächsten Monaten so weiter gehen. Aber ich freue mich darauf, mehr Zeit mit meiner Familie und Freunden zu verbringen. Davon habe ich einiges verpasst, obwohl ich auch während des Trainings versucht habe, Zeit für meine Freunde zu finden, zum Beispiel bei Hochzeiten oder einfach ab und zu mal auf ein Bier in die Kneipe. Freundschaften waren mir immer sehr wichtig. Dieses Jahr verpasse ich leider Karneval, weil ich in Houston bin.

Träumen Sie eigentlich noch von der Zeit im All?

Es ist auf der einen Seite überraschend einfach gewesen, mich nach der Landung wieder an die Schwerkraft zu gewöhnen. Dazu trägt natürlich bei, dass es mir körperlich gut geht. Ich konnte im All durch viel Training sogar Muskelmasse aufbauen und war körperlich noch nie so fit wie jetzt. Auf der anderen Seite ist es manchmal so, als wäre ich aus einem Traum erwacht, als ob ich nie weg gewesen wäre, das ist dann fast ein wenig enttäuschend.

Sie sind als Star zur Erde zurück gekehrt – haben Sie sich daran gewöhnt?

Ich bin immer noch überrascht. Aber ich beziehe den Rummel nicht auf mich selbst. Ich glaube, dass die Leute von der Raumfahrt so begeistert sind, wie ich es bin. Deswegen sehe ich das entspannt.

Haben Sie nach einem halben Jahr im Orbit nun einen anderen Blick auf die Erde?

Die Sichtweise auf die Erde hat sich definitiv verändert. Dass ist so, wie wenn Sie nach vielen Jahren Ihren früheren Kindergarten besuchen. Da denkt man: Früher kam mir alles so unendlich riesig vor, aber jetzt fühlt dieser Ort sich so klein an. Ich habe realisiert, dass unser Planet wirklich klein ist.

Und zerbrechlich?

Man fliegt innerhalb von wenigen Minuten über Kontinente hinweg. Man sieht Hunderte Brände in Afrika, und dass der Amazonas abgeholzt wird. Von oben sieht man, dass die Asche und Luftverschmutzungen weit in die Atmosphäre getragen werden. Wir gehen nicht sehr achtsam mit unserer Heimat um. Es gibt nur diesen einen kleinen Planeten im All, auf dem wir Menschen leben können.

Sie sind also im All politischer geworden?

Ich sehe das nicht als politisch an. Das ist mehr eine humanistische Sichtweise. Die Erde kennt keine Grenzen. Die Erde interessiert es nicht, ob wir auf ihr leben. Selbst wenn wir Menschen unsere Umwelt zerstören – die Erde wird diese Zerstörung größtenteils abschütteln. Nur uns wird es dann nicht mehr geben.

Sie könnten als Symbolfigur für den Klimaschutz werben…

Ich möchte nicht als Moralapostel auftreten. Das ist nicht meine Aufgabe. Ich bin Wissenschaftler und Mensch, der zusätzliche Perspektiven vermittelt. Ich würde mir wünschen, dass jeder Mensch einmal die Erde mit seinen eigenen Augen von oben sehen könnte. Ich bin mir sicher, das verändert unseren Umgang mit den Dingen. Das sollte sich jeder Teilnehmer einer Klimaschutzkonferenz mal ansehen. Man sieht, wie der Sand von der Sahara über den Atlantik driftet. Das ist eine riesige gelbe Wolke in gelb und orange. Die geht bis Brasilien rüber. Da wird einem klar, dass wir beim Klimaschutz weltweit Verantwortung tragen.

Sie haben von oben gesehen, wie der Mensch die Umwelt zerstört. Macht Sie das zum Pessimisten?

Ich bin generell kein Pessimist. Der Mensch ist geboren, um Probleme zu lösen. Wir versuchen das ja mit der Raumfahrt. Die ESA hat viele Umweltbeobachtungssatelliten, wir messen zum Beispiel sogar die Höhe von Ozeanwellen von der ISS aus. Ich kann dennoch nicht sagen, ob wir die Kurve kriegen. Ich bin kein Prophet. Es liegt an uns, wir müssen jetzt die richtigen Entscheidungen treffen.

Glauben Sie, dass es im All irgendwo sonst noch Leben gibt?

Das ist eine der interessantesten Fragen, die ich mir vorstellen kann. Das würde ich als Wissenschaftler gerne herausfinden. Sollten wir zum Beispiel auf dem Mars schon kleinste Spuren finden, dann bedeutet das, dass das Universum vor Leben nur so blüht. Es gibt mehr Sterne als Sandkörner auf der Erde. Wenn es nur auf jedem Millionsten Leben gäbe, dann hätten wird schon eine gewaltige Anzahl von Kulturen und Lebensformen.

Wann haben Sie zum ersten Mal so weit hinaus geblickt? Als Kind, beim Gucken von Science-Fiction-Serien wie „Raumschiff Enterprise“?

Ich war eher Fan von „Captain Future“. Aber im Ernst: Mich hat „Enterprise“ fasziniert, aber die Handlung spielte mir zu weit in der Zukunft. Mich hat Science-Fiction immer dann interessiert, wenn Innovationen zu sehen waren, die man wirklich vielleicht einmal umsetzen kann. Ich glaube nicht, dass Beamen irgendwann funktioniert.

Urknall oder Schöpfung – woran glauben Sie?

Das klingt so, als ob es nur zwei Möglichkeiten gäbe. Fakt ist, wir wissen nicht, wie unsere Welt entstanden ist, egal ob mit oder ohne Urknall. Eines der spannendsten Themen der Wissenschaft. Ich würde gerne mehr darüber herausfinden.

Sie haben an Bord der ISS eine rekordverdächtige Zahl an Experimenten durchgeführt. Sie sind promovierter Vulkanologe, haben Sie alle Experimente aus anderen Fachgebieten verstanden?

Nein. Wir haben mehr als 100 Experimente gemacht. Bei manchen war ich sehr involviert, bei anderen musste ich nur eingreifen wenn etwas schief lief. Wissenschaftlich konnte ich mich in viele der Experimente nicht einarbeiten mangels Zeit, das ist jedoch für die Durchführung auch nicht notwendig. In jedem Fall wurde klar, wie wichtig der Mensch in der Raumfahrt ist.

Warum?

Wir hatten beim elektromagnetischen Schmelzofen ein Problem. Ein Sicherungsbolzen, der an einer delikaten Stelle saß, hat geklemmt. Wäre das auf einem unbemannten Satelliten passiert, wäre das Experiment gescheitert. So konnten wir jedoch mit Hilfe der Bodenkontrolle eine Lösung improvisieren. Das Problem war, dass beim Sägen keine Metallspäne herumfliegen durften, weil die einen Kurzschluss hätten verursachen können. Ich habe das Problem dadurch gelöst, dass ich den Bolzen vor dem Sägen mit meinem Rasierschaum eingeschmiert habe, an dem dann die Späne festgeklebt sind.

Haben Sie nie befürchtet, dass ein Unfall auf der ISS Ihre Rückkehr zur Erde verhindern könnte?

Die Übung von Notfällen ist ein großer Teil des Trainings. Wir haben immer die Option, mit der stets startbereiten Rettungskapsel in ein paar Stunden zur Erde zurückzukehren, falls es zum Beispiel katastrophal brennen sollte. Angst hatte ich deshalb nicht. Die meisten Probleme lassen sich schnell lösen.

Gab es denn welche?

Nur kleinere. Wir hatten mal einen Feueralarm, weil im russischen Teil der ISS die Spule eines Wasserheizers durchgebrannt war. Das hatten wir schnell im Griff – man musste bei dem Gerät nur den Strom abstellen.

Könnte die Rettungskapsel auch wie im David-Bowie-Song in die Unendlichkeit des Alls abdriften?

Nein. Das macht die Gravitation der Erde unmöglich. Soviel Treibstoff, um der Erdanziehung komplett zu entkommen, haben wir nicht dabei.

Träumen Sie denn davon, einmal weiter rauszufliegen?

Sicher. Der Flug zum Mars wäre das größte Abenteuer der Menschheit. Wir sollten allerdings zunächst erst noch mal zum Mond fliegen, um zu testen, ob wir längere Zeit auf einem anderen Planeten bleiben können, um dort Wissenschaft zu betreiben. Wir müssen jetzt die Weichen für eine Mars-Mission stellen.

Die Amerikaner haben Ihr Shuttle-Programm eingestellt. Muss man nicht befürchten, dass eine Mars-Mission dem Rotstift zum Opfer fällt?

Im Gegenteil. Durch das Ende des Shuttle-Programm sind Mittel freigeworden. Diese Ressourcen gegen jetzt in das Orion-Programm der NASA. 2021 soll das Modul bemannt um den Mond fliegen, hoffentlich mit einem europäischen Antriebsmodul und einem ESA-Astronauten an Bord.

Das Gespräch führten Jutta-Eileen Radix, Irene Meichsner, Lutz Feierabend und Christian Bos

KStA abonnieren