Anspruch auf Kita-PlatzWunsch und Wirklichkeit liegen weit auseinander

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Notstand bei Kitas

Viele Eltern versuchen vergeblich, einen Platz in einer Kindertagesstätte zu finden.

Berlin – Leipzig,  ein Samstagmorgen Mitte Mai: Rund 450 Mütter und Väter stehen Schlange vor einer Kita, die noch nicht einmal geöffnet hat und noch im Bau ist.  Erst jetzt  im August will die Einrichtung „Tillj“ 165 Kinder aufnehmen,  aber der öffentliche Termin zur Anmeldung hatte sich schnell verbreitet. Die Hoffnung: Einen begehrten Platz für das Kind zu bekommen. 150 Meter ist die Schlange lang, die Polizei muss kommen, weil die Eltern den Verkehr behindern.

Diese Szene fasst gut zusammen,  was Eltern – oder angehende – momentan erleben, wenn sie ihr Kind in einer Kita anmelden wollen. Seit genau  vier Jahren, also seit  August  2013, haben Eltern einen Rechtsanspruch auf Betreuung ihrer Kinder im Alter von ein bis drei Jahren.  Zwischen drei Jahren und bis zum Grundschulalter gab es diese Regelung schon zuvor.

Doch die Umsetzung dieses Rechtsanspruchs stockt an allen Ecken und Kanten, denn zwischen Angebot und Nachfrage klafft eine große Lücke: Es mangelt an Plätzen, es gibt zu wenig Fachkräfte, es gibt zu wenig Grundstücke und auch die Qualität vieler Kitas lässt oftmals zu wünschen übrig. Und zwar nicht nur in Großstädten – auch kleine Kommunen kennen die Probleme.

Investitionen reichen nicht

Und die Nachfrage steigt: Nach den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes wurden im März  763.000 Kinder unter drei Jahren in einer Kindertagestätte oder öffentlich geförderter Kindertagespflege betreut – 5,7 Prozent mehr als im Vorjahr.

Zwar hat der Bund in den vergangenen Jahren bereits massiv in den Ausbau der Kinderbetreuung investiert – bis 2020 sollen es insgesamt 4,4 Milliarden Euro sein – aber das Geld reicht bei weitem nicht. Die 1,2 Milliarden Euro, die in den kommenden drei Jahren rund 100.000 Kita-Plätze schaffen sollen, nennt  Familienexperte  Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) „einen Tropfen auf dem heißen Stein“. Längst haben Experten berechnet, dass mindestens 350.000 Plätze benötigt werden.

Geburtenrate und Nachfrage steigen

Doch wieso liegen Theorie und Praxis so weit auseinander? Wieso verkündet die Politik mit großen Worten Investitionsprogramme, von denen klar ist, dass sie die meisten Eltern nicht erreichen werden? Warum ist die Nachfrage größer als der Bestand?

Lübking skizziert dafür mehrere Faktoren. Zum einen habe sich durch den Rechtsanspruch auch das Verhalten der Eltern geändert. „Durch den steigenden Ausbau und den Rechtsanspruch melden sich natürlich auch mehr Eltern an“, erklärt er. Zuvor hätten sich viele Eltern erst gar nicht um einen Platz bemüht.

Zum anderen steigt die Geburtenrate in Deutschland wieder. Mit 1,5 Kindern pro Frau bildet Deutschland zwar immer noch das Schlusslicht in  Europa, aber die Zahl ist so hoch wie seit 30 Jahren nicht. „Hinzu kommen die Kinder der geflüchteten Frauen“, ergänzt der Familienexperte vom DStGB. Auch könne man noch nicht absehen, wie sich der Familiennachzug in Zukunft entwickle.

Familienexperte Lübking fordert Umdenken beim Verteilungsmechanismus

Lübking kritisiert zudem, dass die Bundesmittel teilweise nicht bei den Kommunen ankämen. Aber da wird es benötigt, denn der Ausbau ist kommunale Aufgabe. „Wir brauchen einen besseren Verteilungsmechanismus. Wir fahren den Ausbau an die Wand, wenn wir die Kommunen nicht besser unterstützen“, klagt Lübking. Zudem würden immer mehr Frauen wieder arbeiten, das spüle auch mehr Geld in die Staatskassen, aber die Kommunen würden nur 15 Prozent von der Lohn-und Einkommensteuer erhalten. „Wir brauchen einen Masterplan, wie es mit dem Ausbau weitergeht. Und da gehören die Kommunen mit  an den Tisch“, fordert Lübking.

Erheblicher Fachkräfte-Mangel

Nicht immer geht es jedoch „nur“ ums Geld. Es fehlt auch an Grundstücken. Denn der Kita-Rechtsanspruch sieht vor, dass ein Betreuungsplatz nicht weiter als fünf Kilometer vom Wohnort des Kindes entfernt sein darf. „Das ist natürlich ein Problem in den Großstädten.“

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Zudem fehlt es an Fachkräften. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem vergangenen Jahr fehlen bundesweit  107.000 Erzieherinnen und Erzieher. Der Job gilt als „unattraktiv“: Zu stressig, lange Ausbildungszeit von fünf Jahren und wenig Gehalt – durchschnittlich rund 2500 Euro im Monat (Brutto).  Auch verbesserte Betreuungsschlüssel in den Kitas haben den Mangel  verschärft. Gefördert von einem Bundesmodellprogramm finden nun auch  immer mehr Quereinsteiger  in den Beruf, was nicht wenige  Eltern kritisieren.

„Kosten gehen in die Milliarden“

Gleichzeitig steigt der Bedarf an Betreuungsplätzen aber weiter an – und zwar auch weit über das Grundschulalter hinaus. Laut einer neuen Studie, die das Familienministerium in Auftrag gegeben hat, fordern das drei von vier Eltern. Danach haben 44 Prozent der Grundschulkinder kein Betreuungsangebot nach dem Schulunterricht. „Nach dem Rechtsanspruch für Kinder im Kita-Alter müssen wir jetzt den Rechtsanspruch für Kinder im Grundschul-Alter einführen“, forderte Familienministerin Katarina Barley am Montag. Die Kosten werden auf rund 700 Millionen Euro geschätzt.

Der Familienexperte Lübking vom Städte- und Gemeindebund sieht das kritisch. Er befürchtet eine ähnliche Entwicklung wie beim Kita-Anspruch für unter Dreijährige. „Die Rechnung geht vorne und hinten nicht auf. Die Kosten gehen in die Milliarden“, glaubt er. Erst mal solle man den Bedarf der unter Dreijährigen sicherstellen, so Lübking.

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