Magersucht #Recovery„Kein Ersatz für eine Therapie“

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Judith Müller, Psychotherapeutin, 36 Jahre, behandelt Anorexie-Patienten in der Christoph-Dornier-Klinik für Psychotherapie in Münster.

Judith Müller, Psychotherapeutin, 36 Jahre, behandelt Anorexie-Patienten in der Christoph-Dornier-Klinik für Psychotherapie in Münster.

Wie kann die Netzgemeinschaft helfen, von der Magersucht loszukommen?

Ich finde die Idee gut, dass die Leute, die die Krankheit überwunden haben und wieder gesund sind, solche Bilder posten und Ermunterungen schreiben. Damit zeigen sie, dass Essen halt auch mit Genuss zu tun hat und sie ihren Körper wieder akzeptieren. Das ist eine gute Sache, weil wir auch hier in der Klinik immer wieder sehen, dass Betroffenenberichte und Erfahrungen von anderen Patienten wirklich sehr motivieren durchzuhalten und sich der Essstörung zu stellen.

Kann das eine Gruppentherapie ersetzen?

Meiner Meinung nach kann das nur als ein Unterstützungsmechanismus dienen, ersetzt aber keine Psychotherapie. Eine Psychotherapie besteht nicht nur aus Gruppentherapien, sondern auch aus intensiver Einzeltherapie, die sehr wichtig ist, um die Hintergründe der Essstörung aufzuarbeiten. Vielen reicht dieses zugerufene „Mensch, akzeptier doch deinen Körper so wie er ist!“ eben nicht. Das kann motivieren, eine Therapie zu beginnen, es ersetzt sie aber nicht. Vor allem eine Einzeltherapie ist aus meiner Sicht sehr wichtig.

Was sind die Schattenseiten einer solchen Darstellung?

Positiv ist natürlich die Botschaft: „Ich esse wieder“, „Ich verbiete mir nichts mehr und habe Spaß am Leben.“ Kritisch finde ich aber, dass der Fokus des Accounts schon sehr auf dem Essen und wenig auf anderen Lebensbereichen liegt. Das wirkt irgendwie auch leicht gestellt und teilweise zu plakativ. Darüber hinaus glaube ich, dass die Inhaber der Accounts oft immer noch sehr dünn sind. Das zeigt aber nur, dass der Weg aus der Essstörung heraus oft ein langer ist.

Kann es gefährlich sein, dass sich die Patienten immer noch stark mit Essen auseinandersetzen?

Betroffene haben, auch wenn sie im Gesundungsprozess sind, ohnehin immer eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Essen als andere. Zum Beispiel durch Essenspläne: Damit kriegen sie einen Orientierungsrahmen, was sie täglich essen dürfen und was gesund ist. Kritisch wird es, wenn Essen wieder das Hauptthema wird. Es ist wichtig, dass die Patienten sehen, dass es andere Themen gibt als Essen, Aussehen, Gewicht und Kalorien.

Was können Angehörige oder die Familie tun, um Recovery-Patienten zu unterstützen?

Sie können immer wieder Mut machen, Gespräche führen und Rückmeldungen geben, wenn ihnen etwas auffällt, sowohl kritisch als auch positiv. Vielleicht sollten Angehörige schauen, dass man Mahlzeiten gemeinsam einnimmt und, dass man Vorbild ist für normale Ernährung und Spaß am Essen. Angehörige sollten ein gesundes Verhältnis zum Körper und zum eigenen Selbst auch vorleben.

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