Hochschul-BildungTausende Studienplätze bleiben jedes Jahr unbesetzt

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Berlin – So wie bisher darf es auf keinen Fall weitergehen, findet Kai Gehring. „Seit Jahren erleben wir beim Hochschulzulassungssystem eine skandalöse organisierte Verantwortungslosigkeit“, kritisiert der hochschulpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Und er fordert: „Der Bund als Wächter unseres Hochschul- und Wissenschaftssystems muss seine Zuschauertribüne endlich verlassen und eingreifen.“

Worum geht es? Tausende Studienplätze bleiben jedes Jahr unbesetzt – und das, während zugleich Bewerber bei der Studienplatzvergabe leer ausgehen. Allein im vergangenen Wintersemester sind bundesweit mehr als 21.000 Bachelor- und Masterplätze nicht vergeben worden, wie eine Umfrage des ZDF-Magazins „Frontal 21“ bei den Kultusministerien aller Länder ergab. Und Bildungsexperten gehen davon aus, dass das Problem fortbesteht.

Nicht alle nutzen Online-Anmeldeverfahren

Eine der Ursachen für unbesetzte Plätze liegt in der mangelnden Teilnahme der Hochschulen am Dialogorientierten Serviceverfahren (DoSV). Für dieses Verfahren registrieren sich Studienanwärter bei der Internetplattform hochschulstart.de, die den Stand der Bewerbungen und die Entscheidung mitverfolgt. Auf diese Weise hat die Datenbank stets unmittelbar die Information, wer bereits einen Studienplatz hat und wer nicht. So kann verhindert werden, dass ein Bewerber mehrere Plätze erhält – und dafür andere gar keinen. So weit zumindest die Theorie.

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In der Praxis bieten gerade mal 89 von 180 der infrage kommenden Hochschulen Studienplätze über „hochschulstart.de“ an. Und das oft nur für einen Teil der zulassungsbeschränkten Studiengänge. Die angehenden Studenten können sich also bei einem Teil der Hochschulen mittels der Datenbank bewerben. Und zusätzlich dann noch parallel direkt bei anderen Universitäten und Fachhochschulen, die eben nicht an dem Verfahren teilnehmen. Die Folge: Immer dann, wenn Bewerber auf diesen unterschiedlichen Wegen mehrere Zusagen erhalten und die ungenutzten Plätze nicht rasch absagen, besteht die Gefahr, dass diese am Ende frei bleiben. Dann geschieht exakt das, was das computergestützte System eigentlich verhindern sollte.

Die Empörung über den Missstand ist groß

Der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Andreas Keller, glaubt, nicht jede Universität habe ein wirkliches Interesse daran, dass alle Studienplätze besetzt sind – angesichts der oft knappen Kapazitäten an Platz und Personal. „Die Hochschulen pochen auf ihre Autonomie – aber die ist doch nicht wichtiger als das Recht der jungen Menschen auf Bildung“, sagt er dieser Zeitung. Keller fordert, der Bund müsse eingreifen und die Hochschulen per Gesetz zur Teilnahme am DoSV zwingen.

Dabei liegt eine Wurzel des Problems im Streit um die Finanzierung. Die Länder wollten die Kosten den Hochschulen aufbürden, sagt Holger Burckhart, Vize-Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Universitäten und Fachhochschulen müssten ohne zusätzliche Belastungen bleiben, fordert er. Burckhart verweist aber auch darauf, es könne nie eine vollständige Nutzung aller Studienplätze geben. „Naturgemäß sind Angebot und Nachfrage nicht komplett deckungsgleich.“

Bundesländer müssen mehr Druck ausüben

Die Stiftung für Hochschulzulassung, die für hochschulstart.de zuständig ist, verweist zudem darauf, dass etwa Master-Studienplätze generell nicht über das DoSV vergeben werden. Die mangelnde Teilnahme an der Datenbank ist also nicht für jeden unbesetzten Studienplatz verantwortlich. Und doch gibt es ein erhebliches Problem: Solange viele Hochschulen sich verweigern, kann das Verfahren seine Wirkung nicht entfalten.

Die kritische Masse sei noch nicht erreicht, sagt der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Ernst Dieter Rossmann. Die Bundesländer müssten gegenüber den Hochschulen Druck aufbauen – für eine verbindliche Teilnahme. Der Grüne Kai Gehring fordert, Bundesbildungsministerin Wanka (CDU) müsse sich für eine Lösung stark machen. Dass Deutschland kein flächendeckendes verlässliches Zulassungsverfahren für alle Hochschulen habe, sei „schlicht peinlich und fahrlässig gegenüber den Studieninteressierten“.

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