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Vor 50 JahrenKathrine Switzer nahm trotz Frauen-Verbot an Boston-Marathon teil

Lesezeit 4 Minuten
Der Rennleiter versucht, Kathrine Switzer aus dem Rennen zu drängen. Ihr Freund greift erfolgreich ein.

Der Rennleiter versucht, Kathrine Switzer aus dem Rennen zu drängen. Ihr Freund greift erfolgreich ein.

Köln – Wenn das Wetter besser gewesen wäre, dann wäre es zu dem legendären Lauf möglicherweise gar nicht gekommen. Die Journalismus-Studentin Kathrine Switzer war 20 Jahre alt, als sie sich 1967 entschloss, beim Boston Marathon mitzulaufen – obwohl bei solchen Rennen damals keine Frauen zugelassen waren. Ihnen wurde es nicht zugetraut, eine Strecke von 42 Kilometern am Stück zu laufen – sogar Ärzte meinten, die Gefahr für Fruchtbarkeit und den zarten weiblichen Körperbau sei zu groß. Und überhaupt sei ein solcher Ausdauersport zu maskulin. Was auch viele Frauen dachten.

Kathrine Switzer wollte das nicht einsehen. Sie meldete sich geschlechtsneutral als K.V. Switzer offiziell an und bekam eine Startnummer – die 261. Der 19. April war ein eiskalter, windiger Tag. Es flogen sogar ein paar Schneeflocken. Switzer trug ihr Haar offen, hatte Lippenstift und Eyeliner aufgetragen. „Ich trug sehr nette Shorts und ein schönes Top“, erzählt sie. „Ich wollte gut aussehen.“ Weil es aber so kalt war, hatte sie ihren schlabberigsten Trainingsanzug darübergezogen. „Den wollte ich dann beim Rennen einfach ausziehen.“

Rennleiter wurde wütend

In ihrem grauen Outfit ging sie zunächst in der Masse unter. „Ich wurde nicht sofort als Frau erkannt und so nicht schon an der Startlinie rausgezogen. Das war vielleicht mein Glück.“ Man ließ sie unbehelligt laufen – jedenfalls bis zur Zwei-Meilen-Marke, etwa 3,2 Kilometer.

Dann kam von hinten ein Wagen mit den Offiziellen. „Der Rennleiter sah, dass ich eine Frau bin und wurde furchtbar ärgerlich. Er hat richtig die Nerven verloren.“ Er stieg vom Fahrzeug und versuchte, Switzer mit Gewalt aus dem Rennen zu drängen. Doch neben Switzer lief ihr damaliger Freund und späterer Ehemann, ein großer, schwerer American-Football-Spieler. Der rammte den Offiziellen mit einer gezielten Schulterattacke von der Straße. Durch einen Riesenzufall war ausgerechnet der Wagen mit den Pressefotografen vor der Gruppe. Die Szene wurde vielfach dokumentiert. „Ein sehr schlechtes Timing für die Rennleitung, aber ein tolles Timing für die Geschichte des Frauensports“, sagt Switzer heute.

Doch trotz aller Freude: Sie musste den großen Rest des Marathons noch durchhalten. Der Adrenalinschub durch den Zwischenfall ebbte bald ab. „Ich durfte nicht aufgeben, denn dann hätten mich alle für einen Clown gehalten, der sich in eine Veranstaltung gedrängt hat. Ich musste zeigen, dass Frauen die Strecke schaffen.“

42 Kilometer und noch mehr

Switzer war gut vorbereitet. Sie hatte mit zwölf Jahren mit dem Lauftraining angefangen. Sie spielte Feldhockey in der High School. Ihr Trainer, der schon 15-mal den Boston Marathon gelaufen war, hatte ihr immer wieder Wundervolles von dem ältesten Stadtmarathon der Neuzeit erzählt. Aber selbst er traute ihr die Strecke zunächst nicht zu. Bis sie beim Training mal locker 42 Kilometer lief und noch acht dranhing, weil sie sich so gut fühlte. „Melde dich an!“, war seine Reaktion.

Kathrine Switzer hielt durch und kam nach vier Stunden und 20 Minuten ins Ziel. Ihr Freund und rettender Mitläufer eine Stunde später. Danach wurde sie von einer Riesenwelle an Reaktionen überschwemmt. Es gab Beschimpfungen, aber mehrheitlich Solidaritätsbekundungen. Das Foto vom Gerangel mit dem Rennleiter ging um die Welt und wurde vom „Time Life Magazine“ in die „Liste der 100 Fotos, die die Welt veränderten“ aufgenommen.

Switzer holt Frauen auf die Laufstrecken

Ihre Pioniertat war Initialzündung für Frauenläufe. 1972 wurde der Boston Marathon für Frauen geöffnet. Der Rennleiter, sagt Switzer, habe sich nie wirklich bei ihr entschuldigt. Aber 1973 gab er ihr, als sie nun erlaubterweise an der Startlinie stand, einen Kuss. Die beiden sind heute gut befreundet.

1974 gewann Switzer den New York City Marathon in drei Stunden und sieben Minuten. Das sei ihr größter sportlicher Erfolg gewesen, sagt sie. Wettkampfmäßig sollte sie sich noch weiter steigern. Aber vor allem habe sie das Boston-Erlebnis in jeder Hinsicht „fearless“ (furchtlos) gemacht. Die heute 70-Jährige ist seit vielen Jahren eine gefragte Rednerin, Sportkommentatorin und Autorin. Mit ihrer Organisation „261 Fearless“ unterstützt sie den Frauensport. 39 Marathon-Läufe hat sie inzwischen hinter sich. Dienstag nach Ostern kommt der nächste dazu. Dann ist sie zum 50. Jahrestag ihres legendären Laufes in Boston wieder dabei.

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