Bundespräsidenten-Kandidat Butterwegge„Ich würde gerne aufrütteln“

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Butterwegge Interview 1

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge lehrte Politikwissenschaft an der Uni Köln. 

Professor Butterwegge, als Zählkandidat für das Amt des Bundespräsidenten haben Sie es denkbar gut. Sie sind eine Weile im Gespräch und können danach in aller Ruhe weiterleben wie bisher.

„Zählkandidat“ klingt mir beim höchsten Staatsamt zu abwertend. Ich habe keine Chance, gewählt zu werden. Das weiß jeder. Aber ich finde, dass personelle und politische Alternativen zur Demokratie gehören. Außenseiter bin ich nur deshalb, weil ich nicht dem politischen Establishment angehöre und eine gesellschaftskritische Position vertrete. Trotzdem haftet meiner Kandidatur von vornherein das Verlierer-Image an, auf das keiner scharf ist.

Aber was ist mit dem Ehrgeiz?

Alles zum Thema Angela Merkel

Dass zumindest Teile der Bevölkerung mich für einen würdigen Aspiranten auf das höchste Staatsamt halten, empfinde ich natürlich als eine große Ehre. Und ich sähe mich durchaus in der Lage, die Menschen durch Reden aufzurütteln, die weniger von diplomatischen Floskeln und Leerformeln durchzogen sind, als das bei vielen Berufspolitikern der Fall ist.

Sie meinen, bei Ihrem Gegenkandidaten?

Es gibt deren drei. An Frank-Walter Steinmeier habe ich im Grunde nur zu bemängeln, dass er - ähnlich wie Hillary Clinton in den USA – für ein „Weiter so!“ steht und vieles von dem, was heute in der breiten Bevölkerung für Unmut sorgt, mitverantwortet oder gar mitinitiiert hat, etwa die Agenda 2010 und neoliberale Reformen wie Hartz IV, durch die unser Land nicht gerechter geworden ist. Ich will meine Kandidatur aber weniger in einer Negativ-Abgrenzung begründen.

Sondern?

Ich möchte bisher vernachlässigte Themen zur Sprache bringen, die mir für das Land entscheidend zu sein scheinen. So haben manche Bundespräsidenten der sozialen Frage zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Hat Joachim Gauck zu viel von der Freiheit gesprochen, zu wenig Gleichheit und Brüderlichkeit?

Freiheit ist auch für mich ein zentraler Wert. Aber von der Freiheit kann nur Gebrauch machen, wer auch das hierfür nötige Geld hat. Soziale Sicherheit ist nicht alles, wohl aber die Basis für eine selbstbestimmte Lebensgestaltung. Wenn ich reisen kann, wohin ich möchte, liegt das ja nicht nur daran, dass die Bundesrepublik mich nicht an der Grenze festhält oder mich gar mit einer Mauer an der Ausreise hindert. Es liegt vielmehr auch an meinen finanziellen Möglichkeiten. Dieser elementare Zusammenhang wird oft verkannt.

Die Spaltung der Gesellschaft, das hat die US-Wahl gezeigt, folgt aber doch nicht den Bruchlinien zwischen Arm und Reich.

Nicht nur. So rekrutiert die AfD ihre Wählerschaft keineswegs primär aus der Armutsbevölkerung. Es handelt sich vielfach um Angehörige der Mittelschicht, die Angst vor dem sozialen Abstieg haben. Aus der sich vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich erwächst eine allgemeine Verunsicherung, und die AfD bietet sich als Sachwalterin der kleinen Leute an, obwohl in ihrem Programm das Gegenteil steht. So möchte sie ausgerechnet jene Steuern abschaffen, die nur Vermögende zahlen müssen.

In den USA hat sich ein Milliardär zum Anwalt der Habenichtse ausgerufen. Woran liegt es, dass das funktioniert hat?

Ein seltsames Phänomen, dass schwerreiche Männer die größten Populisten sind. Silvio Berlusconi in Italien, Christoph Blocher in der Schweiz, früher Pim Fortuyn in Holland oder Jörg Haider in Österreich – alles Multimillionäre oder gar Milliardäre. Ich kann mir das nur so erklären, dass die politisch Etablierten, die seit Jahrzehnten die politischen Ämter besetzen und die Entscheidungen treffen, in den Augen eines Großteils der Bevölkerung versagt haben. Außerdem gelten erfolgreiche Unternehmer wegen des neoliberalen Zeitgeistes offenbar auch als gute Politiker.

Ihr Gegenentwurf?

Der Angst vor dem Absturz kann man nur mit einer Stärkung des Sozialstaates begegnen. Einen kleinen, aber wichtigen Beschluss in die richtige Richtung hat die große Koalition, als deren notorischer Kritiker ich ja sonst gelte, durch Ausweitung des staatlichen Unterhaltsvorschusses für allein erziehende Mütter getroffen. Das hilft Frauen in ihren realen Bedrängnissen und beschwichtigt die Sorge um Existenzsicherung ihrer Kinder. Um die Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, bräuchte es mehr Mut, den SPD, CDU und CSU offenbar nicht haben.

„Wir brauchen eher mehr Offenheit und Durchlässigkeit unserer Grenzen“

Die Reform des Sozialstaats und des Arbeitsmarktes wurden immer damit begründet, dass Deutschland sich in der Globalisierung behaupten müsse. Ist das falsch?

Ich finde es falsch, Deutschland als Opfer der Globalisierung hinzustellen. Spätestens seit Gerhard Schröder haben alle Bundesregierungen die neoliberalen Ausprägungen der Globalisierung mit zu verantworten. Der Vorrang betriebswirtschaftlicher Effizienz hat unsere Gesellschaft sozial kälter und härter gemacht. Keine Frage, die deutsche Wirtschaft mit ihrer Export-Orientierung ist seither noch erfolgreicher. Nur haben längst nicht alle Menschen davon profitiert. Vielmehr haben wir im eigenen Land und in anderen Ländern ein Heer von Verlierern geschaffen. Und wenn die Bundeskanzlerin ihre erneute Kandidatur mit ihrem Slogan verbindet, „Deutschland geht es gut“, dann ist das oberflächlich und undifferenziert.

Butterwegge Interview 2

Butterwegge hält den Kurs Angela Merkels in der Flüchtlingspolitik größtenteils für richtig.

Wollen Sie die Globalisierung aussperren – wie die AfD mit ihrer Politik nationaler Alleingänge?

Natürlich nicht, im Gegenteil: Wir brauchen eher mehr Offenheit und Durchlässigkeit unserer Grenzen für Menschen, die zu uns wollen – hoch qualifizierte Arbeitsmigranten, aber auch politisch Verfolgte und Schutzsuchende. Migration wird im Zeitalter der Globalisierung zur Normalität. Man kann doch nicht die Grenzen schließen, um in der Globalisierung zu bestehen. Stattdessen geht es um die Errichtung eines internationales Steuer-Regimes, damit der wirtschaftliche Erfolg der Konzerne nicht an den Menschen vorbeigeht und dem ungehemmten Fluss der Kapitalströme, der nur zum Vorteil einiger weniger Nutznießer ist, Einhalt geboten wird.

Wie viel Barack Obama ist in Christoph Butterwegge, was die Wertschätzung für die Kanzlerin betrifft?

Ich bin zunächst einmal ganz bei Angela Merkel, dass sie in einer Notsituation die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet und gesagt hat, Deutschland müsse ein freundliches Gesicht zeigen. Sonst sei das nicht mehr ihr Land. Ich sehe aber kritisch, dass die Regierung gleichzeitig erstens permanent den Druck auf die Flüchtlinge erhöht, etwa indem sie jetzt den Status der Duldung abschaffen will und damit mehr Menschen in die Illegalität drängt, und dass sie zweitens längst wieder eine Politik der Abschottung betreibt wie mit dem EU-Türkei-Abkommen. Das ist kein freundliches Gesicht, mit dem man die Welt überzeugen kann.

Was glauben Sie, wie das Land aussähe, wenn 2016 noch einmal so viele Flüchtlinge gekommen wären wie im vorigen Jahr!

Eine Obergrenze, wie die CSU sie vorschlägt, gewänne an Plausibilität, wenn diese Partei jemals die Überforderung anderer Länder bei der Aufnahme von Flüchtlingen thematisiert hätte und daraus die Bereitschaft zur Unterstützung abgeleitet hätte. Horst Seehofer hat aber nie gesagt: „Jordanien, der Libanon, aber auch Griechenland oder Italien sind ja völlig überlastet, deshalb wir müssen ihnen helfen.“ Stattdessen will er für Deutschland eine angesichts der Größe, des Reichtums und der Leistungsfähigkeit unseres Landes wenig überzeugende Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr festlegen.

Und er will – wie eigentlich alle Verantwortlichen – die Fluchtursachen bekämpfen.

Es hat sehr viel Sinn, die Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen. Nur ist dieser Ruf ein reines Lippenbekenntnis, solange die Bundesrepublik es nicht einmal schafft, die von den UN festgelegten 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe bereitzustellen. „Bekämpfung von Fluchtursachen“ wird so zur Schutzbehauptung. Dahinter verbirgt sich eine Politik der Abschottung, die Flüchtlingen bei uns keine Perspektive geben will. Würden die Fluchtursachen tatsächlich bekämpft, kämen auch nicht mehr so viele Flüchtlinge. In Wahrheit aber tragen Deutschland und die westlichen Industrienationen weiterhin dazu bei, dass Menschen in die Flucht getrieben werden. Ich denke an Ausbeutung der natürlichen Ressourcen oder an die Verschärfung der Klimakatastrophe. Auch das kann in den Herkunftsländern übrigens eine Art politischer Verfolgung sein: Ein kluger Diktator foltert seine Gegner nicht, sondern entzieht ihnen und ihren Familien die Lebensgrundlagen. Dann werden sie schon gehen. Das ist moderne Folter – ganz ohne Water Boarding.

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