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„Werde als Terrorist bezeichnet“Deutscher Lehrer wird zum Spionage-Opfer der Ditib

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Schwerer Vorwurf, klare Indizien: Ditib-Prediger legten Dossiers über vermeintliche Anhänger der Gülen-Bewegung an. Darunter sind auch fünf Lehrer aus NRW.

Schwerer Vorwurf, klare Indizien: Ditib-Prediger legten Dossiers über vermeintliche Anhänger der Gülen-Bewegung an. Darunter sind auch fünf Lehrer aus NRW.

Düsseldorf – Den Termin in einer Fachabteilung des NRW-Schulministeriums an der Völklinger Straße in Düsseldorf hatte Yilmaz E. (Name geändert) eigentlich ausgemacht, um mit den Experten über ein Thema aus seinem Schulalltag zu sprechen: Darüber, dass die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) immer häufiger den Versuch unternehme, an staatlichen Schulen Einfluss auf den Religionsunterricht zu nehmen.

Yilmaz E., Deutscher mit türkischen Wurzeln, ist verbeamteter Lehrer unter anderem für islamischen Religionsunterricht an einer ganz normalen Schule im Ruhrgebiet. Seit einiger Zeit organisiert er mit etlichen Kollegen Seminare, um Lehrern Hilfen an die Hand zu geben, Radikalisierungstendenzen und politische Einflussnahmen auf Schüler besser zu erkennen. Schon deshalb ist Yilmaz E. ein wichtiger Gesprächspartner für die Fachleute im Schulministerium. „Wir wurden immer wieder aus dem Umfeld der Ditib verleumdet und haben das Ministerium darauf hingewiesen. Da geschehen gerade Dinge, die nicht in eurem Sinne und im Sinne des islamischen Religionsunterrichts sind. Ich wurde daraufhin nach Düsseldorf eingeladen, um eine Einschätzung abzugeben.“

Das Gespräch nimmt eine unerwartete Wende. Der Vertreter des Schulministeriums teilt dem völlig verdutzten Yilmaz E. mit, dass sein Name auf einer jener Spitzel-Listen steht, die Ditib-Imame im Auftrag der türkischen Religionsbehörde Diyanet erstellt haben. Listen, von denen sich die Erdogan-Regierung nach dem gescheiterten Putschversuch in der Nacht zum 16. Juli 2016 erhofft, an detaillierte Informationen über mögliche Anhänger der Gülen-Bewegung im Ausland gelangen. Die Ditib ist der Religionsbehörde in Ankara unterstellt, ihre Prediger werden vom türkischen Staat bezahlt.

„Ich werde diffamiert und denunziert“

Ein deutscher Beamter, der vom türkischen Staat auf deutschem Boden bespitzelt wird? Ist das nur ein krasser Einzelfall? Mitnichten. Das Gespräch in Düsseldorf bekommt plötzlich einen völlig anderen Charakter, wird zu einer offiziellen Gefährdeten-Ansprache. „In diesem Papier, das ich leider nicht zu Gesicht bekommen habe, werde ich als so eine Art Terrorist bezeichnet“, sagt Yilmaz E. „Man hat mir gesagt, ich müsse mir keine Sorgen machen, so lange ich nicht in die Türkei reise. Den Namen des Spitzels hat man mir auf mehrfache Bitte hin aber nicht genannt.“

Insgesamt stehen laut Schulministerium fünf Lehrer aus Nordrhein-Westfalen in den Berichten, die Ditib-Prediger nach Ankara geschickt haben. Auch die anderen wurden inzwischen über die Bezirksregierungen informiert und durch die jeweils zuständigen Kriminalinspektionen der Polizei von Mitarbeitern des Staatsschutzes gewarnt, besser nicht mehr in die Türkei zu fahren.

Auch diese Lehrer wissen nicht, wer ihre Namen verbunden mit Mutmaßungen über ihre politische Einstellung weitergegeben hat. Für Yilmaz E. ist das ein Skandal. „Ich wollte den Namen wissen, um Strafanzeige zu stellen. Es geht schließlich um mein Leben und das meiner Familie. Ich werde diffamiert und denunziert. Das muss doch strafrechtliche Folgen haben.“

Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ bestätigt das NRW-Innenministerium, dass dem Verfassungsschutz des Landes die Berichte der Religionsattachés der Generalkonsulate Düsseldorf, Köln und München an die staatliche Religionsbehörde Diyanet vorliegen. Darüber hatte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ bereits am 16. Dezember 2016 berichtet. „Ob darüber hinaus weitere Berichte existieren, ist hier nicht bekannt.“ In den Dossiers seien insgesamt 28 Personen und elf Institutionen aus NRW namentlich genannt. Alle seien informiert worden und hätten so genannte Gefährdeten-Ansprachen erhalten. Das Problem: Der Name von Yilmaz E. taucht in keinem der Berichte auf, die dieser Zeitung vorliegen. Es muss also weitere Dossiers geben – oder die bisher bekannten sind möglicherweise unvollständig.

Rot-grüne Landesregierung hält an Zusammenarbeit fest

Yilmaz E. vermutet, dass auch ein Bericht für den Konsulatsbereich Essen existieren muss, zu der alle Ditib-Moscheen zwischen Essen und Soest gehören. Für ihn ist das die einzige Erklärung dafür, wie sein Name nach Ankara übermittelt wurde. Belegen kann er das nicht. Bei der Durchsicht der Unterlagen, die bereits öffentlich geworden sind, sei ihm aber aufgefallen, dass „die Wortwahl und Formulierung der Imame sehr gleich klingen. Ich vermute, dass die Imame entweder darin geübt sind oder Vorlagen hatten, an denen sie sich orientiert haben. Beides würde darauf hinweisen, dass es sich um eine vorsätzliche und systematische Spionagetätigkeit handelt und nicht, wie von der Ditib immer wieder beteuert, um eine spontane Aktion von einigen wenigen Imamen“. Yilmaz E. sieht die Religionsattachés der Generalkonsulate in der Verantwortung. Die Prediger seien nur ausführende Organe, die mit Strafversetzung rechnen müssten, wenn sie die Anweisungen der Religionsbehörde Diyanet nicht befolgten. „Die geraten schnell unter Druck.“

Dass den „gefährdeten Personen“ die Klarnamen der Spitzel nicht mitgeteilt werden, hat nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ den Grund des Quellenschutzes. „Die Betroffenen können aber sicher sein, dass ihre Strafanzeigen mit großer Sorgfalt und Ernsthaftigkeit bearbeitet werden, auch wenn sie gegen Unbekannt gestellt wurden“, sagt ein Insider. Offenbar werden alle Informationen um den Spitzelskandal beim Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln zusammengeführt und zentral bearbeitet.

Das Thema Spitzeldienste war bereits am 11. Januar auf der Tagesordnung der Landesregierung. Zu einem Gespräch trafen sich an diesem Mittwoch unter Leitung von Staatssekretär Thorsten Klute im NRW-Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales hochrangige Vertreter mehrerer Ressorts der Landesregierung mit der Spitze des NRW-Landesverbands der Ditib. Dort seien „Sorgen und Erwartungen“ deutlich formuliert worden, sagte ein Ministeriumssprecher anschließend. Die rot-grüne Landesregierung werde aber an der Zusammenarbeit festhalten, die Ditib könne im Beirat für den islamischen Religionsunterricht bleiben. Im vergangenen Jahr hatte das Innenministerium des Landes dagegen die Kooperation mit der Ditib bei einem Salafismus-Präventionsprogramm in Köln beendet.

Volker Beck stellte Strafanzeige

Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck hat laut Bundeskriminalamt bereits Strafanzeige beim Generalbundesanwalt wegen des Verdachts der Spionage zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland gestellt, die am 22. Dezember eingegangen ist.

Der Bundestag wird sich in dieser Woche mit den Spionagevorgängen befassen. Dabei wird es auch darum gehen, ob es seit den ersten Berichten in der türkischen Presse auch Vertuschungsaktionen der Ditib gegeben hat. „Haben die Verzögerungen bei den Ermittlungen ermöglicht, dass die Spione das Land verlassen haben?“, fragt Beck. Er fordert Innenminister Thomas de Maizière dazu auf, die Ditib anzuweisen, „alle Informationen über Spionage und Spione der Ditib an die deutschen Behörden zu übergeben“. Andernfalls müsse man den Sitz der Ditib in der Islamkonferenz ruhen lassen.

Fragen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ an den Ditib-Generalsekretär Bekir Alboga, ob es zu Spitzel-Aktivitäten auch gegen Lehrer für islamischen Religionsunterricht gekommen sei und welche Konsequenzen aus der Spionage-Affäre gezogen worden seien, ließ dieser im Detail unbeantwortet. Die Vorwürfe würden ernst genommen und weiterhin untersucht, teilte Alboga schriftlich mit. Die Religionsbehörde Diyanet in Ankara habe ausdrücklich der Öffentlichkeit gegenüber zugesichert, „dass Dienste außerhalb der religiösen Betreuung der Muslime von Imamen nicht erwartet werden. Wir sind weiterhin um transparente Aufklärung bemüht.“

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