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Schutz vor QuallenTentakel müssen draußen bleiben

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Zwei Millionen Badende kommen jedes Jahr allein im Mittelmeer in Berührung mit den Nesselzellen von Quallen.

Zwei Millionen Badende kommen jedes Jahr allein im Mittelmeer in Berührung mit den Nesselzellen von Quallen.

Rom – Sie sind weiß, zartrosa gefärbt oder bläulich bis lila, immer geleeartig und glibberig, und man sollte zur Sicherheit die Flucht ergreifen, wenn man ihnen im Meer begegnet: Quallen. Zwei Millionen Badende kommen jedes Jahr allein im Mittelmeer in Berührung mit den Nesselzellen dieser Meerestiere, deren Gift sehr schmerzhafte Hautreizungen auslöst. Mindestens 150 000 Menschen jährlich müssen im Mittelmeer-Raum wegen solcher Verletzungen medizinisch behandelt werden.

Ab September werden nun erstmals testweise an Badestränden in Italien, Spanien, Tunesien und Malta Schutzzäune installiert. Sie sind zwischen 25 und 100 Meter lang, reichen zwei Meter unter die Wasseroberfläche und bestehen aus dem gleichen Material wie Fischernetze, aber mit weit größeren Maschen. So sollen sie die glibberigen Plagegeister fernhalten und Fischen genügend Schlupflöcher bieten.

Organisiert hat die Netz-Initiative das europäische Projekt Med-Jellyrisk, ("Mediterranes Quallen-Risiko") unter Leitung von Wissenschaftlern der süditalienischen Universität Salento. "Wir konnten beobachten, dass die Zahl der Quallen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen ist", sagt der Biologe und Koordinator des Projekts, Stefano Piraino. In diesem Sommer stagniert sie zwar, dafür sind vor Spanien weitaus größere Exemplare als sonst aufgetaucht, sagt Piraino. Es sind vor allem Vertreter der häufigsten Nesselqualle, der durchsichtig-malvenfarbenen und mit bis zu einem Meter langen Tentakeln ausgestatteten Leucht- oder Feuerqualle (Pelagia noctiluca).

Vor Katalonien und Valencia wurden Quallenbänke von mehreren Kilometern Länge beobachtet. In Israel, Libanon und in der Südtürkei ist dagegen die stark nesselnde Nomadenqualle (Rhopilema nomadica), die bis zu eineinhalb Meter groß wird und bis zu 50 Kilogramm wiegen kann und eigentlich aus dem Indischen Ozean stammt, zum Problem geworden. Erstmals wurde sie in diesem Sommer auch im Golf von Tunis und vor Sizilien gesichtet.

Zwar gibt es im Mittelmeer keine tödlichen Arten wie in Australien, von wo die Idee der Schutzzäune stammt. Aber harmlosere Quallen richten auch großen wirtschaftlichen Schaden an, sagt Piraino. Jede Behandlung eines Verletzten kostet etwa in Italien im Schnitt 226 Euro. "Das geht alljährlich in die Millionen", sagt Piraino. Auch das Tourismusgeschäft leidet. "Auf der Insel Lampedusa zum Beispiel können die Leute an manchen Stränden nur wenige Tage im Sommer schwimmen", sagt Piraino. "Eine Familie, die wegen der Quallen nicht baden konnte, kommt mit Sicherheit nicht wieder."

Schutznetze gegen Quallen sind laut Piraino auch an Nord- und Ostsee denkbar. In der Nordsee etwa ist die bis zu ein Meter große Gelbe Haarqualle weit verbreitet.

Quallen-Plagen sind schon seit der Antike bekannt und gehören zur normalen Funktionsweise der Ozeane, heißt es in einem Bericht der UN-Fischereikommission. Doch dass sie sich in den vergangenen Jahren zumindest im Mittelmeer so stark vermehrt haben, sei wohl auf die Klimaerwärmung und die Überfischung der Meere zurückzuführen. Ihre natürlichen Feinde - etwa Thun- und Schwertfische - sind durch den Fischfang erheblich dezimiert. Umgekehrt sorgen aber die Quallen auch dafür, dass das fischarme Mittelmeer noch leerer wird. Sie konkurrieren mit kleineren Fischen um Futter und ernähren sich von Eiern und Larven von Sardinen, Sardellen und Schwertfischen, sagt der Biologe Piraino.

Quallen zerstören Lachskultur

Das ist auch in anderen Meeren ein Problem. In Nordirland etwa habe eine riesige Kolonie Feuerquallen eine Aquakultur von 100 000 Lachsen zerstört, sagt Piraino - ein Schaden von 1,5 Millionen Euro. "Die Netze sind nur ein kleiner Teil unseres Projekts", betont der Biologe. "Wir wollen dafür sorgen, dass die Bürger besser aufgeklärt werden, etwa durch Warntafeln und Broschüren. An Stränden sollen Erste-Hilfe-Sets und geschulte Einsatzkräfte bereitstehen. Außerdem arbeiten sie an einer Art Frühwarnsystem. Quallen-Schwärme im Mittelmeer sollen überwacht werden, um dann mit Hilfe mathematischer Modelle zu errechnen, wohin die Strömungen sie in den nächsten 48 Stunden bewegen werden. Eine Art Quallen-Vorhersage also.

Med-Jellyrisk hat schon eine Smartphone-App entwickelt (iMedJelly), mit der Schwimmer, Fischer und Kapitäne Quallen-Sichtungen melden können.

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